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Jedem seine Hölle (Autopsie eines Monsters)

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 4 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit
"Jedem seine Hölle": Annie Girardot brilliert als verzweifelte Mutter, die um ihre entführte Tochter kämpft
"Jedem seine Hölle": Annie Girardot brilliert als verzweifelte Mutter, die um ihre entführte Tochter kämpft

Ein Ehepaar steht nach der Entführung seiner siebenjährigen Tochter unter enormem Druck. – Bei Pidax Film ist André Cayattes 1977 entstandenes, dichtes Psychodrama auf DVD erschienen.


Ansatzlos setzt "Jedem seine Hölle" zu roten Vorspanntiteln mit der halsbrecherischen Autofahrt einer Frau (Annie Girardot) über eine Landstraße ein. Nichts scheint sie stoppen zu können, auch einen Unfall scheint sie in Kauf zu nehmen und die treibende Musik von Vladimir Kosma steigert die Spannung.


Der Eiffelturm in der Ferne signalisiert schließlich, dass sich die Frau langsam vom Land der Hauptstadt Paris nähert. Aber auch im Stadtverkehr drosselt sie das Tempo nicht, bis sie den Wagen vor einem Fernsehstudio stoppt.


Panisch bittet sie um Einlass und erklärt schließlich, dass ihre siebenjährige Tochter am Nachmittag entführt worden sei und sie sich unbedingt übers Fernsehen an den Entführer wenden müsse. Nachdem der erste Versuch einer Lösegeldübergabe gescheitert ist, nachdem der Ehemann (Bernard Fresson) die Polizei eingeschaltet hat, fürchtet sie nämlich um das Leben ihrer Tochter.


Ganz auf die Situation des Ehepaars konzentriert sich der studierte Jurist André Cayatte, der in den 1950er Jahren mit Justizthrillern bekannt wurde, in der Folge. Intensiv vermittelt er, unterstützt vor allem von der starken Hauptdarstellerin Annie Girardot, die Verzweiflung und das bange Warten des Paares auf einen neuerlichen Anruf des Entführers.


Im Haus sind aber auch noch der Vater des Ehemanns und der 19-jährige Sohn der Frau aus erster Ehe. Während der Vater die angespannte Situation und die Belastung des Paars durch seine Bemerkungen noch steigert, agiert der Sohn zurückhaltend.


Spannung entwickelt "Jedem seine Hölle" durch diese Fokussierung auf die Familie, rechnet aber gleichzeitig mit der Sensationsgier der Presse und der Massen ab, die durch den Fernsehauftritt der Frau auf die Entführung aufmerksam wurden. Journalist:innen und Schaulustige belagern nicht nur das Haus, sondern terrorisieren die Familie auch durch permanente Anrufe.


Plakativ und überzeichnet ist diese Kritik an kalter Sensationsgier, die jedes Einfühlungsvermögen in die Situation der Familie vermissen lässt, verfehlt aber ihre Wirkung nicht. Bewegung kommt in die Handlung, als sich der Entführer wiederum meldet, das Lösegeld beschafft wird und die Frau allein zu dessen Übergabe an den vereinbarten Treffpunkt fährt.


Darüber hinaus sollte nur verraten werden, dass nun die Suche nach dem Täter einsetzt. Aber auch hier steht nicht die Polizei im Zentrum, sondern die Familie und speziell die Mutter. Eher kurz ist der Auftritt von Hardy Krüger als Kommissar, während sich für die Mutter langsam ein bestürzender Verdacht verstärkt.


Routiniert ist das von André Cayatte inszeniert, entwickelt Spannung durch die stringente und konzentrierte Handlungsentwicklung. Während aber das straffe Drehbuch und die Schauspieler:innen überzeugen, wirkt die Ausstattung der Wohnung und die Kulissen so steril wie in TV-Krimis und lassen kaum Atmosphäre aufkommen.


Verblasst sind auch die Farben, tendieren zu einem bräunlichen Einerlei und auch die Schlusswendung ist psychologisch zu wenig ausgearbeitet, um überzeugend zu sein. Die Genauigkeit von "Wir sind dann wohl die Angehörigen", in dem Hans-Christian Schmid quälend intensiv von den Auswirkungen der realen Entführung des Hamburger Literatur- und Sozialwissenschaftlers Jan-Philipp Reemtsma auf seine Familie erzählte, erreicht "Jedem seine Hölle" so nicht, fesselt aber vor allem dank Annie Girardots eindrücklichem Porträt einer verzweifelt um ihre Tochter kämpfenden Mutter dennoch immer noch.


An Sprachversionen bietet die bei Pidax Film erschienene DVD die französische Original- und die deutsche Synchronfassung, aber keine Untertitel. Die Extras beschränken sich auf eine Bildergalerie und Trailer zu weiteren, bei diesem Label erschienenen Filmen.

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