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  • AutorenbildWalter Gasperi

Jägerinnen des Glücks: Die Filme von Barbara Albert

Nordrand (Barbara Albert, 1999)

Seit ihrem Spielfilmdebüt "Nordrand" im Jahr 1999 über "Böse Zellen" und "Licht" bis zu "Die Mittagsfrau" gehört Barbara Albert zu den zentralen Regisseur:innen des österreichischen  Films. – Das Filmarchiv Austria widmet der 1970 geborenen Wienerin eine Retrospektive und zeigt dabei auch Filme, die sie prägten.


Mit Kurzfilmen, die sie im Rahmen ihres 1991 begonnenen Studiums an der Filmakademie Wien drehte, lernte Barbara Albert das Handwerk der Regisseurin. Schon 1993 wurde sie so mit dem siebenminütigen Kurzfilm "Nachtschwalben" in den Wettbewerb um den Max Ophüls Preis eingeladen.


Der große Durchbruch gelang der gebürtigen Wienerin 1999, als ihr Langfilmdebüt "Nordrand" in den Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig eingeladen wurde. In komplexer Montage verknüpft Albert darin die Lebenswege fünf junger Menschen, die sich im Wien der 1990er Jahr für kurze Zeit kreuzen und sich anschließend wieder verlieren.


Private Geschichten um Liebe, Abtreibung und familiäre Gewalt werden dabei eingebunden in die politischen Realitäten des Falls des Eisernen Vorhangs und des Jugoslawienkriegs und fügen sich zu einer dichten Zeit- und Milieustudie. Trotz teils bedrückender Verhältnisse sorgen dabei die kraftvolle Inszenierung, intensive Farben und die Lichtdramaturgie für einen optimistischen Gesamteindruck.


Auf dieses fulminante Debüt, das auch den Höhenflug des österreichischen Films bei internationalen Festivals einleitete, folgte mit "Böse Zellen" (2003) ein noch komplexerer zweiter Spielfilm. Kunstvoll verknüpft Albert darin die Lebensgeschichten von etwa zehn in einem niederösterreichischen Dorf wohnenden Personen und spannt dabei den Bogen vom fünfjährigen Mädchen bis zur 60jährigen Frau und von der spiritistischen Sitzung über eine Talkshow und ein Glücksspiel bis zu einer Kirchenchorprobe.


Spielerisch leicht springt Albert dabei von einer Figur und einer Szene zur nächsten, fragt in Anlehnung an die Chaostheorie nach der Rolle von Schicksal und Zufall bei den Wechselwirkungen der unterschiedlichen Geschichten, wirft aber auch stets aufs Neue Fragen nach Leben und Tod, Schuld und Vergebung auf. Nicht weniger schonungslos als Ulrich Seidl blickt Albert in die Abgründe der menschlichen Seelen, doch den Gemeinheiten und Brutalitäten stehen immer auch wieder Momente der Zärtlichkeit gegenüber und am Ende stehen vorsichtige Neuanfänge.


Ungleich einfacher legte sie ihren dritten Spielfilm "Fallen" (2006) an. Fokussiert auf fünf Freundinnen, die sich 14 Jahre nach der Matura treffen, erzählt Albert linear von einem Tag, einer Nacht und dem folgenden Tag, die die Frauen gemeinsam verbringen. Nur einzelne Erinnerungsbilder – keine bewegten Filmszenen, sondern Standfotos – öffnen ein Zeitfenster in die Vergangenheit und manchmal auch in die Zukunft.


Die Tour führt die Frauen vom Begräbnis ihres Klassenvorstands zu einem Zeltfest, bei dem sie eine Hochzeitsgesellschaft treffen, in eine Disco und nach durchzechter Nacht an eine Raststätte, ehe sich beim Grab des Klassenvorstands der Kreis schließt.


Schematisch wie die Ausgangssituation wirkt zwar die Zusammensetzung der Freundinnen mit einer scheinbar erfolgreichen TV-Schauspielerin (Kathrin Resetarits), einer scheinbar starken AMS-Mitarbeiterin (Ursula Strauss) einer Schwangeren (Nina Proll), einer immer noch an ihre politischen Ideale glaubenden Deutschlehrerin (Birgit Minichmayr) und einer Schweigsamen (Gabriela Hegedüs). Dennoch entwickelt "Fallen" einigen Reiz durch die ungezwungene und verspielte Erzählweise, die schön mit der Stimmung und dem Lebensgefühl der Frauen korrespondiert.


Wie diese desillusioniert dahin driften und sich treiben lassen, mäandert auch der Film ziellos dahin. Vieles wird dabei nur angedeutet, aber gerade im Skizzenhaften entwickelt „Fallen“ eine Freiheit und Leichtigkeit, die trotz des Verlusts alter Utopien keine depressive Stimmung aufkommen, sondern am Ende von einem neuen Aufbruch träumen lassen.


In Abständen von fünf Jahren entstanden die folgenden drei Spielfilme der Österreicherin. Eigene Erfahrungen verarbeitete sie in "Die Lebenden" (2012), in dem sie als Enkelin eines SS-Mannes, der unter anderem als Wachmann im KZ Auschwitz gearbeitet hat, von einer jungen Studentin erzählt, die über die SS-Vergangenheit ihres Großvaters zu recherchieren beginnt.


Zehn Jahre später wird Albert mit ihrer Verfilmung von Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" (2023) nicht nur wiederum auf die NS-Zeit blicken, sondern anhand des Schicksals der Protagonistin, die entschlossen ihren Weg geht, sogar den Bogen über beinahe die ganze erste Hälfte des 20. Jahrhunderts spannen.


Dazwischen entstand mit "Licht" (2017) ein im Wien des späten 18. Jahrhunderts spielender Historienfilm, in dessen Zentrum die blinde Klavierspielerin Maria Theresia Paradis steht, der ein Arzt Heilung verspricht. Den historischen Fall nützt Albert um ausgehend von der Sehkraft über das Sehen und Gesehen werden, die Sucht zu präsentieren und vorzuführen sowie den Blick der Gesellschaft auf das Besondere und gleichzeitig das Desinteresse am Gewöhnlichen zu reflektieren.


Dabei wirft der Film nicht nur grundsätzliche Fragen des Sehens auf, wenn offen bleibt, ob Resi vorübergehend wirklich sieht oder sich das nur einbildet, sondern auch die Frage, was es noch hinter und jenseits des Sichtbaren gibt. Das Licht des Titels kann aber auch als Hinweis auf die Aufklärung gelesen werden, als Wendepunkt, an dem einerseits neue, noch abgelehnte Methoden ausprobiert werden, andererseits auch langsam die herrschende adelige Gesellschaft durch das aufstrebende Bürgertum verdrängt wird.


So sehr sich dieser Historienfilm im Ambiente auch von den anderen Filmen Alberts unterscheidet, so verbindet ihn doch die Fokussierung auf eine starke Protagonistin. Denn Bindeglied der Filme der 53-Jährigen von "Nordrand" bis zu "Die Mittagsfrau" sind doch unübersehbar die starken und immer um ihr Glück und ihre Selbstbestimmung kämpfenden Frauen.


Dieser Einsatz für Selbstbestimmung äußert sich auch in Alberts Beteiligung bei der Gründung der Produktionsfirma coop99 (1999) zusammen mit Jessica Hausner, Antonin Svoboda und Martin Gschlacht, durch die die vier Filmschaffenden Unabhängigkeit von der Meinung von Produzenten erlangten. Gleichzeitig konnten damit aber auch Produktionen anderer Regisseur:innen wie Maren Ades "Toni Erdmann", Valeska Griesebachs "Western", Jasmila Zbanics "Quo vadis, Aida?" und David Clay Diaz´ "Me We" koproduziert werden.


Aber auch an der Gründung der Akademie des Österreichischen Films war die Wienerin 2009 mit anderen österreichischen Filmschaffenden beteiligt und lehrt seit 2013 auch an der Filmuniversität Babelsberg "Spielfilmregie für Kino und Fernsehen".


Das Filmarchiv Austria zeigt im Rahmen der Retrospektive nicht nur Alberts Regiearbeiten, sondern auch Filme, an denen sie als Drehbuchautorin oder Produzentin beteiligt war, sowie Filme, die sie geprägt haben.


Weitere Informationen und Spieldaten finden Sie hier.


Trailer zu "Licht"



 

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