Michael Caine und Glenda Jackson brillieren in Oliver Parkers leisem Drama als Paar, das fast sein ganzes Leben zusammen verbracht hat: Während der Mann sich während einer Reise zur 70-Jahr-Feier des D-Days mit seinem Kriegstrauma auseinandersetzt, erinnert die Frau sich im Seniorenheim in Südengland an den Beginn ihrer Liebe.
Mit einem Blick auf das Gesicht des 89-jährigen Bernie (Michael Caine) und dessen Blick aufs Meer lässt Oliver Parker ("Ernst sein ist alles", "Das Bildnis des Dorian Gray") sein auf einer wahren Begebenheit beruhendes sanftes Drama einsetzen. Bernies Blick ist dabei gleichzeitig ein Blick in die Vergangenheit, zurück auf den D-Day, auf dessen 70-Jahr-Feier 2014 ein Banner an der südenglischen Strandpromenade hinweist.
Auch Bernie wäre da gerne in der Normandie dabei gewesen, doch zu spät hat er sich für die Komplett-Arrangements angemeldet. Weil seine Frau Rene (Glenda Jackson), mit der er zusammen in einem Seniorenheim den Lebensabend verbringt, aber weiß, wie wichtig ihm das ist, ermuntert sie ihn, obwohl er auf einen Rollator angewiesen ist, auf eigene Faust nach Frankreich zu reisen.
Auf zwei Ebenen entwickelt sich so die Handlung. In Parallelmontage folgt der Film einerseits Bernie bei seiner Reise, auf der er bald auf der Fähre mit dem Kriegsveteranen Arthur (John Standing) Bekanntschaft macht, andererseits dem Alltag Renes im Seniorenheim.
Gleichzeitig wecken die Ereignisse bei beiden auch unterschiedliche Erinnerungen. Während Rene sich an den ersten Tanz mit Bernie, mit dem auch der jugendlichen Agilität die Gebrechlichkeit des Alters gegenübergestellt wird, und den ersten Kuss bei einem magischen Sonnenaufgang an der Küste erinnert, belasten Bernie Gedanken an den D-Day.
In kurzen Flashbacks, in denen Parker die Zuschauer:innen mit naher Handkamera und hektischem Schnitt unmittelbar in die beklemmenden Minuten vor der Landung in der Normandie versetzt, wird spürbar, wie dieses Trauma auch nach 70 Jahren noch nicht überwunden ist. Gleichzeitig stellt Parker aber auch diesen persönlichen Erfahrungen, die auch Arthur belasten, im Hintergrund die pompöse Zeremonie gegenüber, zu der Staatsgäste wie Queen Elisabeth oder der US-Präsident Barack Obama anreisen.
Wie viele persönliche Schicksale mit dem D-Day verknüpft sind, wird eindrücklich sichtbar, wenn Bernie schließlich sein über Jahrzehnte geheim gehaltenes persönliches Trauma lüftet und auf dem Soldatenfriedhof von Bayeux, auf dem laut Film 5000, laut Quellen 4000 gefallene Briten liegen, die Kamera mit einer Rückwärtsfahrt die immense Zahl der schmucklosen weißen Grabsteine offenbart. Gleichzeitig wird in einer kurzen Erinnerung Renes aber auch inensiv erfahrbar, wie sehr die Freundinnen und Ehefrauen der Soldaten in der Heimat stets die Angst vor der Nachricht vom Tod des Geliebten begleitete.
Erweitert wird dieses dichotomische Erzählschema noch durch den Gegensatz von Bernies ganz privater Reise und dem Medienecho, das sie auslöst, als bekannt wird, dass dieser "große Ausbrecher" aus dem Seniorenheim ausgebüxt ist.
Doch so sehr auch das Öffentliche und das Mediale im Hintergrund hereinspielen, so steht doch die Beziehung zwischen Rene und Bernie im Zentrum, auch wenn diese nur am Beginn und am Ende wirklich zusammen sind. Parker weiß dabei sehr gut, was er an seinen beiden Altstars Glenda Jackson und Michael Caine hat.
Ein Vergnügen ist es zuzusehen, wie die 87-jährige Glenda Jackson, die am 15. Juni dieses Jahres verstarb, diese Rene trotz aller körperlicher Gebrechlichkeit Lebensfreude und Vitalität ausstrahlen lässt. Auf der anderen Seite ist der 90-jährige Michael Caine, der auch im hohen Alter noch Vornehmheit, aber auch Witz und Güte ausstrahlt und diesen Film als seinen Abschied von der Leinwand angelegt hat.
Immer wieder rücken Parker und Kameramann Christopher Ross in Großaufnahmen das zerfurchte Gesicht Jacksons und die immer noch ebenmäßigen Züge Caines ins Bild. Blendend harmoniert dieses Duo, das schon vor 48 Jahren in Joseph Loseys "The Romantic Englishwoman" (1975) ein Ehepaar spielte. In ihren Blicken und Gesten bieten sie tiefe Einblicke in ihre Seelen und vermitteln in den gemeinsamen Szenen bewegend die innige Vertrautheit und die lebenslange Liebe.
Eine große Plattform bietet Parker diesen beiden SchauspielerInnen, versteht aber auch seine Geschichte bestechend rund und unaufdringlich zu erzählen und sorgt auch mit reduziertem Musikeinsatz und trockenem Humor dafür, dass dieses leise Drama kaum in Sentimentalität abgleitet, aber nachhaltig berührt.
In voller Blüte – The Great Escaper Großbritannien / USA 2023 Regie: Oliver Parker mit: Michael Caine, Glenda Jackson, John Standing, Danielle Vitalis, Victor Oshin, Will Fletcher, Laura Marcus Länge: 96 min.
Läuft derzeit in den deutschen und österreichischen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Cineplexx Hohenems - ab 14.12. in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "In voller Blüte - The Great Escaper"
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