Die Dokumentarfilmerin Susanne Regina Meures begleitet die am Anfang 14-jährige Berliner Influencerin Leonie vier Jahre durch ihren Alltag. Sie bietet einen spannenden Einblick nicht nur in den Hype, den der Teenager bei den rund eine Million Followern auslöst, sondern auch in die Vermarktung Leonies durch ihre Eltern und die Anstrengung, die hinter dem ständigen Posen und Filmen steckt.
Mit leuchtenden Augen und in die Höhe gestreckten Handys stehen zahllose junge Mädchen hysterisch kreischend in einem Wiener Shopping-Center, um einen Blick auf ihren Star zu erhaschen. Live können sie hier endlich die 14-jährige Leonie sehen, von der sie förmlich besessen sind und deren Beiträgen auf den Social Medias sie begeistert folgen. – Doch aufgrund des gefährlichen Gedränges der Menschenmasse muss der Auftritt bald abgebrochen werden.
Eine starke Auftaktszene ist dies, bietet Einblick in einen für einen Erwachsenen wohl unvorstellbaren Hype und eine schon bedenkliche Leidenschaft für ein Idol. Geschickt greift Susanne Regina Meures mit Melanie eine dieser Followerinnen heraus, zeigt wie sie von ihrem Star förmlich abhängig ist. Jede Reaktion ihres Idols auf ihre Leonie-Fanpage lässt sie aufblühen, andererseits lässt sie Ignoranz in tiefe Traurigkeit fallen.
In einer Begegnung und einem Foto mit der Influencerin sieht sie den Höhepunkt ihres Lebens, träumt davon selbst ein Leben wie Leonie zu führen. Doch am Ende zeigt Meures auch, wie sich Melanie von diesem Fantum lösen kann und eine reale Freundin, die sie gleichwohl über Social Media und ihre Leidenschaft gefunden hat, mehr Gewicht gewinnt.
Diese Followerin ist ein spannender Gegenpol zur erfolgreichen Berliner Influencerin Leonie, die Meures ins Zentrum ihres Dokumentarfilms stellt. Über vier Jahre begleitete sie diesen Social Media-Star, der am Anfang rund 600.000 und am Ende 1,6 Millionen, vor allem weibliche Follower hat, und ihre Eltern durch ihren Alltag.
Nur am Anfang sieht man Leonie einmal kurz Mathe-Hausaufgaben machen und auch darüber ihre Fans informieren. Von dieser Szene abgesehen scheint der Alltag des Teenagers und ihrer Eltern aber ganz von der Karriere als Influencerin bestimmt. Verdient Leonie damit zunächst nur ein Taschengeld, so kümmern sich Vater Andreas und Mutter Sani zunehmend intensiver ums Management und wollen damit das große Geld machen.
Man glaubt durchaus, dass die Eltern nur das Beste für ihre Tochter wollen, gleichzeitig profitieren sie aber auch von ihrem Ruhm. An die Berliner Wohnung tritt so im Laufe des Films, in dem mit einer Ausnahme auf Zeitinserts verzichtet wird, ein Vorstadthaus mit Pool und der Vater freut sich, sich ums Management seiner Tochter kümmern zu dürfen, statt einer anderen Arbeit nachgehen zu müssen.
Aufgabe der Mutter wiederum ist es negative und Hass-Postings gegen die Tochter zu löschen und von ihr fern zu halten. Aber im Schatten des Ruhms der Tochter beginnen die Eltern auch selbst als Influencer zu arbeiten, für Mode Werbung zu machen oder auch politische Empfehlungen für Wahlen zu geben.
Wenige Inserts informieren jeweils mit Prozentangaben nicht nur über die Beliebtheit solcher Influencer*innen, sondern auch darüber, dass viele Teenager ihre Social Media-Kontakte realen Bezugspersonen vorziehen und selbst Influencer*innen sein wollen oder dass 80% der Marken auf Influencer*innen setzen.
Davon abgesehen hält sich Meures zurück. Sie verzichtet auf jeden verbalen Kommentar, beschränkt sich darauf die Familie mit der Kamera zu begleiten. Keine Hintergründe über die Entwicklung Leonies zur Influencerin werden beleuchtet, sondern ganz auf das Hier und Jetzt und die zunehmende Vermarktung fokussiert der Film.
Bei der Mode Convention Glow kurbelt Leonie alias Leoobalys ebenso die Begeisterung an, wie sie mit ihren Video-Stories für McDonalds, Schminkartikel oder Kleidung Werbung macht und schließlich auch ihr eigenes Mode-Label entwickelt und per Online-Shop verkauft. – Ein verstörendes Bild unserer Welt ergibt sich dabei auch dadurch, dass Leonie ohne wirkliche künstlerische, wissenschaftliche oder sportliche Leistung, sondern allein mit kleinen Videos zum Star aufsteigt.
Den einzigen Nachteil dieses vom Filmen und Posten bestimmten Lebens sieht ihr Vater darin, dass seine Tochter nicht so viele soziale Kontakte habe und keine Disco besuchen könne. Kaum einmal sieht so auch man den Teenager mit anderen Menschen als ihren Eltern.
Intime Einblick in das Familienleben bietet der Film, wenn gezeigt wird, wie der teils auch zickige Star die Eltern – speziell den Vater – immer wieder herumkommandiert und den Zeitplan bestimmt. So bietet "Girl Gang" einen ebenso spannenden wie auch erschreckenden Blick in eine Welt, mit der speziell etwas ältere Menschen kaum vertraut sein dürften.
An einer Abrechnung mit dieser Welt und der Familie ist Meures dabei nicht interessiert, sondern beschränkt sich auf die Beobachtung. Dass ihr Film mit der Fokussierung auf Leonie deren Berühmtheit und die Zahl der Follower*innen und damit auch ihren Marktwert freilich steigern wird, steht auf einem anderen Blatt.
Girl Gang Schweiz 2022 Regie: Susanne Regina Meures Dokumentarfilm mit: Leonie, Melanie, Andreas, Sani Länge: 98 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Girl Gang"
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