In unterschiedlichster Weise wurde die Musik von Ludwig van Beethoven im Lauf der Filmgeschichte immer wieder verwendet. Der 33. Band der bei Bertz + Fischer erscheinenden Reihe „Deep Focus“ spürt in sieben Essays dem Einsatz der Musik des deutschen Komponisten, der 2020 seinen 250. Geburtstag feierte, nach.
Laut International Movie Data Base (IMDB) soll Beethovens Musik in 1630 Spiel- und Dokumentarfilmen zu hören sein. Rund 30 Biopics gibt es über den 1827 verstorbenen Komponisten. Jean-Luc Godard setzte seine Musik ebenso wiederholt ein, wie Andrej Tarkwowkj in "Stalker" (1979). John Boorman bediente sich beim Science-Fiction-Film "Zardoz" (1974) bei der 7. Sinfonie, in John McTiernans Actionfilm "Stirb Langsam" (1988) wird die "Ode an die Freude" zitiert. Am berühmtesten ist aber wohl, wie Stanley Kubrick in "Clockwork Orange" (1971) die 9. Sinfonie einer Anti-Gewalttherapie unterlegte.
Der vom Film- und Literaturwissenschaftler Stephan Ahrens herausgegebene Sammelband will aber keinen Streifzug durch die Verwendung der Musik Beethovens im Lauf der Filmgeschichte bieten, sondern fokussiert vielmehr in sieben Essays auf einzelnen Aspekten.
Ahrens selbst widmet sich ausgehend von Christian-Jaques während der deutschen Okkupation Frankreichs entstandenen Maupassant-Adaption "Boule de Suif" (1945) der Komplexität des Verhältnisses von Beethovens Musik und ihrem Einsatz in einem Film und stellt rückhaltlose Verehrung einem entidealisierenden Blick gegenüber.
Jasper Stratil spürt der unterschiedlichen Art der Aneignung von Beethovens Musik in den drei Biopics "Un grand amour de Beethoven" ("Beethovens große Liebe"; Abel Gance, 1937), "Immortal Beloved" ("Ludwig van B. – Meine unsterbliche Geliebte"; Bernard Rose, 1994) und "Copying Beethoven" ("Klang der Stille; Angnieszka Holland, 2006) nach. Michael Ufer arbeitet dagegen heraus, wie in Ingmar Bergmans Melodram "Till Glädje" ("An die Freude", 1950) nur die Musik Beethovens Intimität schaffen kann.
Emily Dreyfus wiederum fokussiert auf der Rolle Beethovens im NS-Kino und arbeitet plastisch anhand einzelner Filme das Unbehagen des Dritten Reichs gegenüber dessen Musik, die als Zeichen von Verweichlichung und Verfall galt, heraus. Dörte Schmidt fokussiert auf der Vereinnahmung Beethovens im geteilten Nachkriegsdeutschland im Sinne einer "moralischen Aufrüstung". Im Zentrum ihres Beitrags steht dabei Maurizio Kagels anlässlich von Beethovens 200. Geburtstag entstandene eigenwillige Doku "Ludwig van" (1970), in der Beethoven in die Kunstdiskurse der späten 1960er Jahre eingebettet wird.
Fabian Tietke wiederum analysiert die unterschiedliche Verwendung von Beethovens 9. Sinfonie in politischen Dokumentarfilmen. Dem kommentierenden Einsatz in Humphrey Jennings "The Heart of Britain" (1940), bei dem ein Konzert während der Kriegszeit in Bilder des zerstörten Coventry übergehen, stellt er die reine Hintergrundmusik in "Espagne 1937" (1938) gegenüber. Im Gegensatz dazu wird im chilenischen "Somos+" (1985) die Musik dem Film nicht übergestülpt, sondern entwickelt aus der konkreten historischen Situation ihre politische Bedeutung, wenn die Filmemacher ungefiltert dokumentieren, wie Demonstranten beim Protest gegen die Pinochet-Diktatur als Zeichen der Selbstbehauptung die "Ode an die Freude" singen. Ganz anders eignet sich schließlich der Experimentalfilmer Klaus Wyborny Beethovens Musik an, der in "Verlassen; Verloren; Einsam; Kalt (Missa Solemnis)" (1992) die "Missa Solemnis" mit einer Auseinandersetzung mit europäischem Größenwahn und Kolonialismus verknüpft.
Abschließend analysiert Philipp Schwarz drei Konzertfilme mit Herbert von Karajan, Leonard Bernstein und Glenn Gould. Detailliert arbeitet der Autor dabei heraus, wie beim Karajan-Konzert durch die Inszenierung der Schöpfungsakt betont wird, bei Bernstein der langwierige Entstehungsprozess der Musik, während Glenn Goulds Klaviersonate Nr. 17 jeder Prozess fehlt und der Künstler ganz in der Musik aufgeht.
Stephan Ahrens (Hg.), Vom Klang bewegt. Das Kino und Ludwig van Beethoven, Deep Focus 33, Bertz + Fischer, Berlin 2020. 120 S., ISBN 978-3-86505-336-7, € 15
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