Die zwölf Geschworenen – 12 Twelve Angry Men
- Walter Gasperi
- 18. Juni
- 5 Min. Lesezeit

Zwölf Geschworene müssen ein einstimmiges Urteil in einem Mordprozess fällen. Die Zweifel eines Einzigen an der Schuld des Angeklagten lösen hitzige Diskussionen aus, die auch tiefverwurzelte Vorurteile, persönliche Sympathien und Erfahrungen sichtbar machen: Bei Capelight Pictures ist Sidney Lumets klassischer und immer noch packender Gerichtsfilm aus dem Jahr 1957 auf DVD und als limitiertes Mediabook auf 4K Ultra HD und Blu-ray mit Bonus Blu-ray erschienen.
Schon 1954 hatte Franklin J. Schaffner Reginald Roses Drehbuch fürs Fernsehen als 60-minütiges Live-Fernsehspiel adaptiert. Drei Jahre später folgte die Kinoversion unter der Regie von Sidney Lumet. Einen Klassiker des Gerichtsfilms schuf der vom Fernsehen kommende New Yorker mit seinem Kinodebüt, gleichzeitig stand der Film in auffälliger Opposition zum Hollywood-Kino der 1950er Jahre.
Denn wollte man damals mit Breitwandformat, aufwändigen Monumentalfilmen mit prächtiger Ausstattung und natürlich mit farbintensiven Bildern dem Fernsehen Paroli bieten, wurde "Die zwölf Geschworenen" in Schwarzweiß gedreht, kam mit einem Raum als Schauplatz aus und rückte amerikanische Durchschnittsbürger ins Zentrum.
Wenn die Kamera von Boris Kaufman in der ersten Einstellung aus Froschperspektive auf das New Yorker Gerichtsgebäude blickt, betont sie die Würde und die Bedeutung dieses Ortes, ehe sie durch die Gänge gleitet und schließlich im Raum 228 endet. Die Plädoyers wurden schon gehalten, der Prozess ist schon beendet und der Richter informiert gelangweilt die zwölf Geschworenen, dass sie sich nun zurückziehen müssen, um bei ihrer Beratung zu einem einstimmigen Urteil zu kommen.
Es geht dabei um Leben und Tod, denn wird der 18-jährige Puerto-Ricaner, der des Mordes an seinem Vater angeklagt ist, schuldig gesprochen, wird er zum Tod verurteilt werden. Langsam fährt die Kamera die Geschworenenbank ab, auf der – heute ein absolutes No-Go - ausnahmslos weiße Männer sitzen. Die Einstellung entpuppt sich mit einem Schnitt auf das Gesicht des jungen Angeklagten als dessen Perspektive. Er überlegt wohl schon, wie diese Männer über ihn entscheiden werden, wird danach aber nie mehr zu sehen sein.
Nicht nur diese Auftaktszene läuft ohne Musik ab, auch in den folgenden 90 Minuten wird Musik nur sehr spärlich und zurückhaltend eingesetzt und dafür Authentizität und Dichte durch eine natürliche Soundkulisse erzeugt.
Zu den Credits versammeln sich in einer sechsminütigen ungeschnittenen Einstellung die Geschworenen im Beratungszimmer. Abgesehen von einer Szene im angrenzenden Waschraum wird dies der einzige Schauplatz bleiben und quasi in Echtzeit erzählt Lumet. Beobachtet die Kamera dabei das Geschehen zunächst noch aus erhöhter Position wird sie sich sukzessive auf Augenhöhe der Geschworenen senken.
Der Moderator der Besprechung erklärt, dass man entweder zunächst diskutieren und dann abstimmen oder gleich abstimmen könne. Die Gruppe entscheidet sich für Letzteres und alle außer einem Geschworenen stimmen für schuldig. Dieser Geschworene Nr. 8 bringt aber seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten zum Ausdruck.
Der Einsatz des Pflichtverteidigers für den Angeklagten wird in Frage gestellt, Indizien und Aussagen der Zeug:innen, die teilweise womöglich von Sehnsucht nach Anerkennung und Eitelkeit beeinflusst waren, werden hinterfragt. Schritt für Schritt wird so langsam die festgefasste Meinung der anderen Geschworenen erschüttert und sie revidieren ihr Urteil.
Wie unter einem Brennspiegel präsentieren Lumet und sein Drehbuchautor Reginald Rose mit ihren zwölf Geschworenen einen sozialen Querschnitt der männlichen amerikanischen Gesellschaft. Nicht nur unterschiedlich alt sind die Männer, sondern neben einem Architekten steht hier ein einfacher Arbeiter, neben einem Banker ein Werbetexter und neben einem cholerischen Geschäftsmann ein europäischer Immigrant. Einer kennt das soziale Milieu, dem der Angeklagte entstammt, aus eigener Erfahrung, während ein anderer vor Hass gegenüber diesem "Gesindel" förmlich kocht.
In den intensiven Diskussionen werden so persönliche Motive, wie der Wunsch möglichst schnell nach Hause zu kommen, opportunistisches Mitläufertum mit der Mehrheit, aber auch tief verwurzelte Vorurteile gegenüber Migrant:innen oder die Vermischung der persönlichen familiären Situation mit dem Fall als Triebfedern für das Handeln und die Entscheidung sichtbar.
Der Gleichgültigkeit mehrerer Geschworener, die statt sich mit dem Fall zu beschäftigen Witze erzählen oder Zeitung lesen, steht die Besonnenheit des Geschworenen Nr. 8 gegenüber, die sukzessive auch weitere Geschworene ansteckt.
Im Gegensatz zum klassischen Gerichtsfilm geht es dabei gar nicht um eine Wahrheitsfindung, sondern im Zentrum stehen vielmehr Zweifel und Unsicherheit. Denn für einen Freispruch muss ja nicht die Unschuld des Angeklagten bewiesen werden, sondern nur berechtigte Zweifel an seiner Schuld bestehen. Gibt es so zunächst nur für den Geschworenen Nr.8 keinen absolut stichhaltigen Beweis für die Schuld des 18-Jährigen, so bekommt das Bild eines scheinbar glasklaren Falls zunehmend mehr Risse, je genauer die Gruppe auf die Indizien und Zeugenaussagen blickt.
Getragen von einem Ensemble, in dem nicht nur Henry Fonda als der prototypisch aufrechte und besonnene Amerikaner und Lee J. Cobb als cholerischer Geschäftsmann, sondern auch die perfekt besetzten Nebenrollen beeindrucken, entwickelt sich ein Kammerspiel, das souverän packende Unterhaltung mit der Diskussion ethischer und moralischer Fragen verknüpft.
Trotz der Beschränkung auf das Beratungszimmer wirkt das auch nie theaterhaft, sondern Schnitt und Kamera sorgen mit fließendem Wechsel von Totalen und expressiven Großaufnahmen, mit Gruppenszenen und Zooms auf die Gesichter des jeweils Sprechenden für Dynamik.
Dazu kommt die intensiv beschworene drückende Hitze, die auch an den verschwitzten Hemden spürbar wird. Wenn sich diese im Finale in einem heftigen Regenguss entlädt, steht dieser auch für eine Reinigung der Geschworenen, deren Charakter aufgedeckt wurde und die nun frei von Vorurteilen zu einem objektiveren Urteil kommen.
68 Jahre alt ist dieser Klassiker des Gerichtsfilms inzwischen, hat aber kein Körnchen Staub angesetzt, sondern packt immer noch durch die meisterhaft konzentrierte Inszenierung, die großartigen schauspielerischen Leistungen und die zeitlosen und universellen Fragen, die aufgeworfen und diskutiert werden.
An Sprachversionen bieten die bei Capelight Pictures erschienene DVD sowie das Mediabook mit 4K Ultra HD, Blu-ray und Bonus-Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Extras gibt es einen deutsch untertitelten Audiokommentar des Filmhistorikers Drew Casper, der auch die filmsprachlichen Mittel aufregend detailliert analysiert, sowie beim Mediabook einen weiteren nicht untertitelten englischen Audiokommentar des Filmhistorikers und Drehbuchautors Gary Gerani, der unter anderem auf die Entstehung des Films blickt, den Kinofilm mit der TV-Fassung von 1997 vergleicht und ausführlich auf die Schauspieler und ihre Figuren eingeht.
Weiters gibt es – jeweils deutsch untertitelt - ein 23-minütiges Feature zur Entstehung des Films und das 15-minütige Feature "Im Geschworenenzimmer", das mit zahlreichen Interviews mit Juristen immer in Bezug auf den Film Vor- und Nachteile des Geschworenensystems sowie realistische und verfälschte Momente im Film sichtbar macht. Dazu kommen der originale Kinotrailer und ein 24-seitiges Booklet mit einem informativen Text von Kathrin Horster.
Auf der Bonus-Blu-ray, die das Mediabook enthält, gibt es schließlich auch noch William Friedkins 1997 entstandene TV-Verfilmung. Dieses unter anderem mit Jack Lemmon, George C. Scott und Armin Müller-Stahl hochkarätig besetzte Remake hält sich weitgehend an das Original, nimmt aber Veränderungen bei den Figuren vor, wenn einerseits eine Richterin dem Prozess vorsitzt, andererseits sich unter den – wiederum durchgängig männlich besetzten – zwölf Geschworenen mehrere Afroamerikaner befinden.
Trailer zu "Die zwölf Geschworenen - 12 Angry Men"
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