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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Wendeltreppe - The Spiral Staircase (1945)


Eine Mordserie an jungen Frauen mit Behinderung versetzt eine US-Kleinstadt in Angst. Besonders gefährdet scheint die stumme Helen, die in einem abgelegenen Herrenhaus die bettlägerige Hausherrin pflegt. – Robert Siodmaks meisterhafter, souverän mit Licht und Schatten spielender Psychothriller ist bei Filmjuwelen auf DVD und Blu-ray erschienen.


Robert Siodmak gilt mit Filmen wie "Phantom Lady" ("Zeuge gesucht", 1944), "The Killers" ("Rächer der Unterwelt", 1946) und "Criss Cross" ("Gewagtes Alibi", 1949) als Meister des Film noir. Im Gegensatz zu diesen Filmen spielt "Die Wendeltreppe" aber nicht in den USA der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Schauplatz ist auch keine düstere Großstadt, sondern eine idyllische Kleinstadt – oder vielmehr ein abgelegenes Herrenhaus.


Fulminant ist schon die Exposition, die mit einer Kamerafahrt durch die Stadt mit der Parallelität von Pferdekutschen und Autos in das beginnende 20. Jahrhundert versetzt. Mit dem Blick auf ein Hotel, in dem ein Stummfilm mit Klaviermusik aufgeführt wird, kommt eine weitere Erfindung dieser Zeit ins Spiel.


Wie der Stummfilm bleibt auch "Die Wendeltreppe" in dieser Szene wortlos und vertraut ganz auf die Bilder und die Klaviermusik. Unter den Zuschauer:innen pickt die Kamera von Nicholas Musuraca, der sich auch bei den Klassikern "Cat People" oder "Out of the Past" als Meister des Chiaroscuro erwies, die stumme Helen (Dorothy McGuire) heraus. Ihre Wortlosigkeit, die später mit einem traumatischen Kindheitserlebnis erklärt wird, korrespondiert mit der Stummheit des Films.


Von diesem improvisierten Kinosaal steigt die Kamera in die darüber gelegene Wohnung auf, in der sich eine hinkende Frau ankleidet. Als sie aber den Wandschrank öffnet, erfasst die Kamera dahinter in Detailaufnahme ein Auge. Meisterhaft spielt Siodmak hier mit dem Voyeurismus, der immer auch die Zuschauer:innen eines Films kennzeichnet.


Mit einem Schnitt übernimmt die Kamera die subjektive Perspektive des Blickenden, lässt ihn aus dem Wandschrank heraustreten und die Frau ermorden. Mehr angedeutet als breit geschildert wird aber die Tat und überlässt damit viel der Fantasie der Zuschauer:innen.


Vom Mord schneidet Siodmak nun wieder in den Kinosaal, wo praktisch parallel mit dem Tod der Frau der Film endet und mit einem lauten Geräusch die Kinobesucher:innen auf das Geschehen im Obergeschoss aufmerksam gemacht werden. Erst wenn die Tote gefunden wird, fällt das erste Wort.


Das Bild einer Welt, in der man niemandem trauen kann, wird aufgebaut, wenn der Inspektor erklärt, dass jeder in der Stadt der Mörder sein könne und dieser im Alltag wohl ein biederer Bürger sei. Gleichzeitig sorgt man sich aber um die junge Helen, die nach einer Frau mit Narbe, einer mit geistiger Beeinträchtigung und der hinkenden Frau, das nächste Opfer sein könnte.


Romantische Stimmung kommt auf, wenn sie der junge Doktor Parry (Kent Smith), der in Konkurrenzkampf zum älteren und alteingesessenen Kollegen steht, Helen mit seiner Kutsche mitnimmt. Doch dieser Moment der Ruhe schlägt schon wieder in Spannung um, wenn Helen das letzte Stück des Weges durch Heide und Wald allein zurücklegen muss.


Meisterhaft evozieren hier Siodmak und Musuraca mit ihrem Spiel mit Licht und Schatten und Geräuschen vom Knacken eines Zweigs bis zum aufziehenden Gewitter ein Gefühl der Bedrohung und Verfolgung. – Tatsächlich wird Helen vor dem Haus auch von einem Mann mit schwarzem Regenmantel beobachtet, dessen Perspektive die Kamera hier wieder übernimmt.


Zum einzigen Schauplatz macht Siodmak nach dieser Exposition das Haus. Konzentriert auf Helen, die bettlägerige Hausherrin (Ethel Barrymore), ein älteres Haushälterehepaar, eine Sekretärin und die beiden ungleichen Söhne der Hausherrin entwickelt sich die Handlung. Erscheint beim ersten Auftreten noch der recht rohe Hausangestellte als möglicher Täter, so konzentriert sich der Verdacht bald auf den jüngeren Sohn Stephen (Gordon Oliver) , der nach längerer Abwesenheit aus Europa zurückgekehrt ist.


Diesem Schürzenjäger steht sein älterer Stiefbruder (George Brent) gegenüber, der besonnen wirkt und sich liebevoll um seine Stiefmutter kümmert. Die Mutter scheint aber ihren Söhnen nicht zu trauen und glaubt, dass Helen im Haus in Gefahr ist. Doch Pläne dieses noch in der Nacht zu verlassen scheitern ebenso wie Helens durch ihre Stummheit eingeschränkten Versuche, Hilfe zu bekommen.


Die Handlung ist einfach gestrickt und bietet Siodmak und Musuraca vor allem Gelegenheit, um zu demonstrieren, wie man mit filmischen Mitteln Atmosphäre und Spannung aufbauen kann. Beim wiederholten Gang über die Wendeltreppe in den Keller spielen sie so immer wieder im Stil des deutschen expressionistischen Films mit Licht und Schatten und lassen andererseits in tiefenscharfen Einstellungen die Figuren sich in den langen Gängen und großen, aber überladenen Räumen verlieren.


Dazu kommt auf der Tonspur das Gewitter mit Donner, Blitzen und klappernden Fensterläden, das während des ganzen Films tobt. Eine untergeordnete Rolle spielt dagegen, passend zur Protagonistin, der Dialog. Immer wieder laufen lange Szenen ganz ohne Worte ab und leben allein von der visuellen Gestaltung und der Geräuschkulisse.


Wohligen Gothic Horror verbreitet so "Die Wendeltreppe" bringt aber gleichzeitig noch eine zeitgenössische Komponente ins Spiel, wenn erwähnt wird, dass der verstorbene Vater überzeugt war, dass nur der Starke überleben dürfe, der Schwache aber vernichtet werden müsse. Wenig verwunderlich ist so auch, dass dieser Vater Großwildjäger war.


Seine Einstellung scheint aber auch die im Grunde schwachen Söhne geprägt zu haben. So fließt der "rassenhygienische" Wahnsinn des Nationalsozialismus in diesen unmittelbar nach Kriegsende entstandenen Psychothriller ein. Der wahre Horror des tausendfachen Mords an "lebensunwertem Leben" und der Wahnsinn dieses Denkens wird an einer kleinen Geschichte und im Gewand eines packenden Thrillers sichtbar gemacht.


An Sprachversionen bieten die bei Filmjuwelen erschienene DVD und Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen. Die Extras umfassen neben dem originalen und dem deutschen Kinotrailer sowie einer 30-minütigen Hörspielfassung des Films ein Booklet mit einem informativen Text von Roland Mörchen sowie einen Audiokommentar von Rolf Giesen.


Glaubt man bei Letzterem zunächst, dass Giesen dieses Mal wirklich auf den Film eingeht, wenn er die Eröffnungsszene beschreibt, über Veränderungen gegenüber Ethel Lina Whites Roman "Some Must Watch" und Vorbilder für den Film spricht, so wendet er sich doch bald der ausladenden Schilderung der Produktionsgeschichte von "Die Wendeltreppe", der nationalsozialistischen "Rassenhygiene" und den Biographien Robert Siodmaks und des Produzenten Dore Shary zu. Phänomenal ist zweifellos Giesens Wissens und ebenso spannend wie informativ sind seine Ausführungen, doch wie auch bei seinen anderen Audiokommentaren nimmt der deutsche Filmwissenschaftler und Filmjournalist praktisch nie konkret auf Filmszenen Bezug.


Trailer zu "Die Wendeltreppe - The Spiral Staircase"


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