Im Sommer 1923 verliebt sich der 40-jährige Franz Kafka an der Ostseeküste in die 15 Jahre jüngere Dora Diamant, doch der Autor ist schon schwer gezeichnet von Tuberkulose: Georg Maas und Judith Kaufmann haben mit viel Feingefühl aus Michael Kumpfmüllers gleichnamigem Roman einen sehr stimmigen, melancholischen Liebesfilm geformt, der von den beiden Hauptdarsteller:innen Henriette Confurius und Sabin Tambrea getragen wird.
Urlaubsstimmung herrscht an der Ostsee und doch verbreiten die blassen Farben schon eine gedämpfte Stimmung. Hier lernt der tuberkulosekranke Franz Kafka (Sabin Tambrea) die 25-jährige Jüdin Dora Diamant (Henriette Confurius) kennen, die in Berlin in einem Kinderheim arbeitet. Fasziniert ist er nicht nur, wie sie mit einer Freundin am Strand tanzt und eine Lebensfreude ausstrahlt, die in starkem Gegensatz zu seinen Selbstzweifeln steht, sondern auch von ihrer Kenntnis der jüdischen Kultur und der hebräischen Sprache.
Aber auch ihre Selbstständigkeit beeindruckt ihn. Sie hat sich nämlich von ihrer ostjüdischen Familie gelöst und lebt allein in Berlin, während er immer noch unter dem Einfluss seines Vaters, aber auch seiner Schwester Elli (Daniela Golpashin) steht, die ihn auch mit ihren Kindern beim Urlaub an der Ostsee begleitet. Ihr wiederum imponiert sein Sprachgefühl und sein feiner Witz, sodass sie sich rasch näherkommen.
Geradlinig und unspektakulär erzählen Georg Maas und die Kamerafrau Judith Kaufmann. Hier wird nicht nur nichts aufgebauscht, sondern auch nichts Kafkaeskes hat dieser melancholische Liebesfilm in seiner Einfachheit, besticht vielmehr durch Zartheit und Unaufgeregtheit.
Nicht nur der schwache Gesundheitszustand, sondern auch "Die kleine Fabel", die Kafka am Strand begeisterten Kindern erzählt, wirft dabei freilich schon einen dunklen Schatten voraus. Wenn in der kurzen Geschichte auf die Maus vorne die Falle und hinten die Katze wartet, macht das schon unmissverständlich klar, dass es vor dem Tod kein Entkommen gibt.
Doch noch ist es nicht so weit. Zwar kehrt Kafka zunächst auf Druck seiner Eltern nach Prag zurück, zieht dann aber doch nach Berlin zu Dora. Doch sein Gesundheitszustand verschlechtert sich sukzessive. Atmosphärisch dicht evoziert Kaufmann mit kalten Farben die bedrückenden Verhältnisse mit kalter, nur von einem alten Ofen erwärmten Wohnung und Inflation.
Kein großes Ausstattungskino ist hier nötig um die Stimmung des Berlins der frühen 1920er Jahre zu vermitteln, sondern ganz auf die Beziehung von Franz und Dora fokussieren Maas / Kaufmann und lassen in jedem Blick, jeder Geste und jedem Wort das Glück und die Wärme ihrer Liebe spüren.
Mit ihr erfährt Kafka die in seinen Tagebüchern beschriebene "Herrlichkeit des Lebens" und wie zuletzt Wim Wenders in "Perfect Days" so feiern auch Maas und Kaufmann in Kafkas Nachfolge die Größe des kleinen Glücks beim Anblick der Geliebten beim Halten eines Weinglases oder beim Binden der Schuhe. Kongenial passt zu dieser Feier der kleinen Dinge der leise Erzählton und der Verzicht auf Dramatisierung. Langsam entwickelt "Die Herrlichkeit des Lebens" so seine emotionale Kraft und nistet sich sukzessive stärker im Herz der Zuschauer:innen ein.
Eindringlich vermittelt das Regie-Duo aber auch Kafkas schwierige Beziehung zu seinem dominanten Vater, der im Film zwar nur einmal kurz auftaucht, aber aus dem Hintergrund ihn überlagert. Aber auch die Unzufriedenheit Kafkas mit seinen Werken wird spürbar, wenn er sie nie zu Ende führt und teilweise im Ofen verbrennt.
Unaufdringlich werden so Teile seines Werks von "Die kleine Fabel" und "Brief an den Vater" über "Die Verwandlung" bis zu "Ein Hungerkünstler" und "Eine kleine Frau" eingebaut. Kein großer schriftstellerischer Erfolg stellt sich hier ein, sondern seinem Freund Max Brod (Manuel Rubey) trägt er sogar auf, nach seinem Tod sämtliche Schriften und Briefe zu vernichten.
Getragen wird so ein Liebesdrama aber immer von seinen Schauspieler:innen. Großartiges leisten hier Sabin Tambrea und Henriette Confurius. Sie spielen so zurückhaltend und unaufdringlich wie Maas und Kaufmann inszenieren. Berührend versprüht Tambrea zunächst sanften Witz und vermittelt dann mit zunehmend blasserem Gesicht und abgemagertem Körper den langsamen Verfall Kafkas, der knapp ein Jahr nach der ersten Begegnung mit Dora am 3. Juni 1924 in einem Sanatorium bei Klosterneuburg starb, während Confurius nicht nur die Lebensfreude, sondern vor allem die tiefe Liebe Doras spüren lässt.
Die Herrlichkeit des Lebens
Deutschland 2023
Regie: Georg Maas, Judith Kaufmann
mit: Henriette Confurius, Sabin Tambrea, Manuel Rubey, Daniela Golpashin, Leo Altaras, Luise Aschenbrenner, Alma Hasun, Mia Klein Salazar, Mira Griesbaum
Länge: 98 min.
Läuft derzeit in den deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. - Ab 7. Juni in den österreichischen Kinos.
Trailer zu "Die Herrlichkeit des Lebens"
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