Wie wenigen Regisseuren der Gegenwart gelingt dem Amerikaner David Fincher der Spagat zwischen großem Kino mit Blockbusterqualitäten und persönlicher Handschrift. Im Gewand von Thrillern erzählt er im Kern immer wieder von der Verlorenheit des Menschen in der modernen kapitalistischen Konsumwelt. Sechs Jahre nach "Gone Girl" läuft nun mit "Mank" sein neuer Film in den (Schweizer) Kinos und ab 4. 12. auf Netflix.
Von klein auf begeisterte sich der am 28. August 1962 in Denver, Colorado, geborene David Fincher fürs Filmemachen. Eine Filmschule besuchte er nie, begann 1980 als Assistent bei George Lucas´ Special-Effects-Firma "Industrial Light and Magic", gründete 1986 zusammen mit späteren Regisseuren wie Michel Gondry und Michael Bay die Produktionsfirma "Propaganda Films" und drehte in der Folge Musikvideos für Künstler wie Michael Jackson, Madonna oder die Rolling Stones ebenso wie Werbefilme unter anderem für Budweiser, Adidas, Chanel oder Heineken.
Düster fiel schon "Alien 3" (1992) aus, mit dem Fincher als Spielfilmregisseur debütierte, sein Durchbruch gelang ihm drei Jahre später mit "Se7en" (1995). In diesem Serienkillerfilm in der Nachfolge des Oscar-Siegers "The Silence of the Lambs" (1991) fällt kein Sonnenstrahl in die verregnete amerikanische Großstadt. Kaum einmal wird ein Himmel sichtbar, der ein Gefühl von Freiheit vermitteln könnte. Atmosphärisch ungemein dicht evoziert Fincher diese Vorhölle, in der zwei Cops (Morgan Freeman und Brad Pitt) nach einem Psychopathen fahnden, der seine Opfer entsprechend den sieben Todsünden ermordet. Kein Entkommen scheint es aus dieser Welt zu geben und auch die Polizisten werden schließlich in das grausame Spiel involviert.
Ging es in "Se7en" um Laster, denen sich der Mensch offensichtlich nicht entziehen kann, so stellte Fincher in seinem nächsten Film – durchaus auf der Höhe der Zeit – die menschliche Lust am Spiel in den Mittelpunkt. In "The Game" (1997) erhält ein Investmentbanker, der zu keinen Emotionen mehr fähig ist, zum Geburtstag die Teilnahme an einem Spiel geschenkt, das ihn in zunehmend gefährlichere Situationen bringt. Auf diese Auseinandersetzung mit der Spielsucht folgte mit "Fight Club" (1999) die Thematisierung des Konsumismus und wiederum des sinnentleerten Lebens, das den Protagonisten, nur um sich selbst wieder zu spüren und zu erfahren, zunächst in brutale Boxkämpfe treibt. Bald aber beginnt er diese Gruppe Unzufriedener zu organisieren und baut eine faschistische Truppe auf.
Stück für Stück arbeitet Fincher Themen durch, die den westlichen Menschen existentiell betreffen. Auf Sündhaftigkeit, Spielsucht und Gewaltbereitschaft folgte 2002 – wie als Reflex auf 9/11 – mit "Panic Room" ein Thriller über die Sehnsucht nach absoluter Sicherheit, die schließlich ins Gegenteil, nämlich die totale Ausgeliefertheit in einem absolut einbruchsicheren Raum, kippt. Auf historischen Boden begab sich der Amerikaner mit "Zodiac" (2007), in dem er von der Jagd auf einen Serienmörder, der Ende der 1960er Jahre San Francisco in Angst und Schrecken versetzte, erzählt. Fincher interessiert aber weniger der Täter als vielmehr, wie die zunehmend obsessiven Ermittlungen die Fahnder selbst zerfressen.
Im Gegensatz zu diesem sehr zurückhaltend, aber ungemein konzentriert inszenierten Thriller demonstrierte Fincher in "The Curious Case of Benjamin Button» (2008) lustvoll seine Regiekünste. Auf der Basis einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald entwickelte er einen fast dreistündigen Film, dessen Handlung sich beinahe über das ganze 20. Jahrhundert spannt. Sanfter als seine Thriller ist dieses groteske Epos über einen als Greis geborenen Mann, der immer jünger wird, und doch durchzieht auch "Benjamin Button" in seiner melancholischen Schilderung der Unmöglichkeit einer glücklichen Beziehung eine tief pessimistische Weltsicht.
Ganz ohne Action kommt auch "The Social Network" (2010) aus, in dem von der Entstehung von Facebook erzählt wird. Ungemeinen Drive entwickelt der ähnlich wie "Citizen Kane" multiperspektivisch erzählte Film mit schnellen Dialogen und rasantem Schnitt. Doch wieder steht weniger die faktische Geschichte als vielmehr das Porträt des Facebook-Erfinders Marc Zuckerberg (Jesse Eisenberg) im Mittelpunkt, den Fincher mit böser Ironie als einsamen Egozentriker schildert, als Soziopathen, der selbst keine Freunde hat.
Nach der Stieg Larsson Verfilmung "Verblendung" (2011), die zwar perfekt inszeniert ist, es aber an Abgründigkeit vermissen lässt, folgte mit "Gone Girl" (2014) ein weiteres meisterhaftes Thrillerdrama. Verpackt in das Verschwinden und die vermutliche Ermordung einer Frau zeichnet Fincher dabei ein vernichtendes Bild der Ehe und deckt grimmig den Widerspruch zwischen Selbstinszenierung und Realität auf.
Weniger der Inhalt als vielmehr die ungemein konsequente, von Inbrunst durchzogene Inszenierung macht die Filme dieses Perfektionisten, der den achtminütigen Anfangsdialog von "The Scoial Network" mit Jesse Eisenberg und Rooney Mara angeblich 99 Mal drehen ließ, zu bestechenden Kommentaren zur heutigen Gesellschaft. Die Arbeiten des 58-jährigen Amerikaners sind nämlich nicht nur - geprägt von seiner Erfahrung als Werbe- und Videoclipfilmer - visuell aufregend, sondern vermitteln auch in jeder Szene, dass der Regisseur bedingungslos hinter seinen Filmen steht, dass es ihm nicht nur darum geht souverän eine Geschichte zu erzählen, sondern über die Erzählung seine düstere Vorstellung der kapitalistischen westlichen Welt zu vermitteln und das Innere der Figuren, die er sich immer einverleibt und zu seinen Figuren macht, nach außen zu kehren.
Nach der Mitarbeit teils als Regisseur, teils als Executive Producer bei mehreren Serien wie "House of Cards" (2013 – 2018), "Mindhunter" (seit 2017) oder "Love, Death and Robots" (seit 2019) kehrt Fincher nun mit der Netflix-Produktion "Mank" zumindest für kurze Zeit in die Kinos zurück. Im Mittelpunkt steht dabei der Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz und das Hollywood der 1930er Jahre.
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