Ende des 19. Jahrhunderts wird ein britischer Arzt nach Osteuropa ins Schloss eines mysteriösen Barons gerufen, der die Jugendliebe des Arztes geheiratet hat. – Bei Koch Media ist der 1961 entstandene schwarzweiße Gruselfilm, der für wohlige Schauer sorgt und solide Spannung bietet, als erster Titel der William Castle Collection in einem Mediabook auf DVD und Blu-ray erschienen.
Ein Insert gibt mit „London 1880“ Ort und Zeit der Handlung an. In für einen Gruselfilm üblichen Nebel ist die englische Hauptstadt getaucht, für Überraschung sorgt aber, dass ein scheinbarer Passant sich direkt an die Zuschauer wendet, sich als Regisseur William Castle vorstellt, in den Film einführt und gute Unterhaltung wünscht. Kurz vor Schluss wird sich Castle nochmals zu Wort melden und dem Zuschauer zwei Enden zur Wahl anbieten.
So überraschend diese Illusionsbrüche sind, so klassisch, geradlinig und schnörkellos erzählt der 1914 geborene B-Film-Spezialist dazwischen. Von der Stadtansicht wechselt der Film in ein Krankenhaus, in dem der Arzt Robert Cargrave (Ronald Lewis) mittels Kompressen und Massage das gelähmte Bein eines Mädchens, dessen Krankheit wohl mehr psychisch als physisch bedingt war, heilt. Neben einem Päckchen mit einer neuartigen Spritze erhält der angesehene Arzt auch einen Brief, in dem ihn seine Jugendliebe Maud, die auf Druck ihres Vaters einen anderen Mann heiratete, bittet, sie dringend und rasch in Osteuropa im Schloss ihres Mannes zu besuchen.
Nichts ist hier überflüssig, die Präsentation von Heilmethode und Spritze bereitet schon spätere Szenen vor. Während im Original freilich die Reise nach Polen geht, ist in der deutschen Synchronisation von Transsylvanien die Rede. Assoziationen an „Dracula“ sollen hier geweckt werden und zudem wird in der deutschen Fassung mehrfach von Vampiren gesprochen, während im Original von einem Ghul, also von einem leichenfressenden Fabelwesen, die Rede ist.
So sehr die deutsche Fassung damit in eine falsche Richtung lenkt, so sehr bedient doch auch William Castle in seiner Inszenierung die Assoziationen. Unübersehbar ließ er sich nämlich bei Roberts Fahrt mit dem Schiff über das nebelverhangene Meer, beim Schock des Bahnhofsvorstehers bei der Frage nach Mr. Sardonicus und bei der anschließenden Kutschenfahrt durch eine tote, von abgestorbenen Bäumen bestimmte Gegend von Klassikern wie Todd Brownings „Dracula“ und F. W. Murnaus „Nosferatu“ inspirieren.
Ist Robert im Schloss angekommen, wird dieses kaum mehr verlassen. Mit den Augen des britischen Arztes taucht der Zuschauer in diese Welt ein, ist immer auf dessen Wissensstand. Schon bei der Ankunft verstört ihn die Behandlung oder Folter einer Dienerin mit Blutegeln, auch dass es weder Bilder noch Spiegel gibt, wird ihn irritieren.
Aber auch der Hausherr, der stets mit Gesichtsmaske auftritt, verunsichert nicht nur ihn, sondern auch den Zuschauer. Geschickt vermeidet Castle es lange das Gesicht von Sardonicus zu zeigen – der Name wird im Film mit dem Lateinischen sardonicus, dem durch Lachen grimmig verzerrten Gesicht, erklärt -, regt somit die Fantasie des Zuschauers an. Wenn es dann doch gezeigt wird, ist unübersehbar, dass Paul Lenis Stummfilm „The Man Who Laughed“ (1928) als Vorbild diente.
Bald wird klar, wieso der Arzt in dieses Schloss gerufen wurde und welche Rolle seine Jugendliebe dabei spielt oder spielen soll. Ein Entkommen scheint es nicht zu geben, denn im einäugigen Krull, der vom Exil-Österreicher Oskar Homolka großartig gespielt wird, hat Sardonicus einen Helfer, der ihm treu ergeben ist und jeden seiner Befehle ausführt.
Schockmomente gibt es in diesem Schwarzweißfilm kaum, aber wohligen Grusel verbreitet Castle und sorgt mit funktionaler Inszenierung und dem weitläufigen Schloss, in dem auch verschlossene Räume nicht fehlen, für dichte Atmosphäre und solide Spannung. Und anhand der konkreten Geschichte erzählt „Der unheimliche Mr. Sardonicus“ auch von verderblicher Gier, von wachsender Aggression aufgrund von Entstellung und daraus resultierender Ausgrenzung und schließlich auch von Rache.
An Sprachversionen bieten die bei Koch Media in einem Mediabook als erster Titel in der „William Castle Collection“ erschienene DVD und Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen. An Extras werden neben einem Booklet Featurettes über Entstehung, Inhalt, Vorbilder des Films und über den Auftritt Castles am Ende des Films sowie Trailer und Bildergalerie geboten, vor allem aber ein informativer deutschsprachiger Audiokommentar des Filmjournalisten Robert Zion, der das bislang einzige – inzwischen aber vergriffene - Buch über Robert Castle verfasst hat.
Trailer zu "Der unheimliche Mr. Sardonicus"
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