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Der Lehrer, der uns das Meer versprach - El maestro que prometió el mar

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
"Der Lehrer, der uns das Meer versprach": Bewegender Spielfilm über reformpädagogische Ansätze und den Terror der Franco-Diktatur
"Der Lehrer, der uns das Meer versprach": Bewegender Spielfilm über reformpädagogische Ansätze und den Terror der Franco-Diktatur

Patricia Font erinnert in ihrem bewegenden Spielfilm über den Reformpädagogen Antonio Benaiges (1903 – 1936) nicht nur an die Opfer der Franco-Diktatur, sondern feiert auch einen Unterricht, durch den die Neugierde der Schüler:innen und die Freude am entdeckenden Lernen gefördert wird.


Bedrückend setzt Patricia Fonts Langfilmdebüt mit der Aushebung eines Massengrabs ein. Nicht nur Knochen werden hier geborgen, sondern auch eine Brille, ein Kamm und eine Halskette. Mehr als durch die Knochen gewinnen die Opfer durch diese Accessoires Persönlichkeit. Die Details machen bewusst, dass hinter den Skeletten Menschen aus Fleisch und Blut standen, deren Leben abrupt beendet wurde.


Später wird eine Karte Spaniens mit zahlreichen roten und grünen für schon ausgehobene und noch ungeöffnete Massengräber anschaulich vor Augen führen, wie zahlreich die Opfer des Franco Regimes waren. Laut spanischem Justizministerium sind 2567 Massengräber mit ungefähr 58 000 Opfern registriert, doch die tatsächliche Zahl der während des Spanischen Bürgerkriegs (1936 – 1939) und der anschließenden Diktatur (bis 1975) verschwundenen und ermordeten Menschen wird auf mindestens 100.000 bis 150.000 geschätzt.


Carlos war damals ein Kind und ist im Jahr 2010 ein alter Mann, der in einem Seniorenheim in Barcelona lebt. Am Lebensende möchte er noch erfahren, was mit seinem republikanischen Vater passiert ist. Da er zu Recherchen aber nicht mehr in der Lage ist, übernimmt seine Enkelin Ariadna (Laia Costa) diese Aufgabe. Ihre Mutter dagegen würde die Vergangenheit lieber ruhen lassen.


In diesen beiden Figuren spiegelt sich auch der Umgang Spaniens mit seiner Geschichte. Während die Elterngeneration nämlich kein Interesse an einer Aufarbeitung der Diktatur zeigte und die Vergangenheit über Jahrzehnte verdrängt wurde, wurde etwa ab dem Jahr 2000 begonnen, die Massengräber zu öffnen.


So reist Ariadna gegen den Willen ihrer Mutter von Barcelona zur Ausgrabungsstätte bei einem Dorf in der Nähe der Stadt Burgos. Als sie dort auf einen Mitschüler ihres Großvaters trifft, setzen von der Gegenwartshandlung mehrfach unterbrochene Rückblenden ein, die in das Jahr 1935 führen und die auf Tatsachen beruhende Geschichte des Lehrers Antonio Benaiges (1903 – 1936; Enric Auquer) erzählen.


Benaiges kam damals als junger Lehrer ins nordspanische Dorf und brachte die in Frankreich in den 1920er Jahren entwickelte Freinet-Pädagogik mit. Mit seinen neuen Methoden begeistert er rasch die Kinder und sitzen in der ersten Stunde nur zwei Schüler:innen in der Klasse, so füllt sich in den nächsten Tagen der Raum rasch.


Denn nun sollen die Schüler:innen ihren Lehrer duzen und auch die Bürgermeistertochter hat kein Vorrecht auf einen Platz, sondern jeder kann sitzen, wo er will. Die Schüler:innen zu schlagen kommt für Antonio überhaupt nicht in Frage, dafür fördert er die Neugierde und das entdeckende Lernen, wenn er eine Druckerpresse mitbringt, mit der die Kinder ihre Texte selbst drucken.


Geschönt mag die Schilderung dieses positiven Unterrichts ebenso wie die Zeichnung von Benaiges sein und zu sehr mögen Font und ihr Kameramann David Valldepérez in warmem Licht und hellen Grau- und Beigetöne schwelgen, die dem ärmlichen Milieu alles Bedrückende nehmen. Auch dass für den einzigen roten Farbakzent zweimal das Hemd des Kommunisten Benaiges sorgt, wirkt aufgesetzt, doch insgesamt erzählt die Spanierin sehr rund und mit viel Feingefühl, wenn auch konventionell und kantenlos.


Geschickt beschränkt Font sich bei der Klasse auch auf drei Schüler:innen, während die restlichen nur dazu dienen das Klassenzimmer zu füllen. An der Tochter des Bürgermeisters, dem Sohn eines Arbeiters und dem eines Republikaners können nämlich unaufdringlich nicht nur unterschiedliche Positionen aufgezeigt werden, sondern auch die integrative Kraft dieses Lehrers und seines Unterrichts vermittelt werden.


Nach anfänglichem Widerstand wird er nämlich schließlich von allen Eltern die Zustimmung zu einer Klassenreisefahrt ans Meer erhalten und auch den Schulinspektor wird er mit seinem Unterricht begeistern. Einzig den Priester hat sich der Atheist zum Feind gemacht, als er das Kreuz aus der Klasse entfernte.


Mit der Kirche ist so ein Grundpfeiler der folgenden Diktatur Francos präsent, während ein weiterer mit dem Putsch im Juli 1936 mit dem Militär ins Spiel kommt. Der Bürgermeister und die Bevölkerung erscheinen dagegen als zu schwach, um der Einschüchterung und der Gewalt Widerstand zu leisten.


So erzählt "Der Lehrer, der uns das Meer versprach" auch von fehlender Zivilcourage und Verrat in Zeiten des Terrors, und erinnert mit der 2010 spielenden Rahmenhandlung an die Nachwirkungen der Franco-Diktatur. Mit diesem Rahmen entreißt Font ihren bewegenden Spielfilm, der nur am Ende rührselig wird, dem historischen Nacherzählen, macht die Bedeutung der Aufarbeitung der Vergangenheit bewusst und baut dabei auch unaufdringliche familiäre Generationslinien auf, wenn der Bogen von Ariadnas wohl ermordetem Urgroßvater über ihren Großvater bis zu ihrer Mutter und ihrer noch kleinen Tochter gespannt wird.

 

Der Lehrer, der uns das Meer versprach - El maestro que prometió el mar

Spanien 2023 Regie: Patricia Font mit: Enric Auquer, Laia Costa, Luisa Gavasa, Ramón Agirre, , Alba Hermoso, Gael Aparício Länge: 105 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos.

Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 12.3., 20 Uhr + Mo 17.3., 18 Uhr LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 25.6., 19 Uhr



Trailer zu "Der Lehrer, der uns das Meer versprach"


 

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