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  • AutorenbildWalter Gasperi

Clint Eastwood - Gesammelte Filmrezensionen

Aktualisiert: 30. Mai 2020


Alphabetisch geordnet im Folgenden in den letzten zwei Jahrzehnten verfasste Rezensionen zu Filmen von Clint Eastwood.



American Sniper (2014)

Clint Eastwoods für sechs Oscars nominiertes Biopic über Chris Kyle, der mit 160 Tötungen im Irakkrieg als der «erfolgreichste» Scharfschütze der US-Geschichte gilt, wurde in den USA ausgesprochen kontrovers aufgenommen. Einerseits wurde «American Sniper» als faschistisch kritisiert, andererseits als Antikriegsfilm und klares Statement gegen den Waffenwahn gelobt. - So einfach in eine Schublade pressen lässt sich der jüngste Film des 85-Jährigen allerdings nicht.

Mitten hinein ins Kriegsgeschehen im irakischen Falludscha wirft Clint Eastwood den Zuschauer. Vor den ersten Bildern hört man schon den Ruf des Muezzins, der vom Geräusch eines Panzers unterbrochen wird. Eine US-Einheit rückt durch die zerbombten Straßen vor, gesichert durch den Scharfschützen Chris Kyle (Bradley Cooper), der von einem Hausdach aus, die Lage überwacht. Als eine Frau mit Kind aus einem Haus tritt, eine Granate dem Jungen übergibt und ihn Richtung US-Trupp schickt, muss Kyle handeln.

Wie er reagiert, schiebt Eastwood aber rund 20 Minuten auf, blendet vom Finger am Abzug zurück zur ersten Jagd des jungen Chris, führt in sein Elternhaus, in dem der dominante Vater die Menschen in Schafe, Wölfe und Hirtenhunde unterteilt und von seinen Söhnen fordert, letzteres zu werden.

Geschockt vom Anschlag auf die US-Botschaften von Daressalam und Nairobi im August 1998 meldet Kyle sich zur Armee und wird in die US-Navy Seals aufgenommen. Kurz nach seiner Heirat wird er zum ersten Einsatz in den Irak eingezogen, drei weitere werden folgen.

Für die Hintergründe des Irak-Kriegs interessiert sich Eastwood nicht. Er erzählt konsequent aus der Perspektive Kyles, nimmt den Zuschauer praktisch in Geiselhaft und zwingt ihn durch die Wahl der Perspektive, um den Scharfschützen zu zittern. Während ausführlich gezeigt wird, wenn ein US-Soldat verwundet wird, bekommen die Iraker und ihr Leiden kein Gesicht, sondern werden nur als gefährliche Feinde gezeichnet.

Eindeutig Position bezieht Eastwood hier, doch zum Helden verklärt er seinen Protagonisten dennoch nicht. In der nüchternen Erzählweise hält er Distanz zu diesem von Bradley Cooper mit starker physischer Präsenz, aber zurückhaltend gespielten Scharfschützen, zeigt bei den Heimaturlauben, wie ihn die Kriegserfahrungen zunehmend verändern, er auch im amerikanischen Alltag auf Schritt und Tritt an den Krieg erinnert wird, überall Kriegsgeräusche hört und nicht abschalten kann.

Kein Urteil fällt Eastwood über seinen Protagonisten, sondern beschränkt sich auf genaue Beobachtung von Handlungen, glättet aber andererseits diesen umstrittenen Soldaten doch wieder, indem er dessen schweren Eheprobleme weitgehend und dessen Alkoholproblem ebenso völlig ausspart wie das von ihm verbreitete Gerücht, dass er während des Hurrikanes Katrina im Katastrophengebiet Jagd auf Plünderer gemacht habe: Was nicht ins Bild des achtsamen Hirtenhundes passt, wird weggelassen.

Denn genau als solchen will Eastwood diesen Scharfschützen präsentieren, als einen Mann, der etwas für sein Land, das seiner Meinung nach das beste der Welt ist, tun will, der die amerikanischen Soldaten schützen will und dafür tötet. Durchaus Bedenken gesteht ihm der erklärte Republikaner Eastwood zwar zu, wenn Kyle auf ein Kind zielt, das eine Panzerfaust aufhebt, doch letztlich lässt er ihn einem Psychiater gegenüber auch erklären, dass er keinen seiner Schüsse bereue, sondern nur, dass er nicht noch mehr US-Soldaten retten konnte.

Und darin liegt natürlich wieder die Ambivalenz des Films und dieser Figur, denn jeder Schuss rettet tatsächlich wieder das Leben von US-Soldaten. Dass Kyle selbst freilich in seiner Autobiographie, die dem Film zugrunde liegt von seiner Freude am Töten von feindlichen Kämpfern, die er als «Barbaren» bezeichnete, schreibt, spart der Film wiederum aus.

Ganz auf seinen Protagonisten konzentriert sich Eastwood, liefert keine Stellungnahme zum Irak-Krieg. Satt Botschaften zu transportieren beschränkt er sich darauf in klassischer Hollywood-Tradition, unterstützt vom Oscar gekrönten Tonschnitt von Alan Robert Murray und Bub Asman und seinem Stammkameramann Tom Stern, wie Kathryn Bigelow in «The Hurt Locker» hautnah und realistisch vom Krieg zu erzählen.

Dabei verzichtet er abgesehen von einem überflüssigen Effekt bewusst auf großen filmischen Zauber, sondern inszeniert unspektakulär, schnörkellos und funktional. Von Einsatz zu Einsatz steigert er einerseits die Gefahr – und damit auch die Spannung -, bis zu einem im Western-Stil hochstilisierten Showdown mit einem gegnerischen Scharfschützen und einem beunruhigenden Kampfgeschehen und einer Rettungsaktion in einem dichten Sandsturm. Andererseits macht die Verschränkung der Kriegseinsätze mit den Heimaturlauben erfahrbar, wie - ein klassischer Topos des Kriegsfilms seit William Wylers «The Best Years of Our Lives» über «The Deer Hunter» bis «The Hurt Locker» - die Rückkehr ins bürgerliche Leben immer schwerer wird.

So bedenklich der Film im konsequenten Erzählen aus der amerikanischen Perspektive und im eingeschränkten Blick auf den Irak-Krieg ist, so faszinierend ist er doch gerade wieder im ambivalenten Blick auf Kyle, im Wechselspiel zwischen dem, was gezeigt wird und wie es gezeigt wird.

Geschickt entgeht Eastwood dabei auch im Finale der Glorifizierung, wenn er weder Kyles Ermordung im Jahre 2013 auf einem Schießstand in Texas zeigt noch dessen Begräbnis nachinszeniert. Indem «American Sniper» nur über TV-Bilder, die in den Nachspann verbannt sind, einen Eindruck von Kyles Verehrung durch die Massen vermittelt, spielt er wieder dem Zuschauer die Aufgabe zu, ein Urteil zu fällen.

Der fremde Sohn – Changeling (2008)

Nach einem wahren Fall, der sich 1928 in Los Angeles ereignete, erzählt Clint Eastwood von einer Mutter, die sich mit der korrupten Polizei anlegt. Denn einige Monate nachdem Christine Collins ihren neunjährigen Sohn als vermisst meldete, präsentiert die Polizei ihr einen wildfremden anderen Jungen als ihren eigenen.

Es beginnt in Schwarzweiß mit dem Universal-Logo und einem Schwenk über das Los Angeles des Jahres 1928. Erst langsam geht das Bild in Farbe über, wobei die Töne blass und fahl bleiben. So schafft Clint Eastwood, unterstützt durch Kulissen und Kostüme, schon in den ersten Einstellungen Atmosphäre und lässt den Zuschauer in die Welt und die Zeit seines Films eintauchen.

Ein ruhiges Erzähltempo wird angeschlagen, wenn die allein erziehende Christine Collins (Angelina Jolie) und ihr neunjähriger Sohn Walter vorgestellt werden und gleich schon als zentrales, sich durch den Film ziehendes Thema von Verantwortung geredet wird. Liebevoll kümmert sich Christine um ihren Sohn, doch dieser ist, als sie von einer außertourlichen Samstagsschicht bei der Telefongesellschaft, für die sie arbeitet, verspätet zurückkehrt, verschwunden. Die Polizei nimmt die Vermisstenmeldung nur zögerlich auf und gleichzeitig wird ein von John Malkovich gespielter Prediger eingeführt, der gegen die korrupte und verbrecherische Polizei von der Kanzel und über einen Radiosender wettert.

Mit einem Schnitt lässt Eastwood Wochen vergehen und die Polizei meldet die Auffindung des Sohnes. Am Bahnsteig freilich muss die Mutter entsetzt feststellen, dass das ihr präsentierte Kind nicht ihres ist. Sie lässt sich von der Polizei zunächst zwar einschüchtern, doch eindeutige Indizien bestärken sie ebenso in ihrer Meinung wie Zeugenaussagen. Die Polizei, die dringend einen Erfolg benötigt, will ihren Fehler aber nicht eingestehen und weist die Mutter, die nicht locker lässt, bald in eine psychiatrische Anstalt ein.

Hinter dem Etikett „Eine wahre Geschichte“ verbergen sich oft dramatisch aufgeplusterte Filme, die nur von ihrem Wahrheitszertifikat leben. Eastwood geht einen anderen Weg, spielt die Dramatik des Geschehens eher herunter und erzählt gelassen und mit der Souveränität des Altmeisters, der weder sich noch jemandem anderen etwas beweisen muss. Das Wahrheitszertifikat ist angesichts der Ungeheuerlichkeit der Geschichte allerdings unerlässlich, würde man den Film doch ansonsten als völlig unglaubwürdig abkanzeln.

So zeichnet Eastwood nicht nur das Bild einer heldenhaften Frau, die ihre Verantwortung für ihren Sohn bis zum Äußersten Ernst nimmt, sondern ähnlich wie zuvor schon Roman Polanski in "Chinatown", Curtis Hanson in "L. A. Confidential" oder Brian De Palma in "The Black Dahlia"auch ein düsteres Bild des Los Angeles der späten 1920er Jahre. Der Ort der Traumfabrik, des Glamours und der Stars – auch darauf wird mit dem Hinweis auf die Oscar-Verleihung des Jahres 1935 Bezug genommen – erscheint hier als düsterer Ort, an dem die Polizei nicht Verbrechen aufklärt, sondern rücksichtslos nur in eigenem Interesse handelt, und mit Politik und anderen städtischen Einrichtungen unheilvoll verknüpft ist.

Es ist die schon in vielen amerikanischen Filmen erzählte Geschichte vom David gegen Goliath, vom Einzelnen gegen scheinbar übermächtige Institutionen, wobei es zu den Verbrecherischen als Korrektiv immer wieder und immer noch die Presse und die Justiz gibt und letztlich dem Guten – soweit das noch möglich ist – zum Sieg verhilft.

Sind aber hier schon die Behörden zutiefst verdorben und fragwürdig, so wird der Blick auf die USA durch die Einführung eines psychopathischen Kindermörders noch schwärzer. Was als Melodram begann, wird so mit Fortdauer zum Krimi und schließlich zum Gerichtsfilm. Unübersehbar zu viel hat Eastwood hier hineingepackt und im Bemühen mehrere Erzählstränge parallel zu führen verliert „Der fremde Sohn“ sein dramaturgisches Zentrum, wird zwar nicht langatmig, aber doch etwas langfädig und immer wieder wird das Ende aufgeschoben, wird eine weitere Szene und ein weiteres potentielles Ende angehängt.

Mit Meisterwerken wie „Unforgiven“, „Million Dollar Baby“ oder auch dem Iwo-Jima-Diptychon „Flags of Our Fathers“ und „Letters of Iwo Jima“ kann „Der fremde Sohn“ deshalb nicht mithalten, ist aber zweifellos immer noch ein wunderbar rundes und in souverän beherrschtem Rhythmus dahin fließendes, in bestem Sinne altmodisches Kinostück, das meilenweit über dem Großteil der aktuellen Kinoproduktionen steht.


Ein Fremder ohne Namen – High Plains Drifter (1973 - DVD)

Ein Fremder kommt in eine Westernstadt, kommandiert die feigen Bürger herum und übt mit eisiger Präzision Rache für ein Verbrechen. – Mit seiner zweiten Regiearbeit gelang Clint Eastwood 1973 ein kompromissloser archetypischer Western, der bei Capelight Pictures auf DVD und in einem zwei Disc-Mediabook auf DVD und Blu-ray erschienen ist.

Aus einer weiten Ebene löst sich in der flirrenden Hitze langsam ein einsamer Reiter (Clint Eastwood) heraus. Die Kamera folgt ihm auf seinem Ritt durch Halbwüste und Hügel zu einer Kleinstadt, die malerisch an einem See liegt. Ebenso neugierig wie misstrauisch blicken die Bewohner auf den durch die Stadt reitenden Fremden, dessen Gesicht wird dem Zuschauer zunächst vorenthalten.

Ein klassischer Western-Beginn ist diese Ankunft eines Fremden und mit praktisch den gleichen Bildern, nun freilich mit umgekehrter Bewegung wird Clint Eastwood den Film nach gut 90 Minuten enden lassen. Erst dann wird der Fremde – zumindest in der deutschen Fassung - auch einen Namen bekommen und den tieferen Grund seines Besuchs preisgeben. Die originale Fassung lässt hier auch eine andere Interpretation über die Identität des Fremden zu, macht ihn noch mehr zu einem mythischen Racheengel.

Dass der bärtige und dreckige Einzelgänger ein Meister im Umgang mit der Waffe ist, zeigt sich schon nach wenigen Minuten, als ihn drei Gangster provozieren, ihre Colts ziehen, aber keine Chance gegen ihn haben. Weil die Bewohner sich vor der Rückkehr von drei Verbrechern fürchten, die in diesen Tagen freigelassen werden und einst Rache dafür geschworen haben, dass sie von den Bürgern verraten wurden, engagieren die Honoratioren der Stadt den schweigsamen Fremden. Doch schon seine Alpträume machen klar, dass er von den feigen Bürgern, die einst bei einem grausamen Mord lieber tatenlos zuschauten als einzugreifen, wenig hält.

Das Engagement nützt der Fremde, um die Bewohner nach Lust und Laune herumzukommandieren und zu verhöhnen. Einen bislang verlachten Kleinwüchsigen macht er zum Sheriff und Bürgermeister, zwei Mexikaner lässt er eine Scheune abreißen und Tische für ein Bankett auf der Hauptstraße aufstellen, das Hotel lässt er räumen und macht es zu seiner Residenz, bis er schließlich die ganze Stadt blutrot anmalen lässt und das Ortsschild Lago in Hell umschreibt. Einprägsam ist nicht nur dieses Bild der roten Stadt, sondern auch der fast schon apokalyptische Showdown bei Nacht vor dem Hintergrund brennender Häuser.

Wie in den Italo-Western von Sergio Leone gibt es hier keine Helden, sondern bestenfalls unsympathische und weniger unsympathische Typen. Der Feigheit und Gier der Bürger, stehen die Gemeinheit, der Zynismus und die Brutalität des Fremden gegenüber. Großaufnahmen der Gesichter kehren hier immer wieder das Schmutzige und Hässliche hervor, markante Untersichten und Aufsichten betonen Machtverhältnisse.

Hier gibt es nicht mehr dem Mythos vom Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft, keine Romantik und keine Utopie, sondern einzig menschliche Niedertracht. Ablehnen kann man diesen Western in seinem negativen Menschenbild, bewundern muss man aber auf jeden Fall die Meisterschaft der kompromisslosen und schnörkellosen Inszenierung.

An Sprachversionen verfügt der bei Capelight Pictures auf DVD und in einem zwei Disc-Mediabook auf DVD und Blu-ray erschienene Film über die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie über Untertitel in diesen beiden Sprachen. Die Extras beschränken sich auf den Kino-Trailer und Trailer zu weiteren Filmen dieses Labels.


Flags of Our Fathers (2006)

Als am 25. Februar 1945 in den amerikanischen Tageszeitungen das Foto vom Hissen der US-Flagge auf der Pazifikinsel Iwo Jima erschien, fasste die kriegsmüde Nation neuen Mut. Ausgehend von diesem legendären Foto reflektiert Clint Eastwood über Heldentum, die Instrumentalisierung von Soldaten und die mediale Inszenierung und Vermarktung von Geschichte.

Desaturierte, blaugraue Schlachtbilder, der Ton zurückgenommen. – Seltsam surreal wirkt die Szene und tatsächlich wacht gleich darauf ein alter Mann aus seinem Alptraum auf. Die über 50 Jahre zurückliegende Vergangenheit wirkt in die Gegenwart hinein. Von dieser Gegenwart aus rekonstruiert der Sohn des sterbenden Veteranen John »Doc« Bradley durch Interviews mit anderen Kriegsteilnehmern die Vor- und Nachgeschichte des legendären Fotos von Joe Rosenthal.

Wer erzählt, ist nicht immer klar, die Perspektiven wechseln und zudem treten zwischen die Gegenwart und die Zeit der Schlacht um die von den Japanern zur nahezu uneinnehmbaren Festung ausgebauten, unwirtlichen nur 21 Quadratkilmometer großen Pazifikinsel Iwo Jima auf einer dritten Zeitebene die Ereignisse, die unmittelbar auf das Hissen der Flagge folgten. Die beteiligten Soldaten – drei der sechs waren inzwischen schon gefallen – wurden nach Amerika ausgeflogen, um in der kriegsmüden und bankrotten Heimat für Kriegsanleihen die Werbetrommel zu rühren. Während die einfachen Soldaten im Pazifik verbluten, denken Politiker, Geschäftsleute und Generäle in der Heimat nur an ihren Ruhm und ihr Geschäft, halten große Reden von Helden und instrumentalisieren die einfachen Soldaten für ihre Zwecke.

Wer einmal im Krieg war, kann die Erlebnisse aber nicht einfach ausblenden und so löst ein Feuerwerk im Stadion oder ein der Flaggenhissung nachgebildeter Eisbecher, der mit blutroter Himbeersoße übergossen wird, Erinnerungen aus. Traumatisiert sind der Navy-Sanitäter John »Doc« Bradley, der Kurier Rene Gagnon und vor allem der sensible Indianer Ira Hayes, dessen Schicksal Bob Dylan schon in »The Ballad of Ira Hayes« nacherzählte. Letzterer wird auf der einen Seite zwar als Held gefeiert, als der er sich nicht fühlt, bekommt aber andererseits permanent den Rassismus der weißen Oberschicht zu spüren.

Die Chronologie der Schlacht interessiert Eastwood nicht, wohl aber der Wahnsinn des Krieges. Im Wechsel von Totalen und Großaufnahmen, von sterbendem Individuum und Masse wird deutlich, dass Überleben in diesem Gemetzel einzig eine Frage des Glücks ist. Mitten unter die Kämpfenden mischt sich die Kamera, ist hautnah am Geschehen, vermittelt eindringlich die psychische Anspannung und zeigt drastisch die Wunden, die die Geschosse aufreißen. Jedes Feind-Freund-Schema ist hier aufgehoben, Fragen nach Kriegsschuld und rechtmäßigem Handeln werden nicht gestellt, denn Eastwood erzählt strikt aus der Perspektive der Amerikaner, lässt die Japaner förmlich unsichtbar aus ihren Bunkern feuern. Im gleichzeitig entstandenen »Letters from Iwo Jima« erzählt Eastwood die Schlacht aus der Sicht der Japaner und erst durch diese Gegenperspektive füllen sich Leerstellen, die es im Schlachtverlauf in »Flags Of Our Fathers« gibt.

Wie Fetzen wirken diese Schachtbilder und fügen sich so wenig wie der anschließende Propagandafeldzug durch die USA zu einer stringenten Geschichte. Auch die drei »Helden« gewinnen abgesehen von Hayes kaum persönliche Züge – ja sollen es auch nicht, denn Eastwood geht es nicht um das Private, sondern um das Öffentliche, um Amerika und seinen Umgang mit den einfachen Soldaten, um Mythos und Realität und den Kontrast von erbärmlichem Verrecken an der Front und Geschäftemacherei in der Heimat.

Eindringlich zeigt der Altmeister, wie brutal diese Maschinerie arbeitet, wenn kein Kriegsschiff stoppt um einen ins Meer gefallenen Soldaten an Bord zu nehmen oder wenn ein General die Flagge für sich als Beute reklamiert. Eastwoods ganze Verachtung gilt den zynischen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führungskräften. Seine Sympathie gehört den einfachen Soldaten, die auch nur so lange als Helden gefeiert werden, so lange dies für die Mächtigen von Nutzen ist.

Kein patriotischer Lobgesang auf die USA ist »Flags of Our Fathers«, sondern ein pessimistischer Film darüber, wie die Flagge eingesetzt wird, um die Menschen zu manipulieren: Zuerst werden sie damit als Soldaten in den Krieg gelockt, dann wird mit einem Bild der Flagge in der Heimat wieder Siegeshoffnung geschürt. Auf dem Schlachtfeld aber geht’s nur ums Überleben. – Aus diesem vielfältigen, brillant verschachtelten Geflecht von Gegensätzen entwickelt »Flags of Our Fathers« eine aufregende Vielschichtigkeit und Tiefe, die auch durch den wie ein Appendix wirkenden, den Film beschließenden recht platten und kurzatmigen Abriss des Lebens der drei »Helden« nach Kriegsende kaum beeinträchtigt werden.


Gran Torino (2008)

Clint Eastwood inszeniert sich selbst als grantigen, rassistischen alten Mann, der langsam den asiatischen Bewohnern in seiner Nachbarschaft näher kommt. – Der Beginn dieses kleinen, aber mit der Souveränität des Altmeisters inszenierten und gespielten Films ist komödiantisch, doch bruchlos gelingt Eastwood der Übergang zu einem melodramatischen Finale.

Am Beginn steht eine Beerdigung und am Ende wird wieder eine stehen. Nichts will der grantige Walt Kowalski mit dem jungen Pfarrer zu tun haben, der auf Wunsch von Walts soeben verstorbener Frau ihn mehrmals besucht und zur Beichte bewegen möchte. Nur lachen kann der im Koreakrieg mit dem Silver Star ausgezeichnete Veteran darüber, dass der frisch gebackene Priester ihm etwas von Leben und Tod erzählen will. Man spürt, dass die Kriegserfahrungen tief in ihm sitzen und ihn quälen. Nur der Krieg wird immer wieder angesprochen, sein restliches Leben dagegen auf seinen Job als Fließbandarbeiter bei Ford reduziert. Von dieser Zeit steht noch ein Gran Torino, Baujahr 1972, bei dem Walt die Lenksäule eigenhändig eingebaut hat, in seiner Garage – sein ganzer Stolz.

Wie für den Pfarrer so hat er auch für seine Söhne und Enkelkinder nur Verachtung übrig. Die Nase zieht er hoch, als seine Enkelin mit kurzem Top und Bauchnabelpiercing bei der Beerdigung von Walts Frau erscheint, und Sohn und Schwiegertochter fliegen aus dem Haus, als sie anlässlich seines Geburtstags vorschlagen er solle doch in ein komfortables Heim übersiedeln.

Auch mit den Nachbarn will der polnischstämmige Alte nichts zu tun haben. Als Fremder in seiner eigenen Umgebung fühlt er sich, die weißen Amerikaner sind längst weggezogen und Asiaten wie die aus dem Bergvolk der in Laos, Thailand und Vietnam lebenden Hmong sind an ihre Stelle gerückt. Das passt Walt nicht, aber vertreiben lässt er sich nicht. Biertrinkend sitzt er jeden Abend auf der Veranda neben der demonstrativ gehissten US-Flagge. Nur Daisy – sein Hund – leistet ihm Gesellschaft.

Klar ist, dass seine Nachbarn, wenn ihnen ihr Leben lieb sein sollte, sich lieber vom perfekt getrimmten Rasen Walts fernhalten sollten. Verbal zeigt er mit Schimpfwörtern wie „Schlitzaugen“, „Bambusratten“ oder „Frühlingsrolle“, was er von ihnen hält, und gestisch mit demonstrativem Ausspucken - bei letzterem bietet ihm die Oma vom Nachbarhaus und gewissermaßen die Gegenfigur zu Walt allerdings mehr als Paroli.

Friedlich wollen diese Hmongs leben, doch eine Jugendgang, zu der auch einer ihrer Verwandten gehört, wollen den jungen Thao für sich gewinnen und zu kriminellen Aktionen anstiften. Walts Gran Torino soll er stehlen, doch das geht freilich schief. Thao kann zwar entkommen, doch seine Mutter verlangt von ihm, dass er Wiedergutmachung leistet, indem er Walt in Haus und Garten hilft.

Dem griesgrämigen Rentner passt das freilich gar nicht, doch Thaos Schwester Sue weicht ihn langsam auf, lädt ihn zum Essen ein und macht ihn auch etwas mit ihrer Kultur vertraut. So kommt man sich näher und der Rassist wirft seine Vorurteile langsam über Bord, doch die Gang lässt nicht locker, die Konflikte spitzen sich zu und aus der Tragikomödie wird ein Drama.

Ganz auf die Community und die Beziehungen untereinander beschränkt ist „Gran Torino“ ganz gewiß ein kleiner Film – aber ein souverän inszenierter. Nichts wirkt hier prätentiös oder verkrampft, sondern locker und leicht, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Keine Scheu hat der 78-Jährige sein verwittertes Gesicht der Kamera preis zu geben und man spürt die Lust, mit der er diesen verbitterten alten Mann spielt, der manchmal wie ein Hund knurrt und sich sonst ausgiebig Schimpfkanonaden hingibt. - Eastwoods Walt ist das Zentrum dieses Films. Er ist in (beinahe) jeder Szene präsent, die Figuren um ihn und die Story sind nur da um ihm einen Aktionsraum zu bieten und um sich selbst in Szene zu setzen.

Die rasche Wandlung dieses pensionierten Fabriksarbeiter vom Rassisten zum Menschenfreund mag allzu glatt und reibungslos verlaufen. Weil sich der Film aber nie wichtiger nimmt als er ist, eher mit Understatement als mit Übertreibung arbeitet und auch Eastwoods Regie sich in klassischer Hollywoodmanier wie bei Hawks, Ford oder Walsh auf das beschränkt, was nötig ist, um ökonomisch und effizient die Geschichte zu erzählen, folgt man dem Geschehen mit großem Genuss.

Denn Eastwood spielt hier auch ironisch mit seinem durch Filme wie „Dirty Harry“ geprägten Image des brutal Selbstjustiz übenden weißen Amerikaners – und revidiert es. Meint man am Anfang noch, dass dieser Walt jeden Moment explodieren und den Abzug an seinem aus dem Koreakrieg stammenden Karabiner abdrücken könnte, so wird „Gran Torino“ mit Fortdauer milder, der Blick auf Walt und seine Nachbarn zärtlicher. Zum Spiel werden da rassistische Vorurteile spätestens in den Dialogen Walts mit seinem italienischstämmigen Friseur und die Schärfe und Bösartigkeit wird diesen Schimpfkanonaden durch permanente Wiederholungen genommen, sodass schließlich nicht mehr zählt, welcher Volksgruppe man in dieser multikulturellen Community angehört, zu der auch Afroamerkaner oder ein Ire zählen, sondern nur noch, was man als Mensch taugt.

Weil dieser Film, der im Diskurs über den Tod und einen großen Abgang in Würde – darin erinnert er an John Waynes letzten Film „The Shootist“ - auch als Abschiedswerk eines großen Regisseurs und Schauspielers angelegt ist und unübersehbar im Bewusstsein des näher rückenden eigenen Todes gedreht wurde, aber so versöhnlich ist, entlässt er den Zuschauer, auch wenn es kein Happyend gibt, nicht deprimiert, sondern leicht und hoffnungsvoll. Und Eastwood selbst setzt mit einem selbst geschriebenen und mit seiner brüchigen Stimme zum Abspann gesungenen Song den Schlusspunkt.


Hereafter (2010)

In drei Geschichten erzählt Clint Eastwood parallel von drei unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Tod. Im Zentrum steht dabei aber weniger die Frage nach einem Leben nach dem Tod als vielmehr die Erkundung, wie Todeserfahrungen das Leben im Diesseits beeinflussen. Handwerklich souverän inszeniert und zurückhaltend gespielt, krankt „Hereafter“ an Peter Morgans überfrachtetem Drehbuch.

Nie ist es weit zur Ewigkeit, mit 80 wie Clint Eastwood ist man in der Regel freilich näher dran als mit 20. Ins Jenseits befördert hat der Amerikaner seit den 60er Jahren zunächst im Italo-Western für eine Handvoll Dollar und später als knallharter Cop Dirty Harry schon viele. Da zuckte er nicht lange mit der Wimper und machte sich wohl auch nach vollbrachter Tat keine Gedanken darüber, wohin er denn nun sein Opfer befördert habe.

Mit zunehmendem Alter hat sich aber auch Eastwood gewandelt, hat sich 2000 in „Space Cowboys“ zwar noch ironisch mit dem Altern beschäftigt, dann im denkwürdigen „Million Dollar Baby“ (2004) den von ihm selbst gespielten Boxtrainer in ein schwarzes Loch entlassen, und in „Gran Torino“ (2008) vom bewussten und selbst gewählten Gang in den Tod erzählt.

Immer waren das aber sehr handfeste Geschichte, in denen der Tod sich dann irgendwann einschlich. In „Hereafter“, zu dem der Brite Peter Morgan das Drehbuch schrieb, ist die Frage nach Tod und Jenseits aber von Anfang an stets präsent, wird allzu aufdringlich in den Mittelpunkt gerückt, auch wenn Eastwood in erster Linie von den Auswirkungen der unterschiedlichen Todeserfahrungen auf das Leben im Diesseits erzählt.

Da bricht zunächst einmal in Südostasien ein gewaltiger Tsunami los – und auch ohne Datierung ist klar, dass es der Tsunami von Weihnachten 2004 sein muss. Im Gegensatz zu seinen bisherigen Filmen setzt Eastwood hier modernste Computertechnik ein, evoziert eindringlich die Gewalt der Flut, die auch die französische Politjournalistin Marie (Cecile de France) zu verschlingen droht. Sie versinkt in den Wogen, sieht ein weißes Licht und schemenhaft Gestalten, wird dann aber an Land geschwemmt und kehrt ins Leben zurück. Nach der Rückkehr nach Frankreich wird sie mit ihrer Erfahrung nicht fertig werden, wird ihren Job aufgeben und über Nahtoderfahrungen recherchieren, wird dabei in die Schweiz – wenn man dem Autokennzeichen glauben soll nach Appenzell Innerrhoden, zu dem die schneebedeckten Berggipfel allerdings kaum passen – kommen und schließlich ein Buch über ihre Nahtoderfahrungen schreiben.

Parallel zu dieser Geschichte erzählt Eastwood vom in London lebenden Volksschüler Marcus (Frankie McLaren), der über den Unfalltod seines wesentlich aktiveren und reiferen Zwillingsbruder nicht hinwegkommt, sowie vom Amerikaner George (Matt Damon), der als Medium Kontakt zu Toten aufbauen kann, aber diese zwar einträgliche, aber ihn psychisch extrem belastende Tätigkeit aufgegeben hat.

Leicht könnte man bei solchen Geschichten ins Esoterische und Spekulative abgleiten, doch dafür ist Eastwood nun wirklich nicht der Mann. Nüchtern und mit der Abgeklärtheit eines Altmeisters erzählt er, bleibt beim Handfesten, überfrachtet aber den Film auch. Ganz im Gegensatz zu seinen letzten Filmen wird hier nicht aus der Story heraus ein Thema entwickelt sondern vielmehr um das Thema herum eine Geschichte konstruiert. Nie kommt man hier der Fernsehjournalistin oder dem jungen Marcus wirklich näher, nur bei George gewinnt man phasenweise eine Vorstellung davon, welcher Fluch die „Gabe“ des Kontakts mit Toten letztlich ist. Im Switchen zwischen den drei Schauplätzen verliert „Hereafter“ aber die mögliche Intensität und die Geschichten sowie die Figuren werden zu Funktionsträgern statt zu packenden Charakteren aus Fleisch und Blut.

Das liegt aber nicht nur an diesem permanenten Wechsel zwischen den Ebenen, die einzig der Tod als tertium compatationis verbindet, sondern auch an der schon fast unerträglichen Ausgewogenheit, nach der „Hereafter“ strebt. Da muss es nicht nur mit Nahtoderfahrung, Tod des Zwillingsbruders sowie Medium mit Kontakt zu Toten drei Beziehungen zum Tod geben, sondern auch mit einer Frau, einem Kind und einem Mann drei unterschiedliche Protagonisten und dazu noch mit Frankreich, Großbritannien und den USA drei Länder.

Da müssen dem hehren Medium George dann auch noch andere Institutionen und Personen gegenübergestellt werden, die mit faulen Tricks mit der Trauer und der Verlusterfahrung anderer Menschen nur Geld machen wollen, kurz gibt’s auch noch per Youtube-Video Statements eines fundamentalistischen Christen sowie eines islamistischen Predigers und im Finale müssen dann auch noch die Protagonisten durch Zufall – oder eben durch das Schicksal – zusammengeführt werden.

Alles wird reingepackt, aber alles bleibt ausgesprochen eindeutig und flach – und wenig bleibt zurück. Man schluckt folglich „Hereafter“ und wartet gespannt auf Eastwoods nächsten Film, denn die Auseinandersetzung mit dem schillernden FBI Chef J. Edgar Hoover dürfte dieser Ikone des amerikanischen Kinos sicher wesentlich mehr lieben als der Stoff, auf den er sich mit "Hereafter" eingelassen hat.


Invictus (2009)

Kann man eine Nation, die durch Jahrzehnte der Apartheid zerrissen wurde, durch ein sportliches Großereignis wie einen Rugby World-Cup wieder einen? Clint Eastwood lässt Nelson Mandela, unterstützt vom südafrikanischen Rugby-Team, diesen Traum verwirklichen. – Ganz so einfach dürfte das in der Realität wohl nicht gehen, aber ein weiteres Stück emotional mitreissendes Kino ist dem 80-jährigen Amerikaner mit „Invictus“ allemal gelungen.

Dass „Invictus“ nicht durch differenzierte Analyse brillieren, sondern emotional eingängig funktionieren will, zeigt schon die Eröffnungsszene: Links einer Straße spielen Schwarze Fußball, rechts Weiße Rugby und auf der Straße in der Mitte, beidseits durch Zäune begrenzt, fährt ein Konvoi, der Nelson Mandela nach 28 Jahren aus dem Gefängnis von Robben Island in die Freiheit bringt. So simpel das Bild ist, auf der Gefühlsebene fährt es ein.

Meisterhaft ist dann zweifellos auch, wie Eastwood in den folgenden knapp fünf Minuten die Ereignisse von diesem 11. Februar 1990 bis zum Regierungsantritt Mandelas als Präsident im Mai 1994 mit Archivmaterial rafft und die brisante Lage in Südafrika, das durch die Spannungen zwischen Weißen und Schwarzen in einen Bürgerkrieg zu schlittern droht, skizziert.

Bruchlos geht das Archivmaterial in inszenierte Szenen über und stellt den frisch gewählten Präsidenten Mandela sogleich vor die Frage, wie er das Land regieren kann. Die Spannungen zwischen Schwarz und Weiß im Regierungsgebäude zeigt er knapp auf und stellt dem Wunsch nach hartem Vorgehen der Schwarzen seine Politik der Versöhnung gegenüber.

In dieser Hauptfigur manifestiert sich freilich auch eine Wandlung von Clint Eastwood. Fortgesetzt wird der Abschied von den Rächerfiguren von den Italo-Western über „Dirty Harry“ bis zu „Unforgiven“, der schon in „Gran Torino“ begonnen wurde.

Nicht nur Selbstzweck ist Mandelas Ziel das Land zu einen, sondern er sieht darin die Voraussetzung um wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme wie steigende Kriminalität in den Griff zu bekommen. Das wirksame Mittel dazu entdeckt er gerade im von Weißen bestimmten und von den Schwarzen daher gehassten Rugby. Da gibt es schon Diskussionen um die grün-gelben Trikots, in denen die Schwarzen ein Symbol der Unterdrückung sehen. Dennoch stimmt Mandela für deren Beibehaltung.

Zudem scheinen die „Springboks“ als Prügelknabe beim World Cup in ihrem Heimatland 1995 anzutreten, wachsen dann aber über sich hinaus und schaffen das scheinbar Unmögliche gegen die vermeintlich unbesiegbaren Neuseeländer.

Welche Wirkung so ein sportlicher Triumph auf eine Nation haben kann, kennt man hierzulande vom deutschen Fußball WM-Sieg 1954, der das Selbstbewusstsein des nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden liegenden Landes wieder stärkte und wohl psychologisch nicht unwesentlichen Einfluss auf das Wirtschaftswunder hatte. Aber bei aller Gemeinschaft stiftenden Wirkung des Sports vereinfacht Eastwood natürlich, wenn er die Spannungen zwischen Schwarz und Weiß durch den Sieg in sich zusammenfallen lässt. Übel nimmt man ihm es freilich nicht, nimmt man solche Utopien doch gerne an.

Und auch dass ein Präsident seine ganze Aufmerksamkeit dem Sport widmet – alle anderen politischen Themen werden weitgehend ausgeklammert – ist schwer vorstellbar. Nimmt man diese Vereinfachung aber hin, funktioniert „Invictus“ hervorragend. Geschickt wird das Sportgeschehen einerseits als Folie für die nationale Einigung herausgearbeitet, andererseits packen die mitreißend inszenierten Rugby-Szenen zumindest im Finale auch per se.

Deutlich wird freilich aus Zwischenschnitten auf das Publikum im Stadion und an den Bildschirmen und Radios, dass es hier um mehr als den Weltmeistertitel geht. So plakativ es sein mag, wenn ein schwarzer Junge zuerst ängstlich um weiße Taxifahrer, die dem Spiel im Radio folgen, umkreist und dann im Laufe des Spiels immer näher rückt, so emotional wirksam ist diese Szene doch auch wieder.

Perfekt ist natürlich auch die Hauptrolle besetzt. Kein anderer könnte Mandelas staatsmännischem Ernst und seine Versöhnlichkeit wohl mit so viel Würde verkörpern wie Morgan Freeman. Matt Damon als Kapitän der Rugby-Nationalmannschaft Francois Pienaar bleibt dagegen eher blass, da ihm kaum Raum eingeräumt wird seine Rolle differenzierter zu entwickeln.

Wie er, von Mandela tief beeindruckt, als Weißer langsam seine Einstellung zum neuen Südafrika wandelt, wirkt schablonenhaft. Daran ändert auch ein geschickt in die Handlung integrierter Besuch der Rugby-Mannschaft im Gefängnis Mandelas auf Robben Island und imaginierte Rückblenden, die einen Eindruck von Mandelas Haft vermitteln, nichts.

In der Inszenierung ist das – wie von Eastwood nichts anders zu erwarten – durchaus konventionell, verlässt nie die Bahnen des klassischen Hollywood-Kinos, wirkt aber nie hausbacken oder altmodisch. Viel zu souverän und mit der Übersicht des Altmeisters zieht Eastwood diese Geschichte durch. Ohne Makel ist der dramaturgische Aufbau, perfekt greift ein Rädchen ins andere, sodass „Invictus“ wie aus einem Guss daher kommt.


J. Edgar (2011)

Den amerikanischen Bürger zu kontrollieren, war das Hauptziel des FBI-Gründers J. Edgar Hoover, doch niemanden und nichts kontrollierte er laut Clint Eastwoods Biopic mehr als sich selbst. Der 81-jährige Altmeister verknüpft meisterhaft Fakten aus der 50-jährigen beruflichen Geschichte Hoovers mit einem Blick in die Psyche. Im Zentrum: ein großartiger Leonardo Di Caprio.

Nicht «Hoover» oder «J. Edgar Hoover» titelt Clint Eastwood sein Biopic über den Mann, der als FBI-Chef acht Präsidenten überlebte und der angeblich von sich selbst sagte, ihm sei egal, wer unter ihm Präsident der USA sei. Der Titel «J. Edgar» macht von vornherein klar, dass Eastwood auch den Menschen hinter dem mächtigen Beamten zeigen will, dass es nicht um ein Abhaken von Fakten gehen kann, sondern auch um die psychische Disposition Hoovers gehen muss.

Die Erzählperspektive ist dabei von Anfang an festgelegt, wenn J. Edgar Hoover Anfang der 70er Jahre einem seiner jungen Agenten seine (fiktiven) Memoiren diktiert. Nicht chronologisch werden dabei die Ereignisse von 1919 bis in 70er Jahre aufgerollt, sondern zwischen den Zeiten wechselnd, wobei man durch das wechselnde Alter der Figuren immer gut den Überblick behält.

Vorgegeben ist mit dieser Erzählweise auch, dass «J. Edgar» nicht zu einer bissigen Abrechnung mit dem Machtmenschen Hoover werden wird. Nüchtern und wertneutral ist Eastwoods Blick auf seinen Protagonisten, der von Leonardo DiCaprio im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert wird. DiCaprio lebt sich in die Figur des FBI-Direktors völlig hinein. Hier passt jeder Satz, überzeugt jede Bewegung, egal ob als junger oder alter Hoover. Er ist das Zentrum des Films, um ihn herum altern seine Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts) und sein Stellvertreter Clyde Tolson (Arnie Hammer), mit denen er sein Leben lang zusammenarbeitete.

Wie Hoovers Leben ohne große Veränderungen verlief, Washington DC immer sein Wohnort blieb, so blieb auch seine ultrakonservative politische Einstellung konstant. Gegen die Kommunisten wetterte er 1970 nicht anders als 1919, warnte immer wieder davor, dass die Kriminalität die USA in den Abgrund stürzen würde, und sah auch in der Bürgerrechtsbewegung eine Gefahr für die Stabilität des Staates. Diese Angst und dieser Hass erscheinen nach außen hin als Triebfeder für sein Bestreben den FBI zu revolutionieren und moderne Techniken wie das Anlegen von Verbrecherkarteien und Fingerabdrücken einzuführen.

Eastwood schildert in gelassenem Erzählrhythmus und von Kameramann Tom Stern meisterhaft in fast auf Schwarzweiß reduzierten desaturierten Bildern gefilmt die zentralen beruflichen Ereignisse in Hoovers Leben von den Massenverhaftungen und der Deportation der Anarchistin Emma Goldman nach den Palmer Raids 1919 über den Kampf gegen die legendären Verbrecher der späten 1920er und frühen 1930er Jahre und die Entführung des Lindbergh-Babys bis zur Durchsetzung moderner Abhörtechniken.

In einer Linie mit dem Leinwandhelden James Cagney sah sich Hoover dabei gerne, Ausschnitte aus «Public Enemy» oder «G-Men» verweisen auf diesen Referenzrahmen. Doch das öffentliche Bild Hoovers, das hier entsteht, bricht Eastwood wieder, wenn er Clyde Tolson dem mächtigen Chef und Freund, mit dem er täglich zu Mittag und zu Abend aß, vorwerfen lässt, dass er sich nur medial inszeniere, sich Taten zuschreibe, die er nie vollbracht habe.

Aber Eastwood zeigt eben auch die andere Seite Hoovers, zeigt ihn privat als einen Mann, der sich nie von seiner gluckenhaften Mutter (Judi Dench) befreien kann. Als er ihr gegenüber seine homosexuelle Neigung andeutet, macht sie ihn nieder. Eine ebenso abgründige wie denkwürdige Szene gelingt Eastwood, wenn J. Edgar nach dem Tod seine Mutter ihre Kleider und ihren Schmuck anzieht und dann verzweifelt zusammenbricht.

Bewusst im Vagen bleibt der Film dagegen in der Beziehung zwischen Hoover und seinem Stellvertreter Tolson. Mehr als eine Hand auf dem Bein des anderen während einer Taxifahrt, ein Kuss Tolsons oder die Tatsache, dass sie auf Dienstreisen das Bett teilten, zeigt Eastwood nicht, doch die Blicke sprechen Bände, deuten eine Beziehung zwischen den beiden Männern an, die über die berufliche und freundschaftliche weit hinausging, doch der Schwulenhasser Hoover konnte sich wohl nie durchringen, diese Liebe zu gestehen.

So erzählt «J. Edgar» nicht nur von einem Machtmenschen, sondern im Kern von einem ungelebten Leben, von einem Menschen, der alle anderen kontrollieren will, mit seinem Wissen sogar Präsidenten wie Franklin Roosevelt oder John F. Kennedy unter Druck setzt, letztlich aber vor allem sich selbst kontrolliert, verdrängt, was er nicht wahrhaben will und mit dem Machtstreben die Verdrängung kompensieren will. – Sympathisch wird einem der FBI-Gründer deshalb noch lange nicht, aber in seiner Zerrissenheit und Ambivalenz ein Charakter, den man nicht so schnell vergisst.


Jersey Boys (2014)

Clint Eastwood erzählt in der Verfilmung des gleichnamigen Jukebox-Musicals von Aufstieg und Fall der Popband «The Four Seasons». – Wunderbar leichthändig und locker inszeniert, perfekt ausgestattet und zahlreiche Hits der Band wie «Sherry» oder «Big Girls Don´t Cry» präsentierend, leidet «Jersey Boys» doch an seiner überraschungsarmen und stereotypen Geschichte.

Aus ihrer Herkunft heraus in New Jersey entwickelt Clint Eastwood den Aufstieg der Band. Anfang der 1950er Jahre haben Tommy DeVito (Vincent Piazza), Nick Massi (Michael Lomenda) und Frankie Valli (John Lloyd Young), der mit seinem spielerisch zwischen glockenhell und rau wechselnden Falsettgesang den Mafiaboss Gyp DeCarlo (hinreißend: Christopher Walken) zu Tränen rührt, noch keinen Erfolg. Mit kleinkriminellen Aktionen schlagen sie sich durch und landen dafür auch mal für ein paar Monate im Knast.

Dass es sich um die Adaption eines - seit 2005 weltweit erfolgreichen - Bühnenmusicals handelt, merkt man dem Film nie an. Atmosphärisch dicht erweckt Eastwood mit perfekter 1950er Jahre Ausstattung (James L. Murakami) und Kostümen (Deborah Hopper) die Zeit zum Leben, Kameramann Tom Stern allerdings übertreibt es bei aller Könnerschaft etwas mit den Brauntönen.

Wunderbar leicht und locker ist das inszeniert, lässt Witz bei den haarsträubend scheiternden kleinkriminellen Aktionen nicht zu kurz kommen. Ganz selbstverständlich lässt der 84-jährige Regisseur auch seine Protagonisten mit direkter Ansprache ans Kinopublikum die Handlung raffen oder kommentieren. Wie aus dem Ärmel geschüttelt wirkt das, zügig und rund, mit souveräner Beherrschung des Rhythmus wird die Geschichte vorangetrieben.

Der Aufstieg gelingt der Band aber erst, als sie Bob Gaudio (Erich Bergen) als Songwriter engagiert. Mitreißend inszeniert Eastwood die Szene, in der das Quartett erstmals gemeinsam aus dem Stegreif heraus «Cry for Me» singt. «The Four Seasons» nennen sich von nun an, landen 1962 mit «Sherry» ihren ersten Hit, auf den in rascher Folge «Big Girls Don´t Cry» und «Walk Like a Man» folgen.

Es ist schon großartig, wie Eastwood von einer Fernsehausstrahlung von Billy Wilders «Reporter des Satans» und der dortigen Dialogzeile «Big Girls Don´t Cry» zum gleichnamigen Song überleitet oder wie er beiläufig selbstreferentiell mit einem TV-Ausschnitt aus «Rawhide» an seine eigenen Anfänge als Serienstar erinnert. Und wenn er am Ende die gealterten Stars den jungen Sängern gegenüberstellt ist das nochmals ein Spiel auch mit seinem eigenen Altern.

Seine Könnerschaft zeigt er auch, wenn er über eine direkte Ansprache eines der Bandmitglieder eine Rückblende einschiebt, die Vorgeschichte erzählt, und dann wieder elegant zur Ausgangssituation zurückkehrt.

Doch so elegant und gekonnt das auch inszeniert ist, so großartig die Musiknummern in Szene gesetzt sind, so sehr leidet «Jersey Boys» mit zunehmender Dauer doch an seiner stereotypen und überraschungsarmen Story von Aufstieg, Fall und Comeback und zu blassen Protagonisten.

Sinn macht es zwar die Bandmitglieder nicht mit Stars, sondern mit unbekannten Schauspielern, von denen Young, Bergen und Lomenda diese Rollen schon auf der Bühne spielten, zu besetzen, sodass diese, nicht zuletzt auch dadurch, dass sie auch selbst singen, ganz in ihren realen Figuren aufgehen können, doch in der Handlungsfülle und im breiten Ausspielen ihrer Hits bleibt wenig Raum für differenzierte Charakterisierung und die Herausarbeitung von Konflikten.

Mehr pflichtschuldig abgehandelt als wirklich entwickelt wird das langsame Scheitern von Frankie Vallis Ehe und die Probleme seiner Tochter Francine und auch die Differenzen innerhalb der Band werden nur in wenigen Szenen wirklich spürbar.

Doch die abgehangen souverän-nüchterne Inszenierung eines Altmeisters entschädigt zumindest teilweise für solche inhaltlichen Schwächen. Weder sich noch dem Publikum muss dieser Altmeister etwas beweisen, will aber in einer fulminanten Abspannszene doch noch einmal zeigen, was er drauf hat. Denn war «Jersey Boys» bis dahin gar kein klassisches Musical mit in die Handlung integriertem Gesang und Tanz, so lässt Eastwood im Finale, wie um zu zeigen, dass er auch eine echte Musicalszene hinbekommt, sein ganzes Ensemble aufmarschieren und auf der Straße singen und tanzen. – Ein großartiger Abschluss, eines nur teilweise großartigen Films.


Letters from Iwo Jima (2006)

21000 Japaner und 7000 US-Soldaten fielen im Zweiten Weltkrieg im Kampf um die vegetationslose Pazifikinsel Iwo Jima. – Clint Eastwood hat in einem in der Filmgeschichte einzigartigen Großprojekt knapp hintereinander zwei Filme über diese Schlacht gedreht: Auf die amerikanische Perspektive in »Flags of Our Fathers« folgt in »Letters from Iwo Jima« die japanische.

Der Titel ist eine Replik auf den ersten Film über die Schlacht um die nur 21 km² große Vulkaninsel. 1949 landete Allan Dwan mit »Sands of Iwo Jima« einen großen kommerziellen Erfolg. Ganz aus der Perspektive der Amerikaner schilderte Dwan in diesem Kriegsfilm, in dem John Wayne die Hauptrolle spielte, die Kämpfe. Förmlich als Gegenpol dazu konzentriert sich Eastwood in seinem konsequent japanisch gesprochenen und deutsch untertitelten Film auf die japanische Sichtweise. Die amerikanische Perspektive hat er freilich schon mit »Flags of Our Fathers« vorausgeschickt, doch die beiden Filme des Diptychons unterscheiden sich grundsätzlich.

Während »Flags of Our Fathers« weniger klassischer Kriegsfilm als vielmehr komplexe Reflexion über Propaganda, mediale Inszenierung und Wahrheit ist, konzentriert sich »Letters from Iwo Jima« auf die Kämpfe. Wieder ist die Geschichte in der Gegenwart verankert, doch die Grabungen der Archäologen, die im Vulkansand Briefe von gefallenen Soldaten finden, dienen nur als Rahmen einer weitgehend linearen Binnenerzählung. Durch diesen Rahmen wird aber auch das sich durch den Film ziehende Motiv des Grabens eingeführt: Wird hier Vergangenes ausgegraben und ans Tageslicht befördert, so spielt der Großteil von »Letters from Iwo Jima« im weitläufigen, in die Vulkaninsel gegrabenen und geschlagenen Tunnelsystem.

Wie in »Flags …« sind auch hier die Farben dem Film förmlich ausgetrieben, reduziert auf die Grautöne des Lavasandes, sodass fast der Eindruck eines Schwarzweißfilmes entsteht. Intensiv heben sich angesichts dieser Einfarbigkeit das Orange der Geschützfeuer und Granaten, aber auch das Rot des Blutes ab. Den Blick auf abgetrennte Gliedmaßen erspart Eastwood dem Zuschauer nicht, vom martialischen Kriegsfilm trennen »Letters …« aber Welten. Nicht actionbetont und rasant, sondern elegisch erzählt der 76-jährige Amerikaner und nimmt das Tempo förmlich heraus. Rund 45 Minuten Zeit lässt er sich für die Exposition, in der mit dem Befehlshaber General Kuribayashi, dem Springreiter Baron Nishi, dem degradierten Geheimpolizisten Shimizu und dem Bäcker Saigo die vier Protagonisten und Identifikationsfiguren vorgestellt werden.

Erst dann brechen plötzlich mit einem Luftangriff Gewalt und Chaos herein. Kämpfe und Reflexion werden bis zum Ende in diesem von Trauer durchzogenen Requiem in genau getimtem Rhythmus wechseln. Meisterhaft baut Eastwood Rückblenden ein, durch die die Soldaten differenziert charakterisiert und massive Kritik an Politikern und Regierung geübt wird, die Menschen verheizen: Die weltoffenen Kuribayashi und Baron Nishi zählen Amerikaner zu ihren Freunden und die einfachen japanischen Soldaten können sich bestens in den Brief der Mutter eines toten Amerikaners, den Nishi vorliest, hineinfühlen. Kriegshetzer und an einem absurden Ehrenkodex festhaltende Offiziere treiben das Volk ins Verderben: Was haben der einfache Saigo, der nur überleben möchte, um zu Frau und Kind zurückzukehren, oder Shimizu, der wegen Mitgefühl auf die Insel versetzt wurde, mit dem Krieg zu schaffen.

Amerikaner und Japaner führen zwar gegeneinander Krieg, aber die Kategorien von Gut und Böse, von Freund und Feind lösen sich hier auf. - Letztlich kämpfen immer Menschen gegeneinander und die Gräben verlaufen nicht zwischen den Nationen, sondern innerhalb der eigenen Reihen: Auf beiden Seiten stehen vernünftigen und menschlichen Soldaten und Offizieren indoktrinierte Befehlsempfänger und Zyniker gegenüber: Während sich Nishi um einen verletzten Amerikaner kümmert, erschießen US-Marines hilflose Kriegsgefangene und während Kuribayashi versucht zu retten, was zu retten ist, zwingen seine Offiziere ihre Soldaten ihnen in den Selbstmord zu folgen. So prallen mit Kuribayashi und den Offizieren auch die moderne Welt mit eigenständigem Denken und ein an einem längst überholten starren Ehrenkodex festhaltender Traditionalismus aufeinander.

Obwohl »Letters from Iwo Jima«, der geschlossener und runder ist als der an seiner komplexen Konstruktion fast zerbrechende »Flags Of Our Fathers«, auch alleine bestehen kann, erweitert die Zusammenschau den Blick. Die Summe ergibt mehr als die Addition der Teile. Die Flagenhissung auf dem Mount Suribachi, die in »Flags …« zwar im Mittelpunkt stand, aber kritisch hinterfragt wurde, gerät in »Letters …« vollends zu einer leicht zu übersehenden Randnotiz und dramaturgische Löcher, die in »Flags …« offen blieben, werden nun teilweise geschlossen. Immer wieder löst »Letters …« so durch die Wiederholung der Bilder bei gleichzeitigem Wechsel der Perspektive Assoziationen zum Vorgängerfilm aus. – Aber nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Perspektive, sondern mehr noch aufgrund der inhaltlichen und stilistischen Differenz benötigt der eine Film den anderen um sich zu diesem denkwürdigen Diptychon zu fügen, das als Schlusspunkt der filmischen Aufarbeitung des Pazifikkriegs angesehen werden kann.


Million Dollar Baby (2004)

Drei Personen im Vordergrund, der Boxsport als Hintergrund – Eine kleine Geschichte, aber in der ebenso schnörkellosen wie dichten Inszenierung des 74jährigen Eastwood wird daraus ein Meisterwerk.

Der Voice-over Kommentar Scraps (Morgan Freeman), der einst selbst Boxer war und nun als Mädchen für Alles in der ziemlich heruntergekommenen Boxschule „The Hit Pit“ arbeitet, führt in Million Dollar Baby ein und leitet den Zuschauer durch die folgenden 132 Minuten. – Wem er allerdings die Geschichte erzählt, wird erst im letzten Satz klar.

Ein Sidekick, eine Nebenfigur, wie die unvergesslichen Rollen von Walter Brennan in den Meisterwerken Howard Hawks oder von Ward Bond in den Western John Fords ist dieser Scrap, im Grunde nur der Erzähler und doch ist seine Geschichte und sein Schicksal untrennbar mit dem Frankie Dunns (Clint Eastwood), einem Boxtrainer und Besitzers des Clubs, verbunden.

Wie Eastwood über diesen Erzähler das „The Hit Pit“ als Ort der Handlung sowie Frankie und die aufstrebende Boxerin Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) als Hauptpersonen in den Film einführt, beweist seine Meisterschaft. Ohne Firlefanz ist hier in wenigen Einstellungen alles Grund gelegt.

Frankie, der einst Familie hatte, aber dessen Briefe an seine Tochter seit Jahren ungeöffnet retourniert werden und der aus Schuldgefühlen täglich einen katholischen Gottesdienst besucht auf der einen Seite, die 31jährige Maggie, die aus ihrer tristen sozialen und familiären Situation geflohen ist, auf der anderen.

Sie möchte unbedingt als Boxerin Karriere machen, jobbt tagsüber im Fastfood-Restaurant und trainiert nachts, er lehnt es ab sie zu betreuen, denn Boxen ist nichts für Frauen und „Girlie, tough ain´t enough“ („Zäh sein genügt nicht“).

Aber Million Dollar Baby ist kein Film übers Boxen, weder über dessen Eleganz wie Raoul Walshs Gentleman Jim (1942) noch über Korruption wie Robert Rossens Film noir Body and Soul (1947), weder eine Geschichte vom Aufstieg des Slumkinds wie Robert Wises Somebody Up There Likes Me (1955) oder Sylvester Stallones Rocky (1976 – 1985) noch eine Geschichte über die Verrohung durch den Boxsport wie Martin Scorseses Raging Bull (1980) und auch kein Film über veränderte Geschlechterrollen wie Karyn Kusamas Girlfight (2000).

Der Boxsport dient Eastwood nur als Hintergrund, Million Dollar Baby ist in erster Linie ein Film über Menschen, getragen von drei Schauspielern (Eastwood, Swank, Freeman), die nicht spielen, sondern durch die Verinnerlichung ihrer Rollen höchste physische Präsenz ausstrahlen.

Frankie hat seine Träume längst verloren, Maggie hat noch große Hoffnungen, will mit Hartnäckigkeit und enormem Einsatz ihre Ziele verwirklichen. - Ein Film über das menschliche Streben und gleichzeitig über das Scheitern, über die Ohnmacht gegenüber dem Schicksal oder einem unglücklichen Zufall.

Auf Anraten Scraps beginnt Frankie, der einsieht, dass dies seine letzte Chance ist einen Titel zu gewinnen, schließlich doch Maggie zu trainieren und bläut ihr als erste und wichtigste Regel ein: „Protect yourself“.

Ganz beiläufig und selbstverständlich entwickelt sich die Beziehung der beiden und langsam wird Maggie für Eddie zu einer Ersatztochter, an der er das gut machen will, was er an seiner leiblichen Tochter falsch machte. – Mit größter Zurückhaltung und Zärtlichkeit erzählt Million Dollar Baby inmitten der Boxkämpfe auch eine platonische Liebesgeschichte.

Es folgt Sieg auf Sieg, kurz und schnell sind die Kampfszenen, doch dann gibt es eine Wende, die den Zuschauer wie ein unerwarteter Schlag in den Nacken trifft – und nichts ist mehr wie vorher.

Der Raum wechselt, an die Stelle von Bewegung tritt Stillstand und an die Stelle der schnellen Schnitte lange Überblendungen, die das quälend langsame Verstreichen der Zeit signalisieren. Was Frankies Spruch „Tough ain´t enough“ im konkreten Fall heißen kann, zeigt Million Dollar Baby nun und wie Erbarmungslos und Mystic River beginnt auch dieses dunkle Meisterwerk um Schuld und die Sehnsucht nach Erlösung zu kreisen.

Man kann Eastwoods Inszenierung vorwerfen traditionell zu sein, doch in jedem Bild und in jedem Ton der auf ein Minimum reduzierten elegischen Gitarrenmusik, die vom 74jährigen Regisseur selbst komponiert wurde, entwickelt Million Dollar Baby eine innere Spannung und eine Kraft, eine Tiefe und Wahrhaftigkeit, die im gegenwärtigen Kino ihresgleichen kaum finden.


Space Cowboys (2000)

1958 wurden Frank (Clint Eastwood) und sein Team kurz vor dem ersehnten ersten Weltraumflug durch Marie Ann, einen Schimpansen, ersetzt. Doch nun hat die NASA Probleme. Ein alter Sowjet-Satellit mit US-Steuersystem droht abzustürzen. Nur der Rentner Frank, der Konstrukteur dieser Steuerung, kann dieses reparieren. Er ist aber dazu nur bereit, wenn er seine Ex-Partner vom damaligen Projekt Daedalus mitnehmen darf.

Mit Ironie und Witz wird im ersten Teil erzählt, wie Frank seine alten Freunde, gespielt von den Altstars James Garner und Donald Sutherland sowie Tommy Lee Jones, für das Unternehmen gewinnt. Die Spielfreude der Schauspieler und die flotte Inszenierung machen die medizinischen Tests und das Trainingsprogramm zu einem Vergnügen. Die Alten gegen die Jungen, die Handwerker gegen die Computergeneration - amüsant werden diese Gegensätze ausgespielt und, wem Eastwoods Sympathie gehört, steht außer Frage.

Mit dem Start ins All wird aus der Komödie ein Action-Film. Die menschliche Wärme des ersten Teils muss der Technik Platz machen. Die Mechanismen von Spannungsaufbau und Spannungslösung beherrscht der Regisseur Eastwood, aber mehr als routiniert inszenierte, aber überraschungsarme wenn auch spannende Unterhaltung mit schönen Bildern aus dem All bietet dieser zweite Teil nicht.

Mag "Space Cowboys" auch kein großer Wurf sein - dazu ist er viel zu glatt, ohne Widersprüche und Ambivalenzen -, so hebt er sich doch in seinem Verzicht auf alle modischen und kommerziell erfolgversprechenden Ingredienzen wohltuend vom Kinoalltag ab. - Ein angenehm altmodischer Film.



Sully (2016)

Als „Das Wunder von Hudson“ gilt die Notwasserung des Flugs US-Airways 1549, bei dem am 15. Januar 2009 alle der 15o Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder des Airbus A320 nahezu unverletzt überlebten. Clint Eastwood zeichnet die Ereignisse nach und das Porträt des Piloten Chesley Sullenberg, der sich nicht als Held sieht, sondern nur als Mann, der seinen Job gemacht hat.

Schon der Titel «Sully» schafft Nähe zum Protagonisten, macht ihn durch den Spitznamen nicht zum abgehobenen Helden, sondern zum geschätzten Nachbarn oder Freund. Hautnah folgt ihm die Kamera von Tom Stern, ganz auf ihn konzentriert sich Clint Eastwood. In Großaufnahmen macht er auch zunehmend die Selbstzweifel sichtbar, als die Ereignisse von der National Transportation Safety Board untersucht werden: Hätte er vielleicht doch noch einen Flughafen erreichen können? Hat er mit seiner Aktion das Leben von Passagieren und Crew gefährdet?

Großartig spielt Tom Hanks mit schlohweißem Haar den erfahrenen Piloten, der nach 40 Jahren Berufserfahrung nur nach den 208 Sekunden zwischen dem Vogeleinschlag, der zum Ausfall beider Triebwerke führte, und der Notwasserung beurteilt wird. Die Medien reissen sich um ihn, auf allen Kanälen wird über das Ereignis berichtet, doch ihm ist dieses Interesse nur lästig, er sieht sich nicht als Held, sondern als Mann, der seinen Job gemacht hat.

Die große Kunst von Eastwood ist es, die Spannung von der ersten bis zur letzten Minute hochzuhalten, obwohl der Ausgang der Ereignisse bekannt ist. Äußerst klug hat er dazu seinen Film aufgebaut, zieht den Zuschauer mit einer traumatischen Erinnerung Sullys an den Flug sofort mitten ins Geschehen hinein, schwört ihn auf den Protagonisten ein. Mit wunderbar reduziertem, aber punktgenauem Musikeinsatz akzentuiert und intensiviert er wenige zentrale Momente und leichthändig baut er das vielschichtige Spannungsfeld auf, in dem sich Sully befindet.

Da gibt es einerseits zu Hause die Sorge der Frau, auf der anderen Seite das mediale Interesse, des Weiteren die einfache New Yorker Bevölkerung, der immer noch der Schock von 9/11 in den Knochen sitzt und froh ist endlich wieder einmal einen Helden zu haben. Im Zentrum des Films steht aber die Untersuchung durch die National Transportation Safety Board, die mit Computersimulationen scheinbar nachweisen kann, dass Sully durchaus noch einen Flughafen hätte erreichen können.

Im Kampf des Einzelnen gegen die Bürokratie – oder auch das Establishment – könnte man «Sully» durchaus auch als passenden Film zur Donald Trumps sehen, doch Eastwood polemisiert nicht. Nüchtern und sachlich stellt er seinem Protagonisten, den er zwar nicht als übergroßen Helden aufbaut, aber doch als Menschen ohne Makel zeichnet, die Bürokraten gegenüber, die bei der Prüfung des Falls nur die technischen Daten berücksichtigen, den Faktor Mensch aber außer Acht lassen.

Dramaturgisch souverän entwickelt Eastwood den Film auf die entscheidende Anhörung hin, streut wenige Rückblenden ein, die Einblick in die berufliche Laufbahn und fliegerischen Fähigkeiten Sullys bieten. Immer wieder brechen Alpträume, in denen der Flug so endet, dass sich unweigerlich Erinnerungen an 9/11 einstellen, auf ihn und seinen Co-Pilot Jeffrey Skiles (Aaron Eckhart) herein, ehe der tatsächliche Verlauf der Ereignisse nachgezeichnet wird.

Mehrfach wird diese Szene schließlich wiederholt, dass dennoch und trotz des bekannten Ausgangs die Spannung hoch bleibt, unterstreicht die Meisterschaft des 86-jährigen Regisseurs. Eindrücklich vermittelt der Altmeister in diesen Szenen einerseits die Wucht des Aufpralls auf dem Fluss, feiert aber andererseits und vor allem die Meisterleistung des Piloten. – Zutiefst amerikanisch und Eastwood pur ist «Sully» in dieser Feier des überlegt und autonom entscheidenden Individuums, aber für einmal erfreulicherweise keine nationalistische Feier Amerikas und seiner Tugenden.

The Mule (2018)

Inspiriert von einer wahren Geschichte erzählt Clint Eastwood von einem über 80-jährigen Blumenzüchter, der eine Karriere als Drogenkurier beginnt. – Eine wunderbar entspannte Krimikomödie über verpasste Lebenschancen, späte Einsicht und gewissermaßen auch ein melancholischer Kommentar zu Eastwoods früheren Rollen.

89 ist Clint Eastwood, aber sein Handwerk versteht er immer noch souverän – als Schauspieler gleichermaßen wie als Regisseur. Der Altmeister braucht kein 3D und keine Special Effects, er vertraut auf seine Geschichte und auf seine Figuren.

Geradlinig und schnörkellos erzählt er, zeichnet mit knappen Strichen den Blumenzüchter Earl Stone, der 2005 auch mal für einen Blumenwettbewerb die Hochzeit seiner Tochter sausen lässt, sie nicht vergisst, sondern bewusst lieber unter seinen Freunden bleibt und mit ihnen trinkt, als zum Familienfest zu gehen. Als alter Mann, der nichts von modernen Entwicklungen wie Internet hält, präsentiert er sich, doch zwölf Jahre später ist alles anders.

Kurz ist dieser Prolog, aber doch die Basis für den ganzen Film, denn gerade das Internetgeschäft hat Stones Blumengeschäft ruiniert, andererseits erkennt er nun spät, aber doch, was er verpasst und zerstört hat, indem er der Arbeit immer den Vorrang vor der Familie gab. Abgebrannt kommt er mit seinem klapprigen Pick-up, auf dem er seine ganze Habe mit sich führt zum Haus seiner Enkelin. Zufällig platzt er in die Verlobung hinein, sucht er eigentlich doch nur eine Bleibe, wird auch abgewiesen, erhält aber eine Visitenkarte, wo er Geld verdienen könnte.

So kommt er ins Drogengeschäft, denn als sicherer Autofahrer, der noch nie einen Strafzettel erhielt, eignet er sich bestens dazu die Ware über die mexikanisch-amerikanische Grenze nach Illinois zu fahren. Er gibt den ahnungslosen Esel des Titels, der auch an die Packtiere des Western erinnert, ist aber auch ein sturer alter Mann, ein Oldtimer in einer Welt, die sich verändert hat, nicht nur mit Internet und Handy, sondern auch im Blick auf die Ethnien, wenn er noch von „Negern“ spricht oder von „den Mexikanern“.

Von Drogen ist dabei lange nicht die Rede, auch er selbst scheint lange nicht zu wissen, - oder aber auch nur nicht wissen zu wollen - was er da eigentlich im Kofferraum neben seinen Pecan-Nüssen mit sich führt. Auf die erste Tour, mit der sich Stone sanieren kann, folgen bald weitere, mit denen er die Kneipe eines Freundes vor der Pleite retten kann, einen neuen Pick-up kaufen oder auch seine Enkelin finanziell unterstützen kann. Immer wichtiger wird ihm nämlich die Familie, immer bewusster, was er hier über Jahrzehnte vernachlässigt hat.

Parallel zu Stones Touren, bei denen er auch seine eigenen Wege geht, erzählt Eastwood von den Ermittlungen eines Drogenermittlers (Bradley Cooper), der über einen Spitzel das kriminelle Geschäft auffliegen lassen will.

In vielerlei Hinsicht wirkt das wunderbar entspannt erzählte, nie das Tempo forcierende schön gemächliche, aber gefühlvolle Alterswerk wie ein Gegenentwurf zu Eastwoods frühen Filmen. An die Stelle des einsamen und schweigsamen Fremden ohne Namen, des prototypischen Einzelgängers tritt hier ein Mann, der im Alter sich wandelt und den Wert der Familie über alles stellt. Wie schon in „Million Dollar Baby“ erzählt er so von verpassten Chancen und Fehlern, die die Männer im familiären Leben machten und so das familiäre Glück und Beziehungen zerstörten.

Und während Eastwood einst als „Dirty Harry“ brutal Jagd auf Drogenbosse machte, ist dieser Film fern von jeder Kritik am Drogengeschäft und auch der Boss des Kartells wird im Grunde sympathisch gezeichnet.

Auch der Ton hat sich gegenüber den früheren Filmen gewandelt, denn an die Stelle der Härte tritt hier ein ausgesprochen milder Blick auf die Menschen. Hier wird kaum mit Tricks Spannung erzeugt werden, sondern leichthändig balanciert Eastwood zwischen sanfter Spannung und – für einen Film, der im Drogenmilieu und um Drogengangster spielt, ungewöhnlich – Humor.

Sehr ernst und beklemmend wird dann aber eine Szene, in der die Polizei einen Mann anhält, den sie wegen seines Aussehens für einen Mexikaner und Drogenkurier hält. Eindrücklich macht Eastwood hier die Angst des Mannes spürbar, der panisch fürchtet von der Polizei erschossen zu werden. – Ein starker Kommentar und scharfe Kritik an der amerikanischen Polizeigewalt, die unbescholtenen Bürgern nicht nur die schlimmsten Minuten ihres Lebens bescheren, sondern auch das Leben selbst kosten kann.

Das ist klassisches und altmodisches Kino, aber eben mit einer Meisterschaft und Sicherheit gemacht, dass es auch für den Zuschauer ein reines und entspanntes Vergnügen ist, dem von Eastwood wunderbar zurückhaltend und ganz selbstverständlich und locker gespielten Protagonisten bei seinen Fahrten, bei denen er immer die Songs des Autoradios mitsingt, und seiner inneren Wandlung zu begleiten und zuzusehen.

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