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AutorenbildWalter Gasperi

Camino Skies - Himmel über dem Camino


Die australisch-neuseeländischen Filmemacher Fergus Grady und Noel Smyth begleiten in ihrem Dokumentarfilm sechs Pilger*innen auf dem Jakobsweg durch Nordspanien. Nicht das Wandern und die Landschaft stehen im Zentrum, sondern die Lebensschicksale der Protagonist*innen und die Gemeinschaft, die sich auf dem Weg entwickelt.


Mit "Gehen ist die beste Medizin" haben Fergus Grady und Noel Smyth ein Zitat ihrem ersten Dokumentarfilm vorangestellt, das dem griechischen Arzt Hippokrates zugeschrieben wird. Vorgegeben wird damit auch schon, dass von einem Heilungsprozess erzählt werden soll, doch angenehm unaufgeregt und undogmatisch erfolgt dies hier.


Kaum einmal geht es in den zahlreichen Filmen, die es zum Jakobsweg inzwischen gibt ums Wandern oder um die Religion, sondern zumeist um persönliche Probleme, die sich im Zuge des 800 Kilometer langen Weges durch Nordspanien lösen. Das gilt für Coline Serreaus 2005 entstandenen "Saint Jacques … Pilgern auf Französisch", der als Prototyp dieser Filme gelten kann, ebenso wie für "Der Weg", in dem Emilio Estevez seinen realen Vater Martin Sheen auf der Pilgerreise den Tod seines Filmsohnes verarbeiten lässt, oder für Julia von Heinz´ Verfilmung von Hape Kerkelings Bestseller "Ich bin dann mal weg".


Kontinuierlich gestiegen ist in den letzten Jahrzehnten das Interesse an diesem Pilgerweg, dessen Wurzeln bis ins 10. Jahrhundert zurückführen. Nachdem im Jahr 2019 mit fast 350.000 Pilger*innen ein neuer Rekord erreicht wurde, sank die Pilgerzahl im Corona-Jahr 2020 zwar auf knapp 54.0000, doch ein Revival nach Überwindung der Pandemie scheint gewiss.


Grady / Smyth begleiteten im Jahr 2018 eine sechsköpfige Pilgergruppe aus Australien und Neuseeland. Dass sie dabei nicht an exakter Chronologie der Wanderschaft interessiert sind, macht schon der Einstieg deutlich: Erschöpft und mit wunden Füßen wird hier die über 70-jährige Sue Morris in einer Herberge vorgestellt. Kurz berichtet sie über ihren lädierten Rücken, ihre degenerative Arthritis und die damit verbundenen Schmerzen, ehe der Film mehrere Wochen und ein paar Hundert Kilometer zurückspringt.


Neben Sue tritt nun die 54-jährige Witwe Julie, die zunächst vom Verlust ihres Mannes, später auch noch vom kurz darauf folgenden Unfalltod ihres Sohnes erzählt. Wie Julie versuchen auch Terry und sein Stiefsohn Mark, dessen 17-jährige Stieftochter vor kurzem verstorben ist, durch diese Pilgerreise ihre Trauer zu verarbeiten und über den Verlust hinwegzukommen. Dazu kommen Claude und Cheryl, bei denen der sportliche Aspekt und die Selbstbestätigung im Zentrum stehen, die insgesamt aber Nebenfiguren bleiben.


Wie Grady / Smith, die die Gruppe über den ganzen Weg zu Fuß begleitet haben, sich kaum für die Chronologie interessieren, so auch nicht für Sehenswürdigkeiten am Wege. Der Ritus der Steinniederlegung am Cruz de Ferro wird zwar ebenso dokumentiert wie im Finale Ansichten von Santiago de Compostela nicht fehlen dürfen, doch davon abgesehen wird auf geographische Orientierungspunkte verzichtet. Die Landschaftsaufnahmen und die Bilder vom Wandern mal auf der Straße mal auf steinigem Weg, mal bei Sonne und überraschend oft bei Regen bis hin zu Kälte dienen hier in erster Linie dazu, ein Gefühl für die Strapazen und Schönheiten dieses Wegs zu vermitteln.


Im Zentrum steht aber immer die Pilgergruppe, vor allem Sue und Julie, mit Abstrichen auch Terry und Mark. Raum lässt das Regieduo ihnen, um über ihren Schmerz, ihre Sorgen und Sue über die Beschwerlichkeiten des Alters zu erzählen, zeigt aber auch, wie während der Pilgerschaft die Gemeinschaft wächst, man sich gegenseitig hilft und auch miteinander in den Herbergen, in einer Bar oder einer Disco feiert.


Filmisch ist das nicht besonders aufregend gestaltet, die Kameraarbeit wirkt mehr spontan als geplant, die Bilder bis hin zu den Drohnenaufnahmen der weiten Meseta vielfach beliebig. Aber durch den unverfälschten Blick auf die Pilgergruppe und deren Natürlich- und Ehrlichkeit berührt "Camino Skies" doch. Das liegt auch daran, dass erfreulicherweise das Missionarische fehlt. Nicht aufdringlich wollen Grady / Smith von der heilenden Kraft einer solchen Pilgerreise überzeugen, sondern stellen vielmehr unaufgeregt ihre Protagonist*innen als Angebot vor, um über das eigene Leben zu reflektieren.


Offen lassen sie auch, ob dieser Weg Julie und Mark wirklich bei ihrer Trauerarbeit geholfen hat, vermitteln aber doch die Kraft und die Freude, die sie aus der Gemeinschaft ziehen. Auf große abschließende Erklärungen wird so auch verzichtet und mit der Ankunft in Santiago und einer obligaten Szene an der Atlantikküste bei Muxia, bei der Julie auch einen symbolischen Akt des Loslassens setzt, endet "Camino Skies".


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, im Skino in Schaan und im Kinotheater Madlen in Heerbrugg. - Ab 6. August in den österreichischen Kinos.


Trailer zu "Camino Skies - Himmel über dem Camino"


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