Was ist wahr und was ist Lüge? - Jöns Jönsson erzählt in seinem zweiten Spielfilm von einem im Grunde sympathischen jungen Mann, der mit erfundenen Geschichten über sein Leben und über Erlebnisse Aufmerksamkeit zu erregen versucht. - Der von einem großartigen Moritz Treuenfels in der Hauptrolle getragene Spielfilm ist bei Filmperlen auf DVD erschienen.
Eloquent und offen tritt der etwa 30-jährige Julius (Moritz Treuenfels) auf. Sympathisch ist der Museumswärter einem, wenn er sich um seinen neuen österreichischen Kollegen Erik (Thomas Schubert) kümmert und ihn gleich zu einem Segeltörn mit Freunden einlädt. Mütterlicherseits sei er nämlich adelig und schwärmt von Segelausflügen in der Kindheit.
Erste Irritationen stellen sich freilich am Zielort für den Ausflug ein, der offensichtlich schon mehrfach aus dubiosen Gründen abgesagt wurde: Wieso parkt die Gruppe denn so weit vom Hafen entfernt? Und wieso besteht Julius plötzlich auf Schwimmwesten, obwohl die Freunde behaupten, dass er nie davon gesprochen habe. Beide Probleme lassen sich freilich beheben: Die Distanz zum Hafen mit einem Fußmarsch durch Wald und Wiesen, die fehlenden Schwimmwesten durch Einkauf in einem Geschäft für Bootszubehör.
Doch ausgerechnet hier bekommt Julius einen epileptischen Anfall und statt aufs Boot geht’s ins Krankenhaus, wo ihn die Mutter abholt. Mit ihrem Auftreten wird klar, dass Julius der Welt offensichtlich permanent etwas vormacht. Denn von adeliger Herkunft ist nichts zu sehen und, als sie alleine sind, spricht sie ihn direkt darauf an, ob er den Freunden erzählt habe, dass sie ein Boot haben, und ob er nun wieder ins alte Muster falle.
Offen bleibt, ob auch der epileptische Anfall eine Täuschung war. Klar ist aber, dass Julius den Kontakt jeweils abricht, sobald seine Lügengeschichten auffliegen. So wird man auch diese "Segelfreunde" nur noch einmal kurz sehen und Julius wird unwirsch auf dieses Wiedersehen reagieren.
Überrascht ist man, wenn manches, was er erzählt, dann doch der Wahrheit entspricht und offen bleibt auch, inwieweit seine Bekannten nicht auch lügen. Denn da erzählt nicht nur er die Geschichte von einem nackten Mann, den er auf der Straße gesehen habe, sondern bald auch seine Freundin Marie (Ricarda Seifried). – Oder hat Marie etwa diese Geschichte tatsächlich erlebt und Julius hat sie von ihr übernommen?
Im Gegensatz zu anderen solchen Lügenfiguren verfolgt Julius mit seinen Geschichten keine materiellen Interessen, will sich weder Geld noch Job erschwindeln, sondern scheint nur auf Aufmerksamkeit aus. Wie ein Schwamm saugt er die Erzählungen seiner Umwelt wie die über den nackten Mann oder über einen Fischdieb auf und macht sie zu seinen eigenen. Er ist wie Woody Allens "Zelig" ein klassischer Mann ohne Eigenschaften, der sich seinem Umfeld jeweils perfekt anpasst und darin Sympathien und Beachtung erwirbt.
So entwickelt Jöns Jönsson logischerweise auch keine dramatische Handlung, die auf einen Höhepunkt zustrebt, sondern wie das Leben von Julius bricht "Axiom" auch immer wieder ab und setzt neu ein. In langen ruhigen, halbtotalen Einstellungen beobachtet Jönsson seinen Protagonisten bei Gesprächen mit seinem Kollegen im Museum, beim Restaurant-Essen mit den Eltern seiner Freundin oder mit seiner Freundin in der Wohnung, doch wirklich näher kommt man diesem systematischen Lügner nicht.
Nicht zuletzt der Umstand, dass Jönsson auf Psychologisierung und Erklärung des Verhaltens von Julius verzichtet, macht "Axiom" so faszinierend und nachwirkend. An der konkreten Geschichte wirft der Film so Fragen nach Schein und Sein, nach Vertrauen und Missbrauch, nach Wissen und Glauben auf, das auch beim Waldspaziergang der "Segelfreunde" thematisiert wird.
Erik erklärt dabei nämlich, dass Gott für ihn ein Axiom sei, also eine gültige Wahrheit, die keines weiteren Beweises bedarf. So scheinen hier auch die Menschen die Geschichten, die Julius ihnen präsentiert, ohne weitere Prüfung zu akzeptieren und sich täuschen zu lassen.
Ein Glücksgriff gelang dem in Berlin lebenden, 42-jährigen schwedischen Regisseur mit der Besetzung der Hauptrolle mit Moritz Treuenfels. Ihm gelingt es, diesen Julius so zu spielen, dass er einem trotz seiner permanenten Lügen nicht wirklich unsympathisch wird, sondern dass man interessiert seinen Begegnungen und seinen stets neuen Geschichten folgt: Immer wartet man auf Widerspruch der Zuhörer:innen, doch angesichts seines Charmes und seiner Eloquenz gehen sie ihm stets aufs Neue auf den Leim.
An Sprachversionen bietet die bei Filmperlen erschienene DVD die deutsche Originalfassung, zu der Untertitel für Hörgeschädigte sowie englische Untertitel zugeschaltet werden können. Die Extras beschränken sich auf den deutschen und den internationalen Trailer sowie auf Trailer zu weiteren Filmen dieses Labels.
Trailer zu "Axiom"
Comments