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  • AutorenbildWalter Gasperi

Animals - Wie wilde Tiere


"Kino Kontrovers" nennt sich die 2014 zu Eurovideo gewechselte DVD/Blu-ray-Reihe. – Und kontrovers ist gewiss das Drama des Belgiers Nabil Ben Yadir, der unerbittlich aus Opfer- sowie aus Täterperspektive den brutalen Mord an einem homosexuellen Moslem nachzeichnet: Ein intensiver, aber schwer zu ertragender Film.


Von Anfang an engt das 4:3 Format den Raum ein und schafft eine beklemmende Atmosphäre. Hautnah folgt die Kamera von Frank van den Eeden dem 30-jährigen Moslem Brahim (Soufiane Chilah) bei seinen Gängen durch das Haus seiner Eltern. Während die Geburtstagsfeier seiner belgischen Mutter vorbereitet wird, versucht er mit dem Handy seinen Freund Tomas zu erreichen.


Dass er schwul ist, wagt er seiner Familie nicht zu gestehen. Einzig seine Schwägerin hat es zufällig mitbekommen. Nur ihrem Mann, Brahims Bruder, hat sie dies mitgeteilt. Wie der Bruder Brahim zur Rede stellt, macht klar, dass die Familie sein Outing nicht tolerieren würde.


Die unruhig Brahim in langen Einstellungen folgende Handkamera macht intensiv seine Anspannung und Nervosität spürbar. Zerrissen ist er zwischen seiner Familie und seinem Freund, bricht schließlich aus der Feier aus und macht sich in der Stadt, in der der Freiraum größer zu sein scheint, auf die Suche nach Tomas.


Als er dort aber eine junge Frau vor zudringlichen Belgiern schützen will, gerät er selbst in die Fänge der alkoholisierten Männer. Freiwillig steigt er noch in ihren Wagen, wird aber bald zu ihrem hilflosen Opfer, als sie erkennen, dass er homosexuell ist.


Auf verbale Angriffe und Beleidigungen folgen bald physische. Sie stecken Brahim in den Kofferraum, demütigen und prügeln ihn schließlich auf einer Wiese am Stadtrand. Dokumentarischen Charakter und damit große Unmittelbarkeit entwickelt "Animals – Wie wilde Tiere" dabei dadurch, dass diese Szene mit den Handykameras der Peiniger gefilmt ist. Keinen Regisseur und keinen Kameramann scheint es hier zu geben, sondern authentische Aufnahmen der Täter scheinen dies zu sein.


Nichts spart Yadir hier aus, zeigt die Gewalt mit aller Drastik. Vor allem der einzige Muslim der Gruppe will sich an Brahim abreagieren, aber auch der junge Loïc (Gianni Guettaf), der noch nicht ganz dazugehört, will mit seinem Mitwirken die Zugehörigkeit beweisen und schreit schließlich seinen Frust und seine Aggression hinaus.


Wie Nabil Ben Yadir mit dem Opfer Brahim in den Film einführte, führt er mit dem Täter Loïc aus dem klar in drei Akte gegliederten Film hinaus. Bindeglied zwischen beiden Teilen und Schnittstelle ist der brutale Mord. Mit diesem scheinen die vier Mörder ihre Gemeinschaft zu stärken und sich ihre Stärke zu beweisen. Danach fokussiert Yadir ganz auf Loïc.


Ein Musterbeispiel für Hannah Arendts Theorie von der Banalität des Bösen ist dieser blonde, junge Mann. Schwächlich und sanft wirkt er nämlich und kehrt nach der Bluttat in einen kleinbürgerlichen Alltag zurück. Er legt seine blutige Kleidung ab, zieht Anzug, weißes Hemd und Krawatte an und geht zur Hochzeit seines Vaters, die spiegelbildlich der Geburtstagsfeier von Brahims Mutter gegenübersteht. – Problematisch ist vor allem dieses Finale, wird doch hier einem Täter eine große Bühne geboten.


Von Anfang an macht Yadir mit dem Insert "nach einem wahren Fall" klar, dass sein Film keine Gewaltfantasie, sondern erschütternde Realität ist. Er ließ sich vom Fall des 2012 von vier jungen Männern brutal gefolterten und ermordeten Ihsane Jarfi inspirieren und hat "Animals" auch diesem 32-jährigen Moslem gewidmet. Dringlichkeit gewinnt der Film dabei durch die Nähe der Kamera und durch die Unerbittlichkeit, mit der Yadir hinschaut. Nicht entziehen kann man sich dadurch dem Geschehen und nimmt unmittelbar daran teil.


Auf jeden Hintergrund verzichtet der belgische Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Er beschränkt sich auf die quasidokumentarische Nachzeichnung der Ereignisse der einen Nacht und des folgenden Tages. Am Ende deutet er zwar Gründe für den Hass und die Aggression Loïcs an, verzichtet aber davon abgesehen auf Psychologisierung und Erklärungen. Schockierend ist die Gewalt, weil sie völlig unerklärlich bleibt und unmotiviert sukzessive eskaliert.


In diesem Blick in tiefste menschliche Abgründe ist "Animals" nicht nur erschütternd, sondern zwingt das Publikum auch selbst über die Wurzeln von Gewalt und die eigene Gewaltbereitschaft zu reflektieren. – Kein bequemer Film ist das, sondern ein kompromissloser, der auch am Ende keine Erlösung gewährt, aber gerade dadurch lange nachhallt.


An Sprachversionen bieten die bei Eurovideo erschienene DVD und Blu-ray die französische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können, sowie die deutsche Synchronfassung. Die Extras umfassen neben Bildergalerie, originalem und deutschem Trailer Interviews mit Regisseur Nahil Ben Yadir und Kameramann Frank van den Eeden. Dazu kommt ein 24-seitiges Booklet mit einem Essay des Filmwissenschaftlers Marcus Stiglegger zum Gefühl der Fremdheit in der eigenen Welt, dem Verhältnis des Islams zur Homosexualität, der Rolle des Sündenbocks als gemeinschaftsstiftendem Blutopfer sowie über das Kino als Grenzerfahrung. Auch ein ausführlicher Kommentar des Regisseurs zu seinem Film fehlt hier nicht.

Trailer zu "Animals - Wie wilde Tiere"



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