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  • AutorenbildWalter Gasperi

Alles ist im Fluss: Der japanische Animéregisseur Hayao Miyazaki wird 80

Aktualisiert: 28. Aug. 2023



Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki, 2013)

Schon über 60 war Hayao Miyazaki, als er 2002 mit "Spirited Away – Chihiros Reise ins Zauberland" mit Goldenem Bär und Oscar weltberühmt wurde. Während auch seine folgenden Filme nicht nur in Japan Kassenerfolge wurden, sondern auch den Sprung in die europäischen Kinos schafften, sind seine früheren Werke hierzulande noch wenig bekannt. Am 5. Januar wird dieser Meister des Animé 80.


Überbordend an Einfallsreichtum sind die Welten, die der am 5. Januar 1941 in Tokio geborene Hayao Miyazaki in seinen Animé kreiert, stupend ist der Detailreichtum. Ständig ist dabei alles im Fluss, flüchtig wie der Wind, der in den Filmen Miyazakis immer wieder eine zentrale Rolle spielt.


Stets neue Gestalt nehmen die Geister und Fabelwesen an, denen die kleine Chihiro in "Spirited Away" (2001) im phantastischen Zauberland begegnet. Auch die Grenzen zwischen Gut und Böse sind dabei alles andere als klar gezogen, denn der grässlich stinkende Faulgott entpuppt sich als ein nur durch menschlichen Zivilisationsmüll verpesteter gütiger Flussgott, während Chihiros kleiner Helfer Haku andererseits zum gefährlichen Drachen mutieren kann.

Alles ist beseelt in der vom Shintoismus geprägten Welt von Miyazaki, doch so sehr viele seiner Filme auch in der japanischen Kultur verankert sind, so sehr finden sich im seinem Werk auch westliche Einflüsse. So beziehen sich Szenen in seinem letzten Film "The Wind Rises - Wie der Wind sich hebt" (2013) ebenso explizit auf Thomas Manns "Der Zauberberg" wie "Laputa – Castle in the Sky" (1986) auf Jonathan Swifts "Gullivers Reisen" und in "Ponyo – Das große Abenteuer am Meer" (2008) variierte er Hans Christian Andersens Märchen "Die kleine Meerjungfrau".


So fantastisch freilich die Welten von Miyazaki sind, so kommt er doch weitgehend ohne Computeranimation aus. In Handarbeit entstehen seine Filme und entwickeln wohl gerade dadurch ihren Charme. Ambivalent sind sie dabei nicht nur in der Figurenzeichnung, sondern auch in der Position zur Technik. Denn einerseits ist der Sohn eines Flugzeugunternehmers seit seiner Kindheit vom Fliegen und Flugmaschinen begeistert, und drehte einen Film über einen italienischen Kampfflieger ("Porco Rosso", 1992) und einen über den Konstrukteur des japanischen Jagdflugzeugs Zero ("The Wind Rises - Wie der Wind sich hebt", 2013), andererseits übt er in seinen Filmen immer wieder scharfe Kritik an Technisierung und Umweltzerstörung.


Auf Umwegen kam Miyazaki erst zum Film, studierte zunächst Politik und Wirtschaftswissenschaften, ehe er 1963 seine Karriere als Zeichner diverser Animationsfilme und –serien begann. Er gehörte – vorwiegend als Hintergrundgestalter – zum Stab der TV-Serien "Heidi" (1974) und "Marco" (1976), bei denen sein Kollege Isao Takahata Regie führte und die mit großem Erfolg auch in den deutschsprachigen Ländern ausgestrahlt wurden.

1978 inszenierte er mit "Future Boy Conan" seine erste eigene Fernsehserie und schon im Jahr darauf mit "Das Schloss des Cagliastro" (179) seinen ersten Kinofilm. Die Eröffnungssequenz dieses Animé über ein Abenteuer Lupins III., eines Enkel des Pariser Meisterdiebs Arsène Lupin, zählt für Steven Spielberg zu den besten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte.


Unzufrieden mit der Situation bei den Studios, bei denen er angestellt war, gründete er 1985 zusammen mit Isao Takahata das Ghibli-Studio, das seither zum Inbegriff für den japanischen Animé wurde. Schon im Name kommt hier wieder Miyazakis Begeisterung fürs Fliegen und den Wind zum Ausdruck, denn "Ghibli" bezeichnet einen heißen Saharawind, nach welchem im Zweiten Weltkrieg italienische Kampfflugzeuge benannt wurden.


In eine fantastische Fantasy-Welt entführte er den Zuschauer im ersten Ghibli-Film "Laputa – Castle in the Sky" ("Das Schloss im Himmel", 1986), in dem er die bewegende Geschichte einer Freundschaft und des Erwachsenwerdens mit kulturphilosophischen Gedanken über Natur und Zivilisation verknüpfte und Geld-, Machtgier und Militarismus eine Absage erteilte.


Erzählte er in seinen beiden folgenden Filme "Mein Nachbar Totoro" (1988), in dem er auch die Tuberkuloseerkrankung seiner Mutter verarbeitete, und "Kikis kleiner Lieferservice» (1989) einfühlsam und unspektakulär von kindlichen Lebens- und Gefühlswelten, so folgte mit dem Fliegerdrama "Porco Rosso" (1992) ein Film, bei dem Miyazaki seiner Lust für die Fliegerei freien Lauf lassen konnte.


Während dieser Film zur Gänze im faschistischen Italien spielt, fokussierte sein letzter Film "The Wind Rises - Wie der Wind sich hebt" (2013) auf dem japanischen Flugzeugkonstrukteur Jiro Horikoshi und spannt den Bogen vom Großen Erdbeben 1923 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. In diese Biographie bettet Miyazaki eine bewegende Liebesgeschichte, aber auch die Geschichte der zunehmenden Militarisierung Japans in den 1930er Jahren ein.


Und zwischen diesen beiden historischen "Flieger-Filmen" entstanden wiederum die vier herausragenden Fantasy-Filme "Prinzessin Mononoke" (1997), "Spirited Away - Chihiros Reise ins Zauberland" (2001), "Das wandelnde Schloss" (2004) und "Ponyo - Das große Abenteuer am Meer" (2008), in denen immer die Entwicklungsgeschichte einer jungen Protagonistin spielerisch leicht mit entschiedener Gesellschaftskritik verwoben wird.


Immer wieder werden dabei das Schöne und das Leben gefeiert und Zerstörung, Krieg und Gier angeprangert. Nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich überbordende Märchen für Kinder gleichermaßen wie für Erwachsene sind die Filme Miyazakis. Viel Zeit erfordert die Gestaltung dieser filmischen Welten freilich und nur eine Filmminute pro Monat entsteht so beispielsweise für seinen neuen Film "How Do You Live", an dem Miyazaki und sein Team schon seit 2016 arbeiten. Geboten wird dafür Kino im Übermaß, das sich in seiner Fülle nie beim einmaligen Sehen erschließen lässt, sondern stets einlädt wieder und wieder gesehen zu werden: Ähnliches lässt sich wohl nur über das Werk sehr weniger anderer Regisseure der Gegenwart sagen.


Trailer zu "Spirited Away - Chihiros Reise ins Zauberland"




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