Mit 16 gilt Yuni in Indonesien schon als heiratsfähig, aber die unsichere junge Frau möchte vielleicht doch lieber studieren. – Einfühlsam und in sorgfältiger Bildsprache erzählt Kamila Andini in ihrem dritten Spielfilm vom Ende einer Kindheit im Zwiespalt zwischen traditionellen Vorgaben und Wunsch nach selbstbestimmtem Leben.
Ganz nah ist die Kamera an der 16-jährigen Yuni (Arawinda Kirana), wenn sie sich ankleidet. Ihr Gesicht sieht man erst spät. In den Detailaufnahmen wird der schöne junge Körper gefeiert. In der Nacktheit kann man einen Ausdruck der reinen Person lesen, wenn sie nach Slip und weißer Bluse auch einen Hijab anlegt, wird diese Individualität durch gesellschaftlich-religiöse Vorgaben und Traditionen gleichsam überlagert und verdeckt.
Im Einstieg von Kamila Andinis drittem Spielfilm kann man ein prägnantes Bild für das Spannungsfeld sehen, in dem Yuni lebt. Einerseits ist sie eine ganz normale Jugendliche, die nichts von ihren Altersgenossen im Westen unterscheidet, andererseits unterscheidet sich die indonesische Gesellschaft doch stark von der westlichen.
So fährt Yuni zwar mit dem Roller in die Schule, unterhält sich mit ihren Freundinnen über Sex und recherchiert im Internet über Masturbieren, andererseits gibt es schon am Beginn an der Schule einen Vortrag über Teenager-Schwangerschaft und den Plan verpflichtende Jungfräulichkeitstests für Schülerinnen einzuführen.
Sehr mädchenhaft wirkt Yuni zwar noch mit ihrem Faible für lila Accessoires vom Schulheft bis zum Haarband, steht aber gleichzeitig nicht nur kurz vor dem Schulabschluss, sondern gilt in Indonesien auch schon als heiratsfähig. Als gute Schülerin - vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern - motiviert sie die Direktorin zwar zu einem Studium, doch um ein Stipendium zu erhalten, muss sie nicht nur unter den drei Klassenbesten, sondern auch unverheiratet sein.
Weil Yunis Eltern in Jakarta arbeiten, kümmert sich die Großmutter um den in der Provinz lebenden Teenager. Bei dieser halten auch ein junger Arbeiter und seine Eltern um Yunis Hand an. Wenn sie selbst das nur auf Umwegen mitbekommt, wird deutlich, wie wenig in dieser Gesellschaft die jungen Frauen zu sagen haben. Das Recht den Antrag abzulehnen, nimmt Yuni sich aber dennoch und wird sich bei einem zweiten Antrag nicht anders verhalten.
Wenn dabei die Großmutter erklärt, dass dies Unglück bringe, wird wie an anderen Stellen auch deutlich, welch große Rolle der Aberglauben vor allem bei der älteren Bevölkerung noch spielt. Gleichzeitig kann die junge Frau sich bei ihren verheirateten oder auch geschiedenen Freundinnen auch schon ein Bild ihrer möglichen Zukunft machen. So bekommt sie Einblick in das selbstbestimmte Leben der kinderlosen Besitzerin eines Schönheitssalons, die von ihrer Familie verstoßen wurde, als sie sich wegen der Gewalttätigkeit ihres Mannes scheiden ließ, spricht aber auch mit einer jungen Mutter, die von ihrem Mann vernachlässigt wird.
Ganz aus der Perspektive von Yuni erzählt Andini in sorgfältiger Bildsprache. Ruhig und lang sind immer wieder die Einstellungen und mit genau gewählter Farbdramaturgie, bei der sanfte Töne dominieren, wird die mädchenhafte Gefühlswelt beschworen. Nicht unwesentlich tragen aber auch die Gedichte von Sapardi Djoko Damono, dem der Film auch gewidmet ist, zur sanften Stimmung von "Yuni" bei. Aber auch inhaltlich korrespondiert Damonos Buch "Regen im Juni", das Yuni in einer Schularbeit interpretieren soll, mit dem Film, denn wie es in dem Gedichtband um den Regen zu einer falschen Jahreszeit geht, scheint auch Yuni zur falschen Zeit geboren zu sein.
In der Fokussierung auf diesen Teenager und seine Zerrissenheit gelingt es der 36-jährigen Regisseurin dabei auch ein eindrückliches Bild der Spannung der indonesischen Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne zu zeichnen. Wie Yuni scheint sich dabei auch das ganze Land zu einer Entscheidung und einem Weg durchringen zu müssen, der eine positive Zukunft ermöglicht.
Yuni Indonesien 2021 Regie: Kamila Andini mit: Arawinda Kirana, Kevin Ardilova, Dimas Aditya, Marissa Anita, Asmara Abigail, Muhammad Khan Länge: 95 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen
Trailer zu "Yuni"
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