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  • AutorenbildWalter Gasperi

Nö

Aktualisiert: 25. Aug. 2022


In 15 Kapiteln, die jeweils aus einer Einstellung bestehen, blickt Dietrich Brüggemann über sieben Jahre auf die Beziehung der Schauspielerin Dina und des Arztes Michael. Die nicht nur formal beeindruckende, sondern auch großartig teils surrealen Witz mit berührenden Momenten mischende romantische Tragikomödie ist bei Eurovideo auf DVD erschienen.


Nach der Komödie "Drei Zimmer / Küche / Bad" (2012) hat Dietrich Brüggemann schon 2014 mit dem strengen religiösen Drama "Kreuzweg", bei dem fast jede Szene aus einer einzigen statischen Einstellung besteht, für Aufstehen gesorgt. Ungewöhnlich angelegt war auch der "Tatort" "Stau" (2017), dessen Handlung quasi in Echtzeit während eines Staus abläuft.


Für Aufsehen sorgte Brüggemann aber auch als Mitinitiator der Aktion "allesdichtmachen", die in Kurzfilmen kritisch zu Pandemie und Maßnahmen der Regierung Stellung bezog, sowie durch seine Mitarbeit am demagogischen Dokumentarfilm "Eine andere Freiheit", der Stimmung gegen das Impfen von Kindern und Jugendlichen macht.


Fern von solchen Aktionen ist der schon vor Corona entstandene "Nö", zu dem Brüggemann zusammen mit seiner Schwester Anna, die auch die weibliche Hauptrolle spielt, das Drehbuch schrieb. Gedanken an dieses Engagement des 46-jährigen Deutschen sollte man deshalb bei diesem Film ausblenden.


Dass Brüggemann freilich auch hier keine 08/15-Komödie vorlegt, macht er schon mit dem ersten Kapitel klar: Minutenlang verhandeln hier die Schauspielerin Dina (Anna Brüggemann) und der Arzt Michael (Alexander Khuon) im Bett in einer einzigen nahen Einstellung ihre Beziehung. Während er mal eine Auszeit nehmen möchte, sagt sie entschieden "nö" dazu.


Mit einem Schnitt und Schwarzblende überspringt Brüggemann ein Jahr und filmt wiederum in einer statischen Einstellung die Hochzeit von Anke und Dorothea, die in einem Park gefeiert wird.


Und so geht es in der Folge weiter: Inserts geben immer an, wie viele Wochen, Monate oder Jahre das kommende Kapitel nach dem letzten spielt. Schwarzblenden trennen die einzelnen Episoden, die jeweils aus einer einzigen Einstellung bestehen und somit in Echtzeit ablaufen. Die meisten dieser Einstellungen sind zwar statisch, in manchen ist die Kamera aber auch sehr dynamisch und folgt dem Paar beispielsweise durch ein Krankenhaus oder durch eine Performance von Dinas Mutter oder kreist endlos bei einem Schauspieltraining Dinas.


Leicht könnte durch diese Form ein Gefühl von Starrheit entstehen, doch das Gegenteil ist der Fall. Denn die langen Einstellungen lassen dem großartig aufspielenden Ensemble viel Zeit, um den Gefühlen ihrer Figuren Raum zu geben. Anna Brüggemann und Alexander Khuon begeistern hier ebenso mit ihrem natürlichen Spiel als Paar wie Hanns Zischler als Michaels emotionsloser Vater.


Dazu kommen geschliffene Dialoge und Brüggemanns genauer Blick mit einem großartigen Gespür für aberwitzige Einfälle ebenso wie für berührende Momente. Immer wieder wechselt so von Kapitel zu Kapitel die Tonlage, doch gerade dadurch fügen sich die isolierten Momentaufnahmen zu einem wunderbar runden und vielfältigen Bilderbogen der Schwierigkeiten einer Beziehung, der uneingestandenen Ängste und Nöte, der Belastungen durch den familiären Einfluss, den Zweifeln über den weiteren Lebensweg sowie der Veränderung der Beziehung durch die Geburt eines Kindes.


Surreale Momente wie drei grandiose Arztszenen mit einem Gynäkologen, einem Zahnarzt und Michael als operierendem Chirurgen, dessen von Rüdiger Vogler gespielter Patient plötzlich auf dem Operationstisch Fragen zu seiner Beziehung und seinem Leben stellt, finden sich hier ebenso wie eine scharfe Abrechnung von Michaels Bruder mit dem Vater.


"Nö" wird somit zum seltenen Glücksfall einer wirklich gelungenen deutschen Komödie, die nicht nur sehr unterhaltsam ist, sondern auch durch ihren Stilwillen beeindruckt und treffend die Gefühle heutiger 30-Jähriger einfängt. Großartig ambivalent bleibt "Nö" dabei in der Schilderung der Beziehung und reine Romantik gibt es nur am Ende in einer wunderbaren Rückblende zum Anfang der Beziehung, die wiederum wie eine Reminiszenz an Richard Linklaters "Before Sunrise" wirkt.


An Sprachversionen bietet die bei Eurovideo erschienene DVD die deutsche Originalfassung sowie eine Fassung für Sehgeschädigte und deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Die Extras umfassen neben dem Trailer und einer Trailershow zu weiteren Titeln des Labels das amüsante Featurette "Nö in Reimen", in dem die Dialoge zu einzelnen Szenen des Films in Reimen vorgetragen werden.


Trailer zu "Nö"


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