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  • AutorenbildWalter Gasperi

2 x Jacques Demy: Die Regenschirme von Cherbourg – Die Mädchen von Rochefort


Man muss sich daran gewöhnen, dass in einem Film alle Dialoge gesungen werden, doch hat man das einmal akzeptiert, entwickelt Jacques Demys bittersüße Liebesgeschichte „Die Regenschirme von Cherbourg“ gerade durch ihre Künstlichkeit großen Sog. Bei „Die Mädchen von Rochefort“ orientierte sich der Franzose dagegen stärker an amerikanischen Musicals. Bei Studiocanal sind die beiden in den 1960er Jahren entstandenen Klassiker in digital restaurierter Fassung in einem Schuber auf zwei DVD und Blu-ray erschienen.


Vom Blick auf den Hafen von Cherbourg fährt die Kamera in die Höhe, um in einem Top-Shot vertikal auf die Pflastersteine der Hafenpromenade zu blicken. Regen setzt ein und zum Vorspann sieht man von oben die mal roten, mal gelben, mal blauen Regenschirme der Passanten, ehe die Kamera wieder schwenkt und wieder den Blick auf den Hafen öffnet.


Einerseits wirken die Farben der Regenschirme willkürlich gewählt, andererseits in ihrer Vielfarbigkeit auch wieder gezielt eingesetzt, um der Szene verspielt-poetischen Charakter zu verleihen. Die Künstlichkeit, die diesen Auftakt kennzeichnet, bestimmt den ganzen Film, gleichzeitig sind Schauplätze, Figuren und Handlungen aber realistisch, was einen seltsamen Widerspruch erzeugt, der ebenso wie die gesungenen Dialoge gewöhnungsbedürftig ist.


In drei Kapitel hat Demy sein 1964 in Cannes ausgezeichnetes und 1965 für den besten nicht englischsprachigen Film für den Oscar nominiertes bittersüßes Melodram gegliedert: Von Abschied über Abwesenheit bis Rückkehr und damit von 1957 bis 1963 spannt der Franzose den Bogen.


Steht am Beginn die ungetrübte und scheinbar ewige Liebe der jungen Genevieve (Catherine Deneuve), die mit ihrer Mutter ein Geschäft für Regenschirme führt, zum Automechaniker Guy (Nino Castelnuevo), so folgt der Trennungsschmerz, als Guy zum Militärdienst einberufen wird und in den Algerienkrieg ziehen muss. Doch langsam verschwimmt mit der Abwesenheit bei Genevieve auch Guys Bild. Sie heiratet einen vermögenden Mann und, als ihre große Liebe zurückkehrt, hat sie die Stadt längst verlassen…


Nicht nur die konsequent gesungenen Dialoge irritieren hier zunächst, sondern vor allem, dass hier auch gesungen wird, wenn es um die Arbeit in der Autowerkstatt, um Krankheit und Tod oder den Algerienkrieg geht. Andererseits sind andere Dialoge wieder so banal, dass sie wohl nur in gesungener Form erträglich sind.


Wie der Gesang sorgt auch die expressive Farbdramaturgie für Künstlichkeit. Immer wieder sperrt Demy die junge Catherine Deneuve geradezu mit roter Kleidung in das rote Geschäft ihrer Mutter oder die von gestreiften Tapeten bestimmte Wohnung. Gefangen scheint sie in ihrem Umfeld und kann sich daraus nicht befreien.


Die konkrete Handlung verliert durch die konsequente Künstlichkeit an Bedeutung, skelettiert scheint die Liebesgeschichte auf ihre Grundmuster und modellhaft verhandelt Demy die universellen Gefühle vom leidenschaftlichen Liebesglück bis zu Entfremdung und neuem Glück mit einem anderen Partner.


Dass dieser Film immer noch großen Sog entwickelt und keinen Staub angesetzt hat, liegt an der perfekten Inszenierung. Bestechend hält Demy von Anfang bis Ende seinen Stil durch, erweist sich als souveräner Handwerker und hat in Jean Rabier ebenso einen Kameramann, der ein Gespür für große Bilder hat, wie in Michel Legrand einen Komponisten, der mit seiner Musik meisterhaft die Emotionen schüren kann.


Vieles hat die drei Jahre später entstandene Komödie „Die Mädchen von Rochefort“ (1967) mit „Die Regenschirme von Cherbourg“ gemeinsam. Wiederum spielt die Handlung in einer Stadt am Atlantik, wieder wird die Handlung durch Zeitinserts gegliedert, spannt sich aber hier nur über ein Wochenende, an dem ein Volksfest stattfindet, und wiederum spielt Catherine Deneuve eine der Hauptrollen.


Ganz anders ist aber der Umgang mit Musik und Tanz, wenn am Beginn eine Ballettszene steht, in der nicht gesungen wird. Hier gibt es wieder gesprochene Dialoge, Musik- und Tanzszenen sind wie bei den klassischen amerikanischen Musicals eines Vincente Minnelli oder Gene Kelly meist deutlich von der Handlung abgehoben und wirken teilweise auch selbstzweckhaft.


Insgesamt ist der Ton auch viel leichter als in „Die Regenschirme von Cherbourg“, denn mögen sich hier auch die Liebenden zunächst verpassen, so werden sie sich am Ende doch finden. Starke Akzente setzen auch hier Demy und Kameramann Ghislain Cloquet bei der Farbdramaturgie, die mit vielfach weißen Räumen ebenso wie mit der Sommerstimmung – im Gegensatz zum Regen und Schnee in „Die Regenschirme von Cherbourg“ - zu einer gelösteren Stimmung beiträgt.


Allerdings entwickeln weder die Tanzszenen noch eine Hommage an den berühmten Auftritt von Marilyn Monroe und Jane Russell in „Gentlemen Prefer Blondes“ je den mitreißenden Schwung ihrer Vorbilder und auch dramaturgisch verzettelt sich Demy etwas in einem zu viel an Erzählfäden. – Leichthändig inszenierte Unterhaltung und viel Augenfutter, aber auch ein Wiedersehen mit zahlreichen Stars von Deneuve über ihre noch im Entstehungsjahr von „Die Mädchen von Rochefort“ tödlich verunglückte ältere Schwester Françoise Dorléac, Danielle Darrieux, Michel Piccoli und Gene Kelly bietet diese luftig-leichte Komödie dennoch.


Die bei Studiocanal in einem Schuber erschienenen zwei DVD und Blu-ray bieten die französische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können. Bestechend sind bei der digital restaurierten Fassung auch die Farben, die einst aufgrund des Drehs auf Eastman-Negativ rasch verblassten. An Extras bieten die DVD und Blu-ray nur Trailer zu weiteren bei Studiocanal erschienenen Filmen.


Trailer zu "Die Regenschirme von Cherbourg"



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