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  • AutorenbildWalter Gasperi

Widersprüchliche Ikone: Clint Eastwood wird 90


Als wortkarger Killer in den Italo-Western von Sergio Leone stieg der am 31. Mai 1930 in San Francisco geborene Clint Eastwood in den 1960er Jahren zum Weltstar auf. Ab den frühen 1970er Jahren setzte er sich auch selbst auf den Regiestuhl – und setzte sich zunehmend auch kritisch mit amerikanischen Mythen, mit seinem eigenen Altern und seinen eigenen frühen Rollen auseinander.


Man kann kaum klassischer erzählen, als es Eastwood in "Million Dollar Baby" (2004) getan hat. Schal müsste ein solcher Traditionalismus, eine solche Wiederbelebung des großen alten Hollywoodkinos der 1940er und 1950er Jahre in einem Film des 21. Jahrhunderts wirken. – Doch nichts ist davon bei Eastwoods Vater-Tochter-Geschichte im Milieu des Frauenboxens der Fall. Nichts wirkt hier altmodisch und verstaubt, sondern ist von einer solchen Souveränität, dass der Film von der ersten bis zur letzten Minute packt und einem auch beim xten Mal Sehen noch in Staunen versetzen und einem das Wasser in die Augen treiben kann.


Die Meisterschaft dieses Films korrespondiert mit dem Selbstverständnis seines Regisseurs: ein Profi, der ohne Schnörkel und Modernismen seine – und nicht vom Studio aufgezwungenen – Geschichten erzählt. – Das gilt vor allem für seine eigenen Filme, entwickelt hat sich der Mythos "Eastwood" aber zunächst unter anderen Regisseuren.


Nach Nebenrollen in B-Pictures der späten 1950er Jahre kam mit der TV-Westernserie "Rawhide – Cowboys" (1958-65) der erste Erfolg – und das Angebot in Italien die Hauptrolle in "Per un pugno di dollari" ("Für eine Handvoll Dollar", 1964) zu spielen. Unter der Regie von Sergio Leone spielte Eastwood in diesem inoffiziellen Remake von Akira Kurosawas "Yojimbo" (1961) einen wortkargen, Zigarillo rauchenden Revolverhelden, der zwei verfeindete Banden in einem Dorf solange gegeneinander ausspielt, bis nur noch er selbst übrig bleibt.


Nicht nur eine Figur, die Eastwood im Folgenden immer wieder variieren und weiterentwickeln sollte, war damit geschaffen, sondern auch der Italo-Western geboren. Gefestigt wurde diese Figur und das Subgenre mit den beiden Folgefilmen "Per qualche dollaro in più" ("Für ein paar Dollar mehr", 1965) und "Il buono, il brutto, il cattivo" ("Zwei glorreiche Halunken", 1966).


Nach Leone wurde in den folgenden Jahren Don Siegel zum zweiten künstlerischen Ziehvater Eastwoods. Ein kleiner Schritt war es dabei den Revolverhelden aus dem Wilden Westen in den Großstadtdschungel zu versetzen. Wurde diese Verschiebung in "Coogan´s Bluff" (1968) noch thematisiert, so kann man im Cop in "Dirty Harry" (1971) diese Wurzeln nur noch ahnen. Wie in den Italo-Western spielte Eastwood freilich in diesen Cop-Thrillern einen alttestamentarischen Rächer, der Verbrecher nicht festnimmt, sondern beseitigt. Angefeindet wurde Eastwood folglich als rechter Propagandist von Selbstjustiz, hat diese Einschätzung aber mit späteren Filmen immer mehr in Frage gestellt.


Apokalyptisch und dunkel sind die Filme Eastwoods immer wieder, Abgesänge auf eine Welt. Als eine Reise in die Hölle kann man den pechschwarzen Western "Unforgiven" (1992) lesen, der mit den Mythen des Western arbeitet, sie dekonstruiert und gleichzeitig pflegt. Und das großartig gespielte Drama "Mystic River" (2003) ist eine beklemmende Erkundung menschlicher Abgründe.


Dazwischen schlug Eastwood aber auch immer wieder mal leichtere Töne an: In "Space Cowboys" (2000) setzte er sich ironisch mit dem eigenen Altern auseinander und machte sich über die amerikanische Technologiebesessenheit lustig, während er in "Gran Torino" (2009) mit seinem eigenen Image vom gnadenlosen Rächer spielte.


Wie sehr diese umstrittene amerikanische Ikone in den letzten Jahren auch immer mehr zu Perspektivenwechseln tendierte, zeigt vor allem sein gewaltiger Doppel-Film "Flags of Our Fathers" (2006) und "Letters from Iwo Jima" (2007). Da setzt sich Eastwood in ersterem nicht nur kritisch mit Mythenproduktion im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, mit Instrumentalisierung und Inszenierung eines Ereignisses auseinander, sondern zeigt auch amerikanischen Rassismus. Und der amerikanischen Perspektive stellte er mit "Letters from Iwo Jima" nicht nur die japanische gegenüber, sondern reflektierte und korrigierte damit auch die amerikanische Weltkriegsgeschichtsschreibung in Filmen wie Allan Dwans "Sands of Iwo Jima" (1949).


So einfach abtun wie in den 1970er Jahren kann man Eastwood längst nicht mehr. So sehr der Kalifornier, der von 1986 bis 1988 auch Bürgermeister der Kleinstadt Carmel war, als Nachfahre von John Ford und John Wayne zu sehen ist, so hebt er sich doch von ihnen ab, weil er die Mythen nicht nur weiter schreibt, sondern sich auch stets an ihnen abarbeitet. So altmodisch seine Filme im Speziellen sein Südafrika-Drama "Invictus" (2009) dabei auf den ersten Blick wirken, sie packen doch, weil es Eastwood mit gegenwärtig einzigartiger Souveränität und Leichtigkeit versteht, einfachste filmische Mittel einzusetzen um den Zuschauer zu emotionalisieren.


Wie kein zweiter bricht er komplexe Inhalte auf einfache Geschichten herunter, beschreibt in "Flags of Our Fathers" eingängiger Mechanismen im Krieg als viele wissenschaftliche Abhandlungen, erzählt in "Million Dollar Baby" nebenbei mehr über eine Vater-Tochter-Beziehung als ausgewiesene Familiendramen und in "Invictus" bei aller Vereinfachung ungemein bewegend vom Zusammenwachsen einer Nation.


Auch das hohe Alter bewegte ihn bislang nicht, sich zur Ruhe zu setzen. Vor der Kamera sah man ihn zwar in den letzten Jahren nur im altersmilden "The Mule" (2018), in dem er ganz untypisch für seine rechtskonservative Haltung einen alten Mann spielte, der aus Not zum Drogenkurier wird, kontinuierlich legte er aber neue Regiearbeiten vor. Immer wieder standen dabei im letzten Jahrzehnt – wie auch bei "The Mule" - reale Persönlichkeiten im Zentrum.


Der Bogen spannt sich dabei vom FBI-Boss J. Edgar Hoover ("J. Edgar", 2011) über den Scharfschützen Chris Kyle ("American Sniper", 2014) und den Piloten Chesley "Sully" Sullensberger, dem es gelang ein Passagierflugzeug auf dem Hudson River zu landen ("Sully", 2016) bis zum Wachmann Richard Jewell, der durch sein Eingreifen beim Bombenanschlag bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta eine Katastrophe verhinderte, dann aber als Täter verdächtigt wurde ("Der Fall Richard Jewell", 2019).


Nicht nur umstrittene Amerikaner, die Eastwood auch dementsprechend ambivalent zeichnet, sind das in den meisten Fällen, sondern vor allem auch Männer der Tat. Dies verbindet seine späten Filme mit seinen Anfängen, verleiht diesem großen Werk von über 70 Filmen als Schauspieler und über 40 als Regisseur Kontinuität und Geschlossenheit und zeigt auch, wie der 90-Jährige selbst hinter jedem einzelnen seiner Filme steht.


Trailer zu "Million Dollar Baby"



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