Wer Nicolas Roegs 1973 gedrehten Thriller einmal gesehen hat, wird das Rot des immer wieder auftauchenden Regenmantels nie mehr vergessen. Bei StudioCanal ist das verstörende Meisterwerk in digital restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray sowie in einem limitierten Steelbook auch auf Blu-ray in 4K ultra HD erschienen.
„Nichts ist so, wie es scheint“ stellt Laura Baxter (Julie Christie) am Beginn fest, während sie mit ihrem Mann, dem Kunstrestaurator John Baxter (Donald Sutherland), Dias von Kirchenfenstern betrachtet. Beiläufig mag diese Aussage fallen, doch sie ist ebenso zentral für Nicolas Roegs dritten Spielfilm wie Johns spätere Bemerkung „Sehen heißt glauben“ und natürlich der Originaltitel „Don´t Look Now“. Ins Zentrum dieses Thrillers führen diese Zitate, in dem es im Kern ums Sehen, um Wahrnehmung und Täuschung, um Realität und Einbildung, aber auch um die Möglichkeit eines prophetischen Sehens mit einem inneren Auge geht.
Schon beim Beruf des Protagonisten steht das Sehen im Mittelpunkt, der als Restaurator Kunstwerke prüfen, ein Bild wiederherstellen muss, dabei aber auch auf Fälschungen stoßen kann. Ganz realistisch und idyllisch beginnt „Don´t Look Now“ so auf einem englischen Landgut mit der Parallelmontage von zwei spielenden Kindern im weitläufigen Garten und den Eltern, die im Haus Dias von Kirchenfenstern studieren - also genau hinsehen.
Einstellungen von einem Teich, einem Ball, der ins Wasser fällt und dem Mädchen, das ihn zu holen versucht, lassen aber ebenso wie ein Rotweintropfen, der im Haus ein Dia verschmiert, schon kommendes Unglück erahnen. Und während draußen das Mädchen in den Teich fällt, steigert sich beim Vater im Haus, ohne dass er das Unglück sieht oder etwas davon weiß, die Unruhe und in Panik rennt er hinaus, kann die Tochter aber nur noch tot bergen.
Spürbar wird in seinem verzweifelten Schrei sein Schmerz, doch die Trauerarbeit spart Roeg aus und wechselt mit einem Schnitt nach Venedig, wo das Paar für den Bischof eine zerfallene Kirche restaurieren soll.
Über den Verlust der Tochter scheinen die Baxters hinweggekommen zu sein, doch zwei britische Schwestern, von denen die eine blind ist, aber über seherische Gaben verfügt, wecken beim Ehepaar die Erinnerungen. Während Laura sich auf die Visionen der Blinden einlässt und sich gerne von ihrer toten Tochter erzählen lässt, sind John die Schwestern nicht geheuer und er verdächtigt sie bald in Zusammenhang mit einer Mordserie zu stehen, die Venedig erschüttert.
Die blinde Frau sieht aber nicht nur das verstorbene Mädchen, sondern warnt auch, allerdings erfolglos, John vor Gefahr, die ihm in Venedig droht. Wie er sich äußerlich in den Gassen und Kanälen des winterlich kalten, verfallend-morbiden Venedig verliert, so vermischen sich für John auch zunehmend Erinnerungen an die tote Tochter und Realität, aber auch Bilder, die sich am Ende als Visionen von zukünftigen Ereignissen entpuppen werden.
Irritation löst diese Mischung aus Mystery-Thriller und Ehedrama durch seine ebenso eigenwillige wie elaborierte Bildsprache aus. Kühn verbindet Roeg so mittels brillanter Montage in einer langen Sexszene Gegenwart und Zukunft, indem er in das Liebesspiel Bilder vom anschließenden Ankleiden des Paares schneidet. Das Zeitkontinuum löst der im November 2018 verstorbene Brite so auf, die Realitätsebenen verschwimmen.
Zur Interpretation regen aber auch die leitmotivische Wiederkehr des knalligen Rot vom Regenmantel der Tochter über Lauras Stiefel und ein Kleidungsstück auf einer Wäscheleine bis zum roten Mäntelchen einer kleinwüchsigen Frau, das Spiel mit dem Wasser und splitterndem Glas oder die sich wiederholenden Bildmotive an. Parallelen und Querverbindungen zwischen der Exposition in England und der Haupthandlung in Venedig stellen sich so ein.
Wie Baxter stürzt Roeg so auch den Zuschauer in eine Bilderwelt, bei der sich letztlich nicht alles aufschlüsseln lässt. Gerade aber der Umstand, dass „Don´t Look Now“ damit auch 46 Jahre nach seiner Entstehung immer noch irritiert, macht diesen visuell brillanten Thriller zu einem zeitlosen Meisterwerk.
An Sprachversionen bieten die bei Studiocanal erschienene DVD und Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen. Die Extras umfassen sehr informative, deutsch untertitelte Features zu Aufbau und Motiven des Films, zur Rolle der Farben und zur Restaurierung sowie einen sehr ausführlichen, aber nicht untertitelten Audiokommentar von Nicolas Roeg.
Trailer zu "Wenn die Gondeln Trauer tragen - Don´t Look Now"
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