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AutorenbildWalter Gasperi

Unter den Sternen von Paris


Eine Pariser Obdachlose nimmt sich eines afrikanischen Flüchtlingsjungen an und macht sich mit ihm auf die Suche nach dessen Mutter. – Märchenhaft in der Handlung, überzeugt Claus Drexels Spielfilm durch den realistischen Blick auf die am Rand der Gesellschaft Stehenden und das Plädoyer für Menschlichkeit.


Der Titel von Claus Drexels Spielfilm erinnert an René Clairs Klassiker "Unter den Dächern von Paris". Dem Blick auf das Leben kleiner Leute in einem Pariser Viertel, stehen hier die gegenüber, die kein Dach über dem Kopf haben und auf der Straße leben. Schon 2014 hat der gebürtige Deutsche mit "Au bord du monde" einen Dokumentarfilm über Obdachlose in Paris gedreht, nun nützt er eine Spielfilmhandlung – oder vielmehr zwei Protagonist*innen -, um Einblick in die Situation von Obdachlosen und Flüchtlingen zu bieten.


Malerisch wirken die nächtliche Seine, die erleuchteten Brücken und Notre Dame, doch alles andere als romantisch ist das Leben der Mittsechzigerin Christine (Catherine Frot). Der Vorspann mit brennendem Kinderfoto und Buch hat schon angedeutet, dass etwas im Leben dieser Frau zerbrochen ist, gegen Ende werden grobkörnige Home-Movies wiederum von einem Kind und einer glücklichen Familie am Strand einstiges Glück andeuten, doch genauer wird Drexel nicht erklären, was diese Frau aus der Band geworfen hat. Auch dass sie einst Physikerin war, deutet nur eine kurze Bemerkung an.


Jetzt lebt sie jedenfalls heimlich unter einer Brücke in einem Unterschlupf, an dem immer wieder die Metro vorbeidonnert. Tagsüber schleppt sie sich mit ihren mit Abfällen gefüllten Einkaufstaschen durch die Straßen, speist in einer Suppenküche und kehrt am Abend zur Brücke zurück. Ein seltsamer Kontrast entsteht aus diesen tristen sozialen Bedingungen und der Poesie von Drexels Bildern, die durch leichten Schneefall noch verstärkt wird.


Wenig begeistert ist die Clocharde, als sie in ihrer Wohnhöhle einen achtjährigen afrikanischen Jungen (Mahamadou Yaffa) vorfindet. So schnell wie möglich möchte sie ihn loswerden, doch als sie bei ihm das Foto seiner Mutter entdeckt, ist sie gerührt und macht sich mit ihm auf die Suche. Etwas abrupt kommt diese Wandlung von Ablehnung zu großer emotionaler Bindung, die Christine sogar in heftige Tränen ausbrechen lässt, als Suli einmal verschwindet.


Mit der Suche treten dabei an die Stelle der Obdachlosen zunehmend die Flüchtlinge. So bestechend der quasidokumentarische Blick zunächst auf die Lebensbedingungen der Clochards ist, so ungeschminkt fängt Drexel auch die Situation der Flüchtlinge ein, wenn Christine und Suli zunächst ein von der Polizei geräumtes Lager vorfinden, dann auf ein Zeltlager unter einer Brücke stoßen und schließlich zum Abschiebelager am Stadtrand geschickt werden.


Ganz auf die Beobachtung beschränkt sich Drexel, der Dialog ist, auch weil Suli kein Französisch spricht, sehr reduziert. Nah dran an den beiden Protagonist*innen ist die Kamera von Philippe Guilbert und der Film lässt mit ihren Augen nicht nur auf die Lage der Flüchtlinge blicken, sondern deckt auch die Gleichgültigkeit, die Aggressivität und den Alltagsrassismus der Bürger*innen und Behörden auf. Daneben gibt es aber auch Momente des Mitgefühls und der Solidarität, wenn ihnen nicht nur andere Randständigen, sondern auch auch eine Polizistin und ein Angestellter des Flughafens hilft.


Die Spannung mag Drexel nicht durchgängig aufrecht zu erhalten. Zu einförmig und einfallslos ist doch seine Erzählweise und zu wenig Profil verleiht er seinen Protagonist*innen, verwendet sie doch weitgehend als Trägerfiguren, um über sie Einblicke in die äußerst prekäre Lebensverhältnisse zu vermitteln. Das liegt vielleicht auch an der Besetzung der Hauptrolle mit Catherine Frot, die zwar überzeugend spielt, aber nie vergessen lassen kann, dass hier ein Star eine Obdachlose spielt. Wesentlich natürlicher und authentischer wirkt der noch unverbrauchte Mahamadou Yaffa als Suli.


Doch dies ist letztlich nebensächlich und verzeihlich ist auch der Kitsch, der bei der Verwendung von Schuberts Lied "Der Leiermann" oder mit einem Kaleidoskop, durch das die Welt viel bunter und schöner aussieht, aufkommt. Zentral ist nämlich das entschiedene Engagement für die Randständigen und für Menschlichkeit. Drexel schaut mit mitfühlendem Blick dorthin, wo man sonst gerne wegschaut, macht sichtbar, die sonst unsichtbar sind und erinnert auch mit der letzten Einstellung, in der Christine aus dem Bild verschwindet an diese Unsichtbarkeit.


Läuft derzeit im Cinema Dornbirn


Trailer zu "Unter den Sternen von Paris"



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