Der Iraner Mohammad Rasoulof erzählt in seinem bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Spielfilm in vier Episoden von Gesetzestreue und zivilem Ungehorsam in Zeiten der Diktatur. – Ein meisterhafter, bildmächtiger und dicht gewobener Film, der lange nachhallt.
Schon 2010 wurde Mohammad Rasoulof zusammen mit Javar Panahi, mit dem er oft zusammenarbeitete, im Iran zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Vollzogen wurde diese zwar nicht, aber 2019 wurde Rasoulof wegen "Propaganda gegen den Staat" erneut zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt und mit zweijährigem Ausreiseverbot belegt, blieb aber auf freiem Fuß.
Wie sein Kollege Panahi dreht auch Rasoulof seine Filme im Geheimen, durfte auch nicht zur heurigen Berlinale reisen und wurde nach Abschluss der Dreharbeiten von "There Is No Evil" erneut zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt.
"There Is No Evil" hat der 48-Jährige als vier eigenständige, in unterschiedlichen Regionen des Irans spielende Kurzfilme gedreht, weil die Zensur bei diesen nicht so genau hinschaut. Nur die Themen verbinden so die jeweils rund 35 Minuten langen Episoden "Doch das Böse gibt es nicht", "Sie sagte: Du kannst es", "Geburtstag" und "Küss mich", doch brillant beziehen sich die einzelnen Geschichten immer wieder aufeinander und erweitern das Bild.
Es beginnt in einer engen und dunklen Tiefgarage, aus der ein Mann mittleren Alters in endloser Spiralfahrt ans Licht fährt. Akribisch folgt Rasoulof diesem Heschmat durch den Alltag, zeigt ihn als Ehemann, der mit seiner Frau einkaufen geht, seine Tochter von der Schule abholt, sich um seine alte Mutter kümmert und in der nächsten Nacht wieder zu seiner Schicht aufbricht. Leer wirkt sein Blick, etwas scheint ihn zu belasten und immer wieder fragt man sich, welchem Beruf Heschmat denn nachgeht, bis die letzte schockierende Einstellung, die heftig einfährt, dies offenbart.
Diesem braven Familienvater und Staatsdiener steht in der zweiten Episode ein junger Soldat gegenüber, der seinen zweijährigen Wehrdienst leistet und dabei einen Mann exekutieren soll. Lange diskutiert er im Zimmer mit seinen Kollegen, wie er sich dieser Aufgabe entziehen kann. Während die anderen betonen, dass dies eben Gesetz sei und eine Wehrdienstverweigerung den Verlust des Passes, das Verbot den Führerschein zu machen und viele weitere Nachteile nach sich ziehe, hinterfragt er die Gesetze, betont, dass er eine Hinrichtung mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne und zieht schließlich die Konsequenzen.
Spielen die ersten beiden Episoden in der Stadt, so entführt die dritte in den ländlichen Iran. Ein Soldat, der drei Tage Urlaub erhalten hat, bricht dorthin auf, um den Geburtstag seiner Geliebten zu feiern, doch getrübt sind die Feiern, denn auch ein Tod ist zu beklagen, mit dem der Soldat auf schicksalhafte Weise verbunden ist.
Wie sich mit Episode zwei und drei Stadt und Land gegenüberstehen, so stellt Rasoulof dabei auch Widerstand, der am Ende mit dem emphatischen Partisanenlied "Bella Ciao" gefeiert wird, der Erfüllung einer tödlichen Pflicht zum eigenen Vorteil gegenüber.
Ebenso großartig wie subtil verzahnt ist andererseits die erste Episode mit der vierten, mit der der verkehrsreichen Stadt eine karge und wüstenhafte Region gegenübergestellt wird. Beide Episoden arbeiten auch mit den fürs iranische Kino typischen, endlos langen Autofahrten und in beiden stehen im Gegensatz zu den jungen Männern der mittleren Episoden ältere Männer im Zentrum.
Lange im Dunkeln bleibt in dieser letzten Episode, wieso der Arzt Bahram so abgeschieden lebt und nicht praktiziert, sondern Hühner und Bienen züchtet. Spät kommt während des Besuchs seiner Nichte aus Deutschland auch Licht in ein privates Geheimnis: Eine Gewissensentscheidung hat seinem Leben eine entscheidende Wende gegeben, einen hohen Preis hat er dafür bezahlt, andererseits deutet die finale Totale seines Wagens in der weiten Landschaft eine Freiheit an, die er damit gewonnen hat. Gleichzeitig steht diese Totale in Opposition zu den Tiefgaragenszenen am Beginn des Films, die auch als Metapher für das innere Gefängnis Heschmats gelesen werden können.
Ruhig und in langen Einstellungen, in denen sich sukzessive Spannung aufbaut, erzählt Rasoulof mit nie nachlassender Intensität. Komplex ist sein Film in der Gesamtkonstruktion angelegt, verhandelt aber in den kleinen Geschichten, die immer mit einer überraschenden Wendung enden, meisterhaft und bohrend zentrale moralische Fragen, die nicht nur, aber verschärft das Leben in einer Diktatur betreffen.
Bezeichnend ist, dass im Originaltitel mit "Scheitan wodschud nadarad" von "Satan" und nicht vom "Bösen" die Rede ist. Ersteren gibt es für Rasoulof nicht, die Existenz von Letzterem offenbart sich dagegen in Nachfolge von Hannah Arendts Theorie von der "Banalität des Bösen" in ganz durchschnittlichen Menschen. Durchdekliniert werden dabei anhand der vier Geschichten Fragen wie: Wie geht man mit Gesetzen um, die ungerecht sind? Diene ich brav und blind dem Staat oder folge ich meinem Gewissen und nehme dafür Nachteile, Haft oder sogar Tod in Kauf? Wie wirkt sich aber auch die Schuld, die man auf sich lädt, auf Angehörige und das weitere eigene Leben aus?
In der Verbindung von dichter Erzählweise, bei der ein Rädchen meisterhaft ins andere greift, und konsequenter Behandlung dieser moralischen Fragen ist Rasoulof ein großer und aufregender Film gelungen, der mit seinem Ende nicht abgeschlossen ist, sondern die aufgeworfenen Fragen ans Publikum weiterleitet und in ihm weiterarbeitet.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos. - z.B. im Kinok in St. Gallen und im Skino in Schaan
Trailer zu "There Is No Evil - Doch das Böse gibt es nicht"
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