top of page
AutorenbildWalter Gasperi

Mami Wata


Der Nigerianer C. J. "Fiery" Obasi erzählt in brillanten Schwarzweißbildern eine bildmächtige, archaische Parabel nicht nur über den Konflikt von Tradition und Moderne, sondern auch über männliche Gier und Machtstreben und weibliche Heilkunst.


Unter dem Namen Nollywood – einer Verballhornung von Hollywood und Bollywood – entstehen in Nigeria etwa seit der Jahrtausendwende jährlich mehrere Hundert Unterhaltungsfilme, die mit ihrer Orientierung an indischen Melodramen, brasilianischen Telenovelas und Hongkong-Actionfilmen vor allem ein afrikanisches Publikum erreichen wollen. Auch C. J. Obasi, der 2014 mit dem Zombiethriller "Ojuju" debütierte, hat hier seine Wurzeln.


Mit diesem Debüt und seinem Krimi "O-Town" (2015) sowie seinen Kurzfilmen machte Obasi sich einen Namen, sodass er "Mami Wata" als internationale Koproduktion realisieren konnte. So hat dieser Film auch nichts mit billigem Genrekino zu tun, sondern steht vielmehr in der Tradition des klassischen Arthaus-Kinos.


Vor allem visuell ist "Mami Wata" ein Genuss. Grandios sind die gestochen scharfen Schwarzweißbilder der brasilianischen Kamerafrau Lilis Soares, die beim renommierten Sundance Film Festival mit einem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Zum Leuchten bringt sie die Leinwand immer wieder mit starken Kontrasten zwischen tiefschwarzer Nacht und den weiß bemalten Gesichtern.


Nur einer der vielen Gegensätze, die diese archaische Parabel durchziehen, ist dies freilich. So spielt Obasi auch durchgängig mit dem Gegensatz von Land und Meer, wenn, bevor die Bilder einsetzen, Meeresrauschen die Credits begleitet und bald ein Insert über die Bedeutung der westafrikanischen Meerjungfrauen-Gottheit Mami Wata informiert.


Wie die Priesterin Pythia in der griechischen Antike beim Orakel von Delphi die Prophezeiungen des Gottes Apoll deutete, so ist in "Mami Wata" die Priesterin Mama Efe (Rita Edochie) die Vermittlerin der Göttin auf Erden. Fern ist die Zivilisation noch im fiktiven, abgeschieden am Golf von Guinea gelegenen Dorf lye. Weder Schulen, Straßen und Krankenhäuser noch Polizei und Armee gibt es hier, doch langsam macht sich eine Glaubenskrise breit, als Mama Efe einer Mutter bei der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter nicht helfen und einen kranken Jungen nicht retten kann.


Während vor allem die Männer zu murren beginnen, weil jährlich Teile der Ernte Mama Efe gespendet werden müssen, obwohl diese keine Kraft mehr zu haben scheint, flüchtet Efes leibliche Tochter Zinwe (Uzomaka Aniunoh), weil sie die Verantwortung als Nachfolgerin ihrer Mutter nicht übernehmen will. Die Adoptivtochter Prisca (Evelyne Ily) stellt sich dagegen völlig hinter Efe, wird aber bald vom schiffbrüchigen Jasper (Emeka Amakeze), der im Dorf strandet und in den sie sich verliebt, verraten.


Denn dieser Fremde stachelt die Bevölkerung zum Umsturz auf, verspricht Schulen, Krankenhäuser und Elektrizität, verwendet die eingehobenen Abgaben dann aber für den Kauf von Waffen und errichtet eine Gewaltherrschaft. Doch Jasper hat die Widerstandskraft der Frauen unterschätzt.


Bis zum großen finalen Showdown entwickelt Obasi die Handlung in langen Einstellungen und ruhigem Erzählrhythmus. Mehr als auf die nur spärlichen Dialoge setzt er dabei auf die Bildkraft seines Filmes, den er durch Kapitelüberschriften gliedert, in denen im Stil des epischen Theaters von Bert Brecht immer schon die folgende Handlung vorweggenommen wird.


So archaisch und mythisch dieser Film in der Konzentration auf das abgeschiedene Dorf und die archetypische Gegenüberstellung von Matriarchat und Patriarchat wirkt, so zeitgemäß ist er in der Thematisierung von religiösen Traditionen, die durch zivilisatorische Entwicklungen zunehmend verdrängt werden.


Eindrücklich stellt Obasi dabei auch den Frauen, die sich mit ihrer Heilkraft für das Wohl des Dorfes einsetzen, die brutalen, von Egoismus getriebenen Männer gegenüber, die mit Waffengewalt ihre Macht festigen wollen: Nicht nur humanistisch, sondern entschieden feministisch ist "Mami Wata" mit dieser Feier weiblicher Solidarität und Widerstandskraft.



Mami Wata Nigeria 2023 Regie: C. J. "Fiery" Obasi mit: Evelyn Ily Juhen, Uzoamaka Aniunoh, Rita Edochie, Emeka Amakeze, Kelechi Udegbe, Tim Ebuka, Sofiath Sanni Länge: 107 min.



Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.


Trailer zu "Mami Wata"


Comments


bottom of page