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  • AutorenbildWalter Gasperi

Freaks - Missgestaltete


Einst verboten und verstümmelt gilt Tod Browings 1932 gedrehter Spielfilm über körperlich beeinträchtigte Zirkusartisten heute als Kultfilm und eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte. Bei Pidax Film ist dieser Klassiker auf DVD erschienen.


Mit "Frankenstein" und "Dracula" schufen die Universal Studios Anfang der 1930er Jahre bahnbrechende und kommerziell sehr erfolgreiche Horrorfilme. Da konnten und wollten die anderen Studios nicht nachstehen und Warner Brothers brachte unter der Regie von Michael Curtiz "Dr. X" (1932) heraus, während für Paramount Rouben Mamoulian Louis Stevensons "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" (1932) verfilmte.


Aber auch MGM, obwohl dieses Studio dann vor allem später für Glamour bekannt war, wollte hier mitmischen. Mit Tod Browning wurde ein Regisseur engagiert, der nur ein Jahr zuvor mit "Dracula" in diesem Genre reüssiert hatte. Doch was Browning dann ablieferte, verstörte nicht nur das Studio.


Der nachträglich eingefügte Prolog über die Rolle von Missgestalteten in der Menschheitsgeschichte fehlt in der bei Pidax Film erschienenen DVD. Ansatzlos setzt der Film mit einem Jahrmarktschreier ein, der die Sensationen anpreist, die es auf dem Rummelplatz zu sehen gibt. Schließlich kommt er zu einer Kiste und erklärt, dass sich darin eine schrecklich entstellte Frau befinde. Entsetzt wendet sich eine seiner Zuhörer*innen mit einem lauten Schrei ab, doch was sie sah, wird erst am Ende des Films gezeigt. In einer großen Rückblende wird nämlich geschildert, wie es zu dieser Entstellung der schönen Trapezkünstlerin Cleopatra (Olga Baclanova) kam.


In einem Zirkus ziehen Cleo und ihr Geliebter Hercules (Henry Victor) mit körperlich beeinträchtigten Menschen, die als Attraktionen ausgestellt werden, durch die Lande. Die Bandbreite reicht von einer bärtigen Frau und einem Mann-Frau-Doppelwesen über siamesische Zwillinge und unterleiblose Torsi bis zum kleinwüchsigen Paar Frieda (Daisy Earles) und Hans (Harry Earles). Hans schwärmt für die körperlich unversehrte Cleo, die den Verehrer nach Strich und Faden ausbeutet und verlacht.


Als Cleo erfährt, dass Hans groß geerbt hat, will sie ihn sogar heiraten, plant aber auch schon seine Vergiftung. Doch Hans durchschaut beim Hochzeitsfest, das die Kernszene von "Freaks" bildet, die Bösartigkeit von Cleo. Denn als die „Freaks“ diese in ihre Gemeinschaft aufnehmen wollen, verlacht und verspottet sie diese verschworene Gemeinschaft empört. Doch bitter wird sie dafür in einer dunklen Gewitternacht bezahlen.


Im Grunde ist "Freaks" kein Horrorfilm, sondern vielmehr ein klassisches Melodram mit einer Dreiecksgeschichte um enttäuschte Liebe. Doch dadurch, dass Browning, der selbst, bevor er 1914 nach Hollywood kam, Clown und Direktor eines kleinen Zirkus war, die Figuren mit tatsächlich körperlich beeinträchtigten Personen besetzte, erhält sein Film einen besonderen Dreh.


Zwar beutet er einerseits deren Missbildung immer wieder aus, indem er sie für das sensationsgierige Publikum ausstellt, doch insgesamt überwiegt eindeutig sein Mitgefühl. Nicht sie erscheinen hier als grausam, sondern vielmehr die körperlich unversehrten Figuren. Dem Mitgefühl und der Solidarität der Ausgestoßenen werden die Herzlosigkeit, Gemeinheit und Gier von Cleopatra und Hercules gegenübergestellt. So sind eben letztendlich nicht diese Menschen mit Behinderung die Freaks des Films, sondern die vermeintlich schönen Menschen.


Verstörung löste Browning aber auch dadurch aus, dass er diese Außenseiter entgegen jeder Hollywood-Konvention ein weitgehend normales Leben führen lässt – sie in quasidokumentarischen Szenen eben nicht als Freaks inszeniert. Da ist Frieda eine rührend um ihren Hans besorgte Liebende, eine armlose Frau isst ganz selbstverständlich mit ihren Füßen, von den siamesischen Zwillinge heiratet jeder ganz selbstverständlich einen anderen Mann und der unterleiblose Torso bewegt sich eben mit seinen Armen fort.


Als unerträglich empfand man nicht nur in dem auf Perfektion, äußeren Glanz und Schönheit ausgerichteten Hollywood diese Präsentation von Menschen mit Behinderung und verbot oder verstümmelte den Film. Erst in den 1960er Jahren kam es zur Wiederentdeckung. Vom ursprünglichen 90-minütigen Film existiert aber nur noch eine 60-minütige Fassung, bei der ein Happy End von Hans und Frieda in einem großen Herrenhaus seltsam angeklebt wirkt. Nichtsdestotrotz sollte man diesen Klassiker, der ziemlich singulär in der Filmgeschichte steht, zumindest einmal gesehen haben.


An Sprachversionen bietet die bei Pidax Film erschienene DVD die englische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können, sowie die deutsche Synchronfassung. Dazu gibt es in den Extras eine zweite Fassung mit einer anderen deutschen Synchronisation. Weiters bieten die Extras eine gut 60-minütige, deutsch untertitelte Dokumentation über die Entstehung des Films, den Regisseur Tod Browning, die Schauspieler*innen und die Reaktionen auf den Film, ein deutsch untertiteltes Feature zu den unterschiedlichen Schlussszenen, sowie den Prolog des Films, der pseudowissenschaftlich Einblick in die Geschichte von missgestalteten Menschen bildet. Auch der Trailer und ein nur englischsprachiger, aber gut verständlicher und sehr informativer Audiokommentar des amerikanischen Kulturhistorikers David Skal fehlen nicht.


Trailer zu "Freaks - Missgestaltete"



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