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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Jacques Demy (Film-Konzepte 56)


Mit Filmen wie „Les parapluies de Cherbourg“ (1963) und „Les demoiselles de Rochefort“ (1966) schuf der 1990 verstorbene Jacques Demy die europäische Form des Musicals. In acht Essays blickt der bei et+k erschienene 56. Band der Reihe Film-Konzepte hinter dieses poetische „cinéma en chanté“ und deckt auf, wie hier immer auch Geschlechterfragen und Machtstrukturen verhandelt werden.


Herausgeberin Kristina Köhler skizziert in ihrem einleitenden Beitrag dieses Film-Konzepte-Bandes zentrale Merkmale von Demys Kino, das zwar in poetischen Zwischenwelten spiele, aber in den leichten Liebesgeschichten, die mit Anleihen beim US-Musical und Melodrama den Zuschauer auch verzaubern wollen, neben Geschlechterfragen auch Spannungen zwischen den Klassen verhandle.


Nicht alle Filme werden in den folgenden Essays analysiert, die ausgewählten dafür umso genauer. So blickt Simon Frisch auf die Anfänge von Demys ersten beiden langen Spielfilmen „Lola“ (1960) und „La baie des anges“ (1962) und arbeitet heraus, dass der 1931 geborene Bretone zwar vorgefundene Filmmotive und Figuren verarbeitet, aber diese weniger zitiert als vielmehr durch leichte Verschiebungen aus dem Vorgefundenen ein lebendiges und originäres Gefüge schafft.


Barbara Flückiger vergleicht in ihrem Beitrag Demys unterschiedliche Arbeit mit Farbe und das Zusammenspiel von Farbe, Raum und Zeit in „Les parapluies de Cherbour“ (1963) und „Les demoiselles de Rochefort“ (1966) und erkundet das Paradox zwischen artifizieller Überhöhung und Detailverliebtheit in der Darstellung von kleinbürgerlichen Milieus, das nicht nur diese Filme kennzeichnet.


Vor dem Hintergrund von Susan Sontags „Notes on Camp“ analysieren Jörg Schweinitz „Les parapluies…“ und Anne E. Duggan die Märchenverfilmung „Peau d´âne“ (1970). Während Schweinitz vor allem die Ästhetisierung durch Stilisierung mittels Farbe, Bildführung und den gesungenen Dialogen, aber auch die Ironie, die immer mitschwingt, herausarbeitet, fokussiert Duggan auf der queer-feministischen Kritik Demys an dem um 1700 entstandenen Märchen "Eselshaut“. Die Romanstik-Professorin an der Wayne State University in Detroit deckt detailreich das Spiel mit zahlreichen Gegensätzen wie Kultur und Natur, Mann und Frau, Vergangenheit und Gegenwart ebenso wie die Selbstinszenierungen, die sich durch diese Märchenverfilmung ziehen, auf und zeigt auf, wie Demy das Märchen nutzt, um Kategorien des Normalen von (Hetero-)Sexualität und Geschlecht zu hinterfragen.


Jörg Becker untersucht dagegen in seinem Essay zu „Une chambre en ville“ (1982) das Spannungsfeld zwischen realistischem Arbeitskampf von Hafenarbeitern in Nantes im Hintergrund und tragischer Liebesgeschichte im Vordergrund und legt dar, wie räumliche und farbliche Arrangements sowie zahlreiche musikalische Themen die Figurenzeichnung verdichten.


Eindrücklich bieten Daniel Winkler und Christian Quendler Einblick in die Metareferenzialität von „Trois place pour le 26“ (1988). Darin spielt nämlich nicht nur Yves Montand sich selbst, sondern Demy nimmt auch formale und inhaltliche Motive seiner früheren Filme wieder auf und orientiert sich gleichzeitig am amerikanischen Show-Musical. Quer zum französischen Kino der späten 1980er Jahre stand „Trois place pour le 26“ damit und wurde folglich zum großen Misserfolg.


Abschließend setzt sich Sophie Rudolph ausgehend von den zwei Filmen, die Agnès Varda, die Witwe Jacques Demys, der 1990 an Aids verstarb, über ihren Ehemann drehte, mit filmischer Erinnerungsarbeit auseinander. Dem privaten „Jacquot de Nantes“ (1991), in dem nachinszenierte Momente zu Demys Kindheit, Dokumentarisches in Form von Fotos aus seinem Leben und persönliche Erinnerungen Vardas ineinander fließen, steht „L´Univers de Jacques Demy“ (1995) gegenüber, in dem es mehr um Demys Filme geht und Schauspieler wie Catherine Deneuve, Yves Montand und Anouk Aimée zu Wort kommen. Anschaulich zeigt die Autorin auf, dass beide Filme eben keine exakten objektiven Biographien liefern wollen, sondern vielmehr Orte der Erinnerung sind, in denen sich Fakten und Fantasie vermischen können.


Abgerundet wird der Band – wie gewohnt bei dieser Reihe – durch eine kurze Biographie und eine knappe Filmographie.

Kristina Köhler (Hg.), Film-Konzepte 56: Jacques Demy. Edition text + kritik, München 2020. 112 S., € 20, ISBN 978-3-86916-869-2

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