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  • AutorenbildWalter Gasperi

Das Verhör – Garde à vue


Lino Ventura, Michel Serrault und Romy Schneider brillieren in Claude Millers dichtem Kammerspiel, in dem ein Kommissar einen des Mädchenmordes verdächtigen, angesehenen Bürger verhört. Bei Pidax Film ist der packende Krimi aus dem Jahr 1981 auf DVD erschienen.


Die Kamera fährt über ein Glasdach zu einem Innenhof und einer Fensterfront. Während im Innern eine vornehme Silvesterveranstaltung stattfindet, verhört in der gegenüber liegenden Polizeistation ein Kommissar (Lino Ventura) Notar Martinaud (Michel Serrault). Mit Smoking, weißem Hemd und Fliege tritt er als Angehöriger der Oberschicht auf und ist offensichtlich ein angesehener Bürger.


Erst langsam wird klar, dass sich die Befragung auf die Ermordung und Vergewaltigung von zwei Mädchen bezieht. Erscheint Martinaud dabei zunächst als Zeuge, so verdächtigt ihn der Kommissar bald der Tat und wird in seiner Befragung zunehmend schärfer.


Ein Insert verankert das Geschehen am Beginn auf den 31. Dezember, 21 Uhr. Zehn Stunden später wird der Film mit dem Insert 1. Januar, 7 Uhr enden. Wie dabei ein Jahr ins andere übergeht, verschiebt sich im Laufe dieser Nacht aber auch das Bild des Notars. Denn wird er zunächst jede Schuld bestreiten, wird bald hinter dem gutbürgerlichen Leben der Frust über eine erkaltete Ehe spürbar und als auch noch seine Ehefrau auftaucht, deutet diese auch noch andere Abgründe im Charakter ihres Mannes an.


Konzentriert auf die eine Nacht und weitgehend auf das Polizeibüro, entwickelt sich so ein dichtes Kammerspiel, das hinter der Krimihandlung auch ein Ehedrama erzählt und gleichzeitig die Brüchigkeit von Identitäten verhandelt. Da mag man zwar scheinbar bald Gewissheit gewinnen, so wird dann doch eine überraschende finale Wendung alles noch einmal auf den Kopf stellen.


Getragen wird Claude Millers Verfilmung von John William Wainwrights 1979 erschienenem Roman "Brainwash" von einem großartigen Schauspielertrio. Gewohnt emotionslos spielt Lino Ventura zunächst den Kommissar, wird aber emotionaler und aggressiver, als er den Notar des Mordes zu verdächtigen beginnt. Zunehmend verbeisst er sich dabei in diesen Verdacht, verliert die Contenance und lässt bald jede Objektivität und Sachlichkeit vermissen.


Michel Serrault wiederum verleiht dem Verdächtigen beachtliche Vielschichtigkeit. Bestreitet er zunächst jede Schuld, so verstrickt er sich doch auch in Widersprüche und bricht schließlich nach der Aussage seiner Frau völlig zusammen.


Geschickt hinausgezögert wird dieser Auftritt Romy Schneiders, die hier in ihrem zweitletzten Film – der letzte ist "Die Spaziergängerin von Sansouci" (1982) – zu sehen ist. Denn erst nach gut 50 Minuten taucht sie auf und wird sich nach rund 15 Minuten auch schon wieder verabschieden. Doch mit ihrer Präsenz setzt sie einen entscheidenden Akzent und beeinflusst auch das weitere Handeln ihres Mannes. Gleichzeitig wird sie aber auch aufgrund der Schlusswendung schließlich selbst zur Tat schreiten.


So eng die Handlung auch gefasst ist, so wird im intensiven Blick auf die vielschichtigen Charaktere doch auch eine pessimistische Weltsicht sichtbar. Keinen strahlenden Helden gibt es hier, sondern Abgründe werden sichtbar und gefangen scheinen die Menschen in unglücklichen Beziehungen, aus denen es kein Entrinnen zu geben scheint.


Zur Dichte von "Das Verhör" tragen aber nicht nur die starken Schauspieler:innen sowie die räumliche und zeitliche Engführung, sondern auch die filmische Gestaltung bei. Musik setzt Miller nur sehr reduziert ein, akzentuiert das Geschehen aber immer wieder durch eine bewegliche Kamera und zahlreiche Großaufnahmen. Dadurch wird ebenso wie durch kurze Rückblenden zumindest teilweise die Statik und theaterhafte Anlage dieses Kammerspiels übertüncht.


So bleibt dieser Krimi, auch wenn er durch Kostüme und die Ausstattung der Polizeistation altmodisch-miefige 1980er Jahre Atmosphäre verbreitet, auch dank der schnörkellos-stringenten Inszenierung und der kompakten Länge von 85 Minuten durchgehend spannend. - Das Remake, das Stephen Hopkins unter dem Titel "Under Suspicion – Mörderisches Spiel" im Jahr 2000 mit Morgan Freeman, Gene Hackman und Monica Bellucci drehte, konnte da nicht mithalten.


An Sprachversionen bietet die bei Pidax Film erschienene DVD die französische Original- und die deutsche Synchronfassung, aber keine Untertitel. Die Extras beschränken sich auf Trailer zu zwei weiteren Filmen, die bei diesem Label erschienen sind.



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