Wie bei "Loving Vincent" erzählen Hugh Welchman und DK Welchman auch die im Polen des späten 19. Jahrhunderts spielende Dorf- und Bauerngeschichte um Liebe, Missgunst, Patriarchat und weibliche Selbstbehauptung in ihrem einzigartigen visuellen Stil.
Der Roman "Die Bauern" des polnischen Schriftstellers Władysław Reymont, der 1924 explizit für dieses Werk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, diente Hugh Welchman und seiner Ehefrau Dorota Kobiela Welchman als Ausgangspunkt. Ganz klassisch filmten sie die im späten 19. Jahrhundert spielende Dorfgeschichte zunächst mit Schauspieler:innen in Kulissen oder vor Green-Screen, ließen dann aber jede Einstellung von über 100 Maler:innen und Animator:innen von Hand mit Ölfarben nachmalen, um diese rund 40.000 Einzelbilder dann wieder mit einer Kamera aufzunehmen.
Wie sich das Regie-Duo bei "Loving Vincent" an Gemälden Vincent Van Goghs orientierte, so bildeten nun vor allem die polnischen Maler am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert die Vorbilder, doch auch beispielsweise Jean-Francois Millets "Die Ährenleserinnen" (1857) oder Carl Spitzwegs "Der arme Poet" (1887) werden unübersehbar zitiert.
Schon die Entscheidung "Das Flüstern der Felder" sich entsprechend den vier Bänden des Romans über die Jahreszeiten spannen zu lassen, bietet die Möglichkeit ein Feuerwerk an Farben zu entfesseln. Da folgt die Kamera von Szymon Kuriata, Radek Ladczuk und Kamil Polak schon in den ersten Einstellungen scheinbar schwerelos dem Samen einer Pusteblume, der vom Wind über die Felder getrieben wird. Diese herbstlich braunen Felder werden später vom Weiß des Schnees und zugefrorenen Gewässern abgelöst, ehe sich mit Tauwetter wieder das Grün des Frühlings ausbreitet, das schließlich wieder in die Helligkeit des Sommers übergeht.
Den Landschaftsszenen stehen dabei immer wieder Innenszenen mit armseligen bäuerlichen Hütten gegenüber, deren Enge durch die niedrige Decke verstärkt wird, Aber auch religiöse Feste wie Weihnachten und Ostern, die den Ablauf des Jahres ebenso wie die Jahreszeiten strukturieren, ziehen sich durch den Film.
Eingebettet in dieses dicht geschilderte Milieu erzählen die Welchmans von der ebenso jungen wie hübschen Jagna (Kamila Urzędowska), die den verheirateten Antek (Robert Gulaczyk) liebt. Doch aus finanziellen Gründen wird Jagna von ihrer Mutter mit Anteks verwitwetem Vater Boryna (Mirosław Baka) verheiratet, der der reichste Bauer des Dorfs ist. Sechs Hektar des besten Landes erhält sie dafür vom Bauern und erklärt ganz offen "Die Liebe kommt und geht, aber das Land bleibt".
Plastisch zeigt diese Bauern- und Dorfgeschichte, wie Jagnas Wunsch nach Selbstbestimmung die patriarchalen Strukturen gegenüberstehen. Aber auch die anderen Frauen kommen hier schlecht weg. Immer wieder verleumden sie Jagna wohl aus Eifersucht und Neid auf deren Schönheit, werfen ihr vor mit allen Männern des Dorfes zu schlafen und beschimpfen sie als Hure, während die Härte Borynas auch zu einem heftigen Konflikt mit seinem Sohn führt, den er wie einen Stallknecht behandelt.
Pralles Porträt einer Dorfgemeinschaft, intensives Melodram um eine Dreiecksbeziehung, bei der der Zwangsheirat eine leidenschaftliche Liebe gegenübersteht, und das Streben der jungen Protagonistin nach eigener Entscheidung über ihr Leben fließen so bruchlos ineinander. Dabei bietet "Das Flüstern der Felder" mit den nie zur Ruhe kommenden, sondern stets leicht Licht und Farben verändernden Ölbildern nicht nur ein visuell berauschendes Erlebnis, sondern entwickelt speziell bei den Tanzszenen bei Jagnas Hochzeit oder einem Weihnachtsfest durch eine entfesselte Kamera, einen dynamischen Schnitt und vor allem die mitreißende polnische Volksmusik auch einen enormen Sog.
Dennoch stellt sich aber auch das Gefühl ein, dass diese hochartifizielle Form mit den Gemälden auf der einen Seite und die realistische Schilderung der bäuerlichen Welt auf der anderen Seite nicht wirklich zusammenpassen. Im Widerspruch stehen hier Form und Inhalt zueinander und so sehr man die Bilder auch bewundert, so können diese gemalten Charaktere, auch wenn dahinter reale Schauspieler:innen stecken, doch erst gegen Ende, wenn die Handlung zunehmend beklemmender und tragischer wird, echte Anteilnahme wecken.
Das Flüstern der Felder - Chłopi Polen 2023 Regie: Hugh Welchman, DK Welchman mit: Kamila Urzędowska, Robert Gulaczyk, Mirosław Baka, Sonia Mietielica, Dorota Stalinska, Ewa Kasprzyk, Cezary Łukaszewicz, Mateusz Rusin Länge: 114 min.
Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 18.11., 18 Uhr Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 18.12., 20 Uhr
Trailer zu "Das Flüstern der Felder"
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