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  • AutorenbildWalter Gasperi

58. Viennale: Weibliche Perspektive


Während Susanna Nicchiarelli in "Miss Marx" die letzten 15 Lebensjahre von Karl Marx´ jüngster Tochter Eleanor nachzeichnet, lässt Jasmila Zbanic in ihrem aufwühlenden "Quo vadis, Aida?" den Zuschauer die Stunden vor dem Massaker von Srebrenica hautnah nacherleben.


Punkmusik zum Vorspann lässt angesichts der im 19. Jahrhundert spielenden Handlung einen ungewöhnlichen und aufregenden filmischen Blick auf die jüngste Tochter von Karl Marx erwarten. Ganz klassisch setzt Susanna Nicchiarellis "Miss Marx" dann aber mit dem Begräbnis des Philosophen und Gesellschaftstheoretikers und einer Leichenrede von Eleanor Marx (Romola Garai) ein.


Die 28-Jährige will das Werk ihres verehrten Vaters fortsetzen, kämpft für Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Einschränkung der Kinderarbeit und Frauenrechte, erkennt aber zunehmend, dass auch sie selbst in ihrem Privatleben ausgenützt wurde und wird. Da muss sie ihrem verstorbenen Vater schließlich vorwerfen, dass er zwar das Beste für sie wollte, ihr aber keine freie Entwicklung zugestand.


Gleichzeitig muss sie erkennen, dass ihr Lebenspartner Edvard Aveling zwar ihre politischen und sozialen Ideen teilt, sie aber mit einer anderen Frau betrügt und mit seinem fehlenden Gespür für Geld in Schulden treibt. Doch Eleanor begehrt dagegen nicht auf, sondern nimmt im Privatleben duldend alles hin, während sie doch im öffentlichen Leben kämpferisch auftritt.


Getragen von einer starken Romola Garai zeichnet Susanna Nicchiarelli ein vielschichtiges Porträt dieser weitgehend doch vergessenen Frau, doch die radikalen Brüche mit Konventionen, die der Auftakt erwarten ließ, bleiben insgesamt spärlich. Sorgfältig ist dieses Biopic inszeniert und ausgestattet, aber insgesamt doch etwas steif. Wenig bringen hier eingeschnittenes schwarzweißes Archivmaterial von Arbeitskämpfen in späteren Zeiten oder eine Szene, in der die Protagonistin die vierte Wand durchbricht und direkt das Kinopublikum anspricht.


In erster Linie ist es so die Musik, die "Miss Marx" immer wieder aus dem Konventionellen herausreißt. Wie in Sofia Coppolas "Marie Antoinette" sorgen hier immer wieder modernisierte Liszt- und Chopin-Melodien für Akzente. Wirklich auszubrechen aus dem Korsett des Historienfilms gelingt Nicchiarelli aber erst im Finale, wenn sich auch die Protagonistin selbst aus ihrem inneren Gefängnis befreit und entfesselt zu einer Punk-Version von Bruce Springsteens"Dancing in the Dark" tanzt und singt.


Während sich die Handlung von "Miss Marx" über 15 Jahre bis zum Freitod Eleanors im Jahr 1898 spannt, beschränkt sich Jasmila Zbanic in "Quo vadis, Aida?" ganz auf die Stunden vor dem Massaker von Srebrenica, bei dem am 11. Juli 1995 mehr als 8000 Bosnier – vor allem Männer – von serbischen Paramilitärs ermordet wurden.


Auf Vorgeschichte und Hintergrundinformationen verzichtet Zbanic. Sie versetzt den Zuschauer mittels nah geführter Kamera unmittelbar ins Geschehen und lässt ihn dieses hautnah nacherleben.


Im Zentrum der Handlung steht die frühere bosnische Englischlehrerin Aida (Jasna Duricic), die nun im Lager der niederländischen UN-Schutztruppe als Dolmetscherin arbeitet. In ihrer Vermittlertätigkeit muss sie praktisch permanent die Seiten wechseln, einerseits die dringliche Bitte des Bürgermeisters von Srebrenica um militärisches Eingreifen der UN-Truppe übersetzen, andererseits die abschlägige Antwort des niederländischen Kommandanten Colonel Karremans.


Mit den Mitteln eines Thrillers zeichnet Zbanic die Ereignisse nach, die sich zuspitzen, als die Bewohner von Srebrenica zum UN-Lager flüchten, dort aber nur teilweise aufgenommen werden und schließlich den von General Mladic geleiteten Serben zur angeblichen Evakuierung in eine andere Stadt übergeben werden. Assoziationen an die Deportation von Juden während der NS-Zeit weckt dabei, wie hier Männer und Frauen getrennt und in Busse und LKW getrieben werden: Statt Zügen rollen hier Busse des Grauens unter der Sommersonne.


Aufwühlende Intensität gewinnt "Quo vadis, Aida?" nicht nur durch die zupackende Inszenierung, sondern mehr noch durch den zwar bekannten, aber dennoch schockierenden Umstand, dass weder von der UN-Truppe noch von der informierten Staatengemeinschaft eingegriffen wurde, um dieses Massaker zu verhindern.

Chancenlos ist Aida in dieser von Männern dominierten militärischen Welt in ihrem Kampf um ihren Mann und ihre beiden Söhne. Wie eine Löwin mag die von Jasna Duricic gespielte Protagonistin kämpfen, kann aber letztlich nichts ausrichten. Trotz des Massakers, das Zbanic mehr andeutet als konkret ausformuliert, endet "Quo vadis, Aida?" aber mit einem hoffnungsvollen Epilog, der Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben kommender Generationen macht.

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