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  • AutorenbildWalter Gasperi

Youssef Chahine – Galionsfigur des ägyptischen Kinos

Alexandria...warum? (1978)

37 Spiel- und fünf Kurzfilme drehte der 2008 in Kairo verstorbene Youssef Chahine, populäres Unterhaltungskino ebenso wie kritische Bestandsaufnahmen seiner ägyptischen Heimat. Das Filmarchiv Austria widmet diesem Großmeister des ägyptischen Kinos vom 13. bis 28. Februar 2020 eine Retrospektive.


Multikulturell sind mit einem christlichen Vater aus dem Libanon und einer griechischen Mutter die Wurzeln des am 25. Januar 1926 in Alexandria geborenen Regisseurs, multikulturell ist aber auch Chahines Sozialisation, denn er wuchs zwar in Alexandria auf, studierte dann aber in den USA am Pasadena Playhouse Schauspiel und Regie, um 1948 nach Ägypten zurückzukehren.


Geprägt hat ihn diese Ausbildung, vor allem in seinen frühen Filmen wollte er Engagement mit Unterhaltung verknüpfen. Er drehte Melodramen, Musicals und Komödien sowie mit dem Kostümfilm „Sultan Saladin“ (1963) den teuersten ägyptischen Film aller Zeiten und entdeckte 1954 für „Tödliche Rache“ auch den jungen Omar Sharif, immer wehte aber auch der Geist des Neorealismus durch diese Filme.


Immer wieder thematisierte er den Gegensatz von einfachen Leuten und der Oberschicht, ließ sich bei der arabisch-sowjetischen Koproduktion „Es war einmal … der Nil“ (1969), in dem aus der Sicht der Arbeiter und Ingenieure vom Bau des Assuan-Staudamms erzählt wird, aber auch für die Politik des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser einspannen.


Der internationale Durchbruch gelang Chahine 1968 mit „Die Erde“, in dem er in neorealistischem Stil von der Unterdrückung und einem gescheiterten Aufstand der ägyptischen Bauern in den 1930er Jahren erzählt. Nicht nur mit diesem Film bekam dieser Kämpfer für die Armen und Schwachen Probleme mit der Zensur, sondern vier Jahre später wurde auch „Der Spatz“ verboten, in dem die Missstände im ägyptischen Heer als Ursache für die Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 geschildert wurden.


Chahine arbeitete ab 1970 nicht nur zunehmend selbstständiger, sondern er verarbeitete in der Tetralogie „Alexandria…warum?“ (1978), der bei der Berlinale 1979 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, „Eine ägyptische Geschichte (1982), „Für immer Alexandria“ (1990) und „Alexandria… New York" (2004) auch seine eigene Geschichte auf.


Andererseits stehen diesen persönlichen Filmen mit „Adieu Bonaparte“ (1985), der vor dem Hintergrund von Napoleons Ägypten-Expedition spielt, oder „Das Schicksal“ (1997), der Szenen des im 12. Jahrhundert lebenden islamischen Rechtsgelehrten und Philosophen Averroes erzählt, große historische Filme gegenüber, in denen freilich aktuelle Entwicklungen gespiegelt werden.


Auf keinen Nenner lässt sich so das Werk des am 27. Juli 2008 in Kairo verstorbenen Regisseurs bringen, Bindeglied ist aber das Engagement für das einfache Volk und mehrfach auch ein geradezu visionärer Blick. So sah er nicht nur in seinem letzten Film „Chaos“ (2008) mit der Schilderung scharfer sozialer und politischer Spannungen in Kairo quasi die Aufstände, die in die Revolution von 2011 mündeten, voraus, sondern auch schon gut 30 Jahre zuvor in „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ (1976), in dem ein Unternehmersohn nach mehrjähriger Haftstrafe wegen politischer Aktivität in seine Familie zurückkehrt, den libanesischen Bürgerkrieg. – Eine Wiederentdeckung des inzwischen fast vergessenen Meisterregisseurs scheint dringend nötig.

Weitere Informationen und Spielplan finden Sie unter Filmarchiv Austria

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