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  • AutorenbildWalter Gasperi

One of These Days


Ein kurioser texanischer Wettbewerb, bei dem der Sieger einen Pick-up-Truck erhält, dient Bastian Günther als Ausgangspunkt, um hinter der Show bedrückende Einblicke in den Existenzkampf der amerikanischen Unterschicht zu bieten.


Immer wieder lässt Bastian Günthers Spielfilm an Sidney Pollacks Klassiker "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" (1969) denken. Wie dort während der Depressionszeit der 1930er Jahre Menschen aus der Unterschicht, sich wegen des Preisgelds für einen Tanzmarathon anmelden, aber bald an den Strapazen zu zerbrechen drohen, geht es hier um einen ziemlich kuriosen, dennoch realen Wettbewerb, bei dem man einen Pick-Up-Truck gewinnen kann.


Einzige Aufgabe der per Los ermittelten 20 Teilnehmer*innen ist es den brandneuen Wagen, der auf dem Parkplatz einer Autohandlung steht, stets mit einer Hand zu berühren. Jede Stunde gibt es einem fünfminütige, alle sechs Stunden eine 15-minütige Pause. Wer am längsten durchhält, bekommt den Wagen. Der Rekord liegt bei 125 Stunden.


Von 1992 bis 2005 wurde diese Veranstaltung jährlich in Longview, Texas durchgeführt. Schon 1997 entstand darüber der Dokumentarfilm "Hands on a Hardbody", 2013 ein Musical mit dem gleichen Titel. Nicht verwundern kann es auch, dass Robert Altman kurz vor seinem Tod an einem Spielfilm arbeitete, bei dem er auf dem Dokumentarfilm aufbauen wollte.


Mit der Verknüpfung von Show, Geschäft und US-Gesellschaft ist das einerseits ein klassischer Altman-Stoff und gut kann man sich hier einen Film wie "Nashville" oder "Buffalo Bill and the Indians" vorstellen, andererseits bieten sich die wechselnden Akteure auch für sein polyphones Erzählen an. Auch Günther, der auch seine letzten Spielfilme "Houston" (2013) und "California City" (2015) in den USA drehte, arbeitet mit dieser Erzählstrategie.


Mit mitreißender Rede kündigt der Autohändler den Wettbewerb in einem Werbespot an und seine Marketingleiterin Joan (Carrie Preston) stellt die Veranstaltung in einer Fernsehsendung vor.


Unter den Teilnehmer*innen befindet sich auch der junge Kyle (Joe Cole), der den Wagen unbedingt für seine kleine Familie benötigt. In der Küche eines Fastfood-Restaurants arbeitend, lebt er mit seiner Frau Maria und dem gemeinsamen Baby am Existenzminimum. Offen bleiben dagegen die Motivationen der anderen Teilnehmer*innen, von denen aber Günther dennoch mehr oder weniger prägnante Porträts zeichnet.


Ganz entspannt beginnt die Veranstaltung mit einem Fernsehteam, das einige Teilnehmer*innen interviewt. Mit Musik am Abend kommt Volksfeststimmung auf, bis ein Wolkenbruch diese abrupt zum Erliegen bringt. Die Teilnehmer*innen pendeln dagegen zwischen Zusammenhalt gegenüber der Außenwelt und internen Kämpfen gegen die Konkurrent*innen. So versuchen die einen die anderen zu provozieren und mit Psychospielen aus der Fassung zu bringen, andere bleiben ruhig, einer hört Musik über einen Ohrknopf und die religiöse Ruth liest aus der Bibel vor.


Je länger die Konkurrenz dauert, desto mehr reduziert sich die Zahl der Teilnehmer*innen. Die einen verlassen wortlos den Wagen, zum heftigen Streit kommt es, als ein Mann disqualifiziert wird, da er beim Trommeln beide Hände gehoben habe, wieder ein anderer bricht zusammen und muss von der Rettung abtransportiert werden.


Was für die Veranstalter und für das Publikum reine Show ist, mit der Werbung für das Autogeschäft gemacht werden soll, wird für die Teilnehmer*innen so zunehmend zur Tortur, die physische und psychische Spuren hinterlässt. Gleichzeitig sieht vor allem Kyle aber im Wettbewerb auch einen und den einzigen Rettungsanker, um – zumindest vorübergehend – den prekären Lebensverhältnissen zu entkommen.


Bezeichnend ist dabei freilich auch, dass es gerade um ein Auto geht. Als Standard gilt dies doch allgemein im amerikanischen Alltag, doch die Teilnehmer*innen dieses Wettbewerbs können es sich trotzdem nicht leisten. Sukzessive plastischer und dichter arbeitet Günther unterstützt vom intensiven Spiel des Briten Joe Cole auch die Versagensängste und den Minderwertigkeitskomplex von Kyle heraus, der seiner Familie unbedingt ein bürgerliches Leben bieten will.


Verstärkt wird dieser Einblick durch den Kunstgriff, dass der Film im Finale zum Anfang zurückkehrt und nun ausführlicher die Lebensumstände Kyles, der auch immer wieder den Cousin seiner Frau um Arbeit oder leihweise um dessen Wagen bitten muss, schildert.


Mit der Fokussierung auf den Mikrokosmos dieser Veranstaltung, ihrer Organisator*innen und Teilnehmer*innen gelingt Günther so ein eindrückliches Bild der amerikanischen Gesellschaft. Schonungslos deckt der zwischen Austin, Texas und Deutschland pendelnde Regisseur an diesem speziellen Beispiel die negativen Seiten des amerikanisches Leistungs- und Wettbewerbsdenken und der Glaube, dass man mit entsprechendem Einsatz seine Ziele erreicht, auf.


Aber nicht nur Show und Existenzkampf prallen hier aufeinander, sondern auch die Zweiklassengesellschaft wird sichtbar, wenn die Marketingleiterin Joan in properem Vorstadthaus mit Pool lebt, die Teilnehmer*innen aber teilweise im Wohnmobil. Mag "One of These Days" dabei auch nicht die satirische Schärfe eines Altman-Films besitzen, so gelang Günther doch ein schillerndes und vielschichtiges Kaleidoskop.



One of These Days Deutschland / USA 2020 Regie: Bastian Günther mit: Joe Cole, Callie Hernandez, Carrie Preston, Devyn A. Tyler, Cullen Moss, Jesse C. Boyd, Lynne Ashe, Clyde Risley Jones Länge: 119 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "One of These Days"





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