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AutorenbildWalter Gasperi

Miss Marx


Susanna Nicchiarelli zeichnet die letzten 15 Lebensjahre von Karl Marx´ jüngster Tochter Eleanor nach und deckt den Widerspruch zwischen dem öffentlichen Kampf für Arbeiterschaft und Frauenrechte und duldender Hinnahme der Ausnutzung im Privatleben auf. – Ein sorgfältig gemachtes und stark besetztes Biopic, das aber nur im Musikeinsatz und in Details die Konventionen des Historienfilms sprengt.


Der Vorspann stimmt mit Punkmusik der Band Downtown Boys angesichts der Tatsache, dass Eleanor Marx (1855 - 1898) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, auf ein unkonventionelles Biopic ein, doch ganz klassisch beginnt die Erzählung anschließend mit einer Rede der jüngsten Tochter von Karl Marx bei der Beerdigung ihres Vaters 1883. Sie schwärmt von der großen Liebe des Verstorbenen zu seiner Gattin Jenny, wird aber im Laufe der Jahre erkennen müssen, dass sie ein falsches Bild von dieser Ehe hatte.


Wie Eleanor (Romola Garai), die alle nur "Tussy" nennen, so einen Wiederspruch im Leben ihres Vaters entdeckt, arbeitet Susanna Nicchiarelli, deren Biopic über die Sängerin Nico ("Nico, 1988") zuletzt viel Beachtung fand, durchgängig Widersprüche zwischen dem öffentlichen Leben und dem Privatleben ihrer Protagonistin heraus.


Beim Begräbnis lernt Eleanor auch den Sozialisten und Schriftsteller Edward Aveling (Patrick Kennedy) kennen, mit dem sie bald eine Beziehung beginnt, ihn aber nicht heiraten kann, da er schon verheiratet ist. Während sie öffentlich für bessere Arbeitsbedingungen, Schutzmaßnahmen, Einschränkung der Kinderarbeit und die Rechte der Frau kämpft, kommt sie im privaten Leben von Aveling nicht los, obwohl dieser neben ihr Geliebte hat, jedes Gespür für Geld vermissen lässt und ein großbürgerliches Leben in Luxus führt.


Das Spannungsverhältnis von großbürgerlichem Leben und sozialistischem Engagement fällt aber nicht nur bei Eleanor, sondern auch bei Friedrich Engels und ihren anderen Weggefährten auf: Privat bewegt man sich hier immer im gehobenen Milieu, nur sehr reduziert und verknappt bietet Nicchiarelli dagegen Einblick in die triste Situation der Arbeiterschaft.


Statt Klischeebilder der sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts zu liefern, beglaubigt die 46-jährige Römerin vielmehr ihren Film mit schwarzweißen Archivbildern der Situation der Arbeiter und ihres Kampfes und führt den Film dabei vom 19. Jahrhundert ins 20., wenn auch neuere Bilder ins Archivmaterial gemischt werden.


Wie mit dieser Found Footage die klassische Erzählung aufgebrochen wird, so auch in einer Szene dadurch, dass Eleanor die vierte Wand durchbricht und direkt ans Publikum von ihrem Kampf erzählt. Am stärksten bricht Nicchiarelli aber mit den Konventionen des Historienfilms durch den Musikeinsatz, der an Sofia Coppolas "Marie Antoinette" erinnert. Nicht begleitend und emotionalisierend wird sie eingesetzt, sondern kommentierend markanten Szenen unterlegt. Moderne Bearbeitungen von Stücken von Chopin und Liszt lassen hier nie einen Hauch von Romantik aufkommen, andererseits beschwört an anderen Passagen Punkrock die kämpferische Haltung der Protagonistin.


Mit diesem Spannungsverhältnis von zwar sorgfältiger, aber auch ziemlich konventioneller Schilderung des Privatlebens von Eleanor Marx und heftiger moderner Musik, überträgt Nicchiarelli auch das inhaltliche Spannungsfeld von "Miss Marx" auf die formale Ebene. Denn auch die Protagonistin ist zerrissen zwischen ihrem sozialen Engagement und den Einschränkungen im privaten Leben, früher durch den Übervater Karl Marx, nun durch ihre emotionale Abhängigkeit von Aveling.


Während der Film, der sich durch die Fokussierung auf Eleanor und ihr Umfeld bewusst nie zum Zeit- und Gesellschaftsbild weitet, aus dem Korsett des Historienfilms über die Musikmontage ausbricht, lässt sich Eleanor lange in die Normen der viktorianischen Zeit drängen. Erst im Finale brechen ihr ganzer aufgestauter Frust und die unterdrückten Gefühle in einem entfesselten Tanz zum Downtown Boys Punk-Song "I'm Enough (I Want More)" hervor. Durch diesen Soundtrack enthebt Nicchiarelli "Miss Marx" aber auch seiner Zeit und möchte unübersehbar an heutige Unterdrückung und Ausbeutung und den nötigen Kampf für soziale Gerechtigkeit, Frauen- und Kinderrechte erinnern.


Kein 08/15-Biopic ist diese "Miss Marx" damit, sondern ein sehr kluger, genau recherchierter und sorgfältig inszenierter Film, wirkt allerdings – von den modernen Brüchen abgesehen - in den vielen Salon- und Dialogszenen doch auch recht bieder. So folgt man zwar interessiert der Handlung, aber wirklich Feuer entfachen und mitreißen kann dieses Biopic trotz einer großartigen Romola Garai, die Eleanor Marx mit Hingabe spielt, nicht. Der Spagat zwischen historischer Geschichte und modernen Akzenten will letztlich nicht ganz aufgehen.


Läuft ab Freitag, 28.5. in den österreichischen Kinos, z.B. im Feldkircher Kino Rio im Rahmen der Programmkinoschiene des TaSKino Feldkirch.


Trailer zu "Miss Marx"



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