Sehr chic, sehr stylisch und atmosphärisch dicht pendelt Edgar Wright in seinem Mix aus Horrorfilm und Thriller zwischen dem London der Gegenwart und den Swinging Sixties, rechnet mit der Macht der Männer ab und erweist dem Subgenre des Giallo seine Reverenz.
Musik war schon die treibende Kraft in Edgar Wrights Action-Thriller "Baby Driver". Auch in "Last Night in Soho", für den der 47-jährige Brite 20 Songs ausgewählt hat, erzeugt er damit vom Vorspann an, zu dem die junge Ellie Turner (Thomasin McKenzie) in einem selbst entworfenen Kleid aus Zeitungen durch ihr Haus in Cornwall tanzt, Drive. Die Musik, bei der sich Wright unter anderem bei den in den 1960er Jahren erfolgreichen Peter & Gordon und Cilla Black bedient, kommt dabei von klassischen Schallplatten, aber auch mit Postern der Filme "Breakfast at Tiffanys" und "Sweet Charity" wird schon auf eine Hommage an die Swinging Sixties eingestimmt. Gleichzeitig kommt mit Fotos der Protagonistin und ihrer Mutter die familiäre Bindung ins Spiel, denn immer noch leidet Ellie offenbar darunter, dass ihre Mutter Selbstmord beging, als sie selbst sieben war.
Jetzt lebt die junge Frau bei ihrer Großmutter (Rita Tushingham) in Cornwall, träumt aber von einer Karriere als Modedesignerin und wird auch prompt an einer Londoner Modeschule aufgenommen. Wenn es vom ländlichen Cornwall in die Metropole geht, kann man darin schon eine Reverenz an Dario Argentos Giallo-Klassiker "Suspiria" (1977) lesen, in dem eine junge Amerikanerin nach Freiburg im Breisgau reiste, um dort Ballett zu studieren.
Kein Zufall ist es auch, dass Ellie Mode studieren will und der Entwurf von Kleidern im Film eine Rolle spielt, arbeitete doch auch der Giallo mit dem Reiz der Mode und auch Peter Strickland spielte zuletzt in seiner Giallo-Hommage "Das blutrote Kleid - In Fabric" damit.
Weil sich im Londoner Studentenheim die Mitbewohnerinnen über das Landei Ellie lustig machen, zieht diese bald aus und nimmt sich ein Zimmer bei einer älteren Dame (Diana Rigg). Doch schon in der ersten Nacht wird sie hier von Alpträumen verfolgt, in denen sie ins Swinging London der 1960er Jahre abtaucht und die junge Sandy (Anya Taylor-Joy), die als Sängerin Karriere machen möchte, aber bald von den Männern benutzt wird, durch die nächtlichen Clubs begleitet.
Die Träume werden aber nicht nur von Nacht zu Nacht intensiver, sondern verfolgen Ellie bald auch am Tag, bis sie fest überzeugt ist, dass in ihrem Zimmer einst ein Mord begangen wurde, den sie nun rund 50 Jahre später aufklären will.
An das französische Cinéma du Look der 1980er Jahre erinnert "Last Night in Soho" im mitreißenden Spiel mit Licht und Farben, im Oberflächenglanz, nach dem der Film in jeder Szene strebt. Realismus ist nicht Wrights Sache, vielmehr stellt er die Künstlichkeit förmlich aus, demonstriert seine Virtuosität so offensiv, dass teilweise der ästhetische Genuss den Inhalt in den Hintergrund drängt.
Doch auf seine stylische und schicke Verpackung lässt sich dieser Film dennoch nicht reduzieren, sondern Wright hat durchaus auch etwas zu erzählen. Atmosphärisch dicht erweckt er einerseits mit Kostümen und viel Musik die Swinging Sixties zum Leben und feiert leidenschaftlich diese Zeit. Andererseits entwickelt er auf der Traumebene eine Horrorhandlung, die mit der Gewalt an einer jungen Frau und Messern als Mordwaffe unübersehbar an den italienischen Giallo anknüpft und diesem Subgenre des Thrillers und Horrorfilms seine Reverenz erweist. Der Brite verleiht diesem Genre dabei einen neuen Twist, wenn er mit dem Sexismus der 1960er Jahre und der historischen Ausbeutung der Frau abrechnet, der damaligen Unterdrückung und Ohnmacht die Selbstbehauptung und der Erfolg in der Gegenwart gegenüberstellt wird, gleichzeitig aber auch bei einer Taxifahrt das Weiterleben des Sexismus sichtbar macht.
Mit diesen Zeitebenen spielt Wright auch durch die Besetzung, wenn er die Rollen der alten Figuren mit 1960er-Jahre Ikonen wie einen zwielichtigen alten Mann mit Terence Stamp, die Zimmervermieterin mit dem im September 2020 verstorbenen "Mit Schirm, Charme und Melone"-Star Diana Rigg, der der Film zusammen mit dem ehemaligen Bond-Girl Margaret Nolan gewidmet ist, und Ellies Großmutter mit Rita Tushingham besetzte. Für die jungen Frauenrollen wählte er dagegen mit Thomasin McKenzie und Anya Tylor-Joy aufstrebende junge Schauspielerinnen aus.
Wright spielt aber nicht nur mit den unterschiedlichen Zeiten und dem gesellschaftlichen Wandel, sondern legt Sandy auch als Parallelfigur zu Eloise an. Immer wieder arbeitet er so virtuos mit Spiegeln, die die beiden Frauen teilweise zur Deckung bringen, teilweise in zahlreiche Figuren aufsplitten, dann wieder sie trennen und zerbrochen werden müssen. Dabei lässt er die anfangs unbedarfte Ellie zwar einerseits durch die bedrohlichen Alpträume fast zerbrechen, andererseits aber auch durch diese Belastungen wachsen, bis im Epilog geschickt der Kreis zur Exposition geschlosssen wird.
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Trailer zu "Last Night in Soho"
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