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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Rainer Landvogt – Die Filme von Mikio Naruse


Mikio Naruse gilt neben Akira Kurosawa, Yasujiro Ozu und Kenji Mizoguchi als der vierte große Regisseur des klassischen japanischen Kinos. Dennoch ist Naruse im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannt. Rainer Landvogts im Büchner Verlag erschienenes Buch ruft den Meisterregisseur in Erinnerung.


Spürbar eine Labour of Love ist "Die Filme von Mikio Naruse oder Spaziergänge am Fluss des Lebens", denn man fühlt nahezu in jedem Satz die Bewunderung Rainer Landvogts für den japanischen Regisseur, zu dem es neben japanischer, zwar auch amerikanische und französische, aber kaum deutschsprachige Literatur gibt. Landvogts Darstellung ist Naruse (1905 – 1969) so zugewandt und so empathisch, dass man auch als Leser:in rasch in die Welt des Porträtierten eintaucht. Bewundern muss man aber auch den Mut des Büchner Verlags, der dieses Buch, mit dem wohl kaum ein großes Geschäft zu machen ist, herausgebracht hat.


Auf ein einleitendes Kapitel, in dem der Literaturwissenschaftler mit dem Hinweis auf die in den Filmen wiederkehrenden Spaziergänge an Flüssen auch den Untertitel seines Buches erklärt, folgt eine kurze Biographie.


Ausgehend von Naruses Gesicht schließt der Autor dabei auf dessen verschlossen-nüchternen Charakter, um dann dessen Weg ins Filmgeschäft nachzuzeichnen. Naruses vollkommen dem Studio angepasste Arbeitsweise, die perfekte Vorbereitung der Filme und sein Interesse für alle filmischen Bereiche werden dabei ebenso herausgearbeitet, wie seine völlige Zurückhaltung in Bezug auf sein Privatleben. Für Landvogt hat Naruse ganz für seine Filme gelebt und durch sie gesprochen, die im Kontrast zu seiner äußeren Schroffheit auf ein feinfühliges Inneres und Humor schließen lassen.


Im Zentrum des Buchs steht die Beschreibung der 68, von ursprünglich 90, erhaltenen Filme. Auf ein bis zwei Seiten folgen dabei immer auf Angabe des originalen und des deutschen Titels sowie Filmformat und Länge eine Inhaltsbeschreibung und ein Blick auf filmische Sprache sowie Stärken und Schwächen, ehe Credits die einzelnen Artikel abschließen. Differenzierte und tiefschürfende Analysen dürfen hier freilich angesichts der Kürze der einzelnen Filmbeschreibungen nicht erwartet werden.


Mehr als Nachschlagewerk als zur durchgängigen Lektüre eignet sich dieser Abschnitt, bietet aber in seiner Gesamtheit einen eindrücklichen Einblick in die Konstanten von Naruses Werk. Neben dem Blick auf kleine Leute, vor allem auf Frauen in schwierigen Situationen, und dem Interesse an Familien- und Beziehungsgeschichten sind dies auch sein Gespür für fließendes Erzählen und sein warmherziger Humor.


Eindrücklich arbeitet Landvogt Merkmale und Gemeinsamkeiten der Naruse-Filme schließlich zusammenfassend in einem sehr schönen 20-seitigen Essay heraus. Durch Abgrenzung vom großen Trio Kurosawa-Ozu-Mizoguchi wird Naruses Interesse fürs Kleine und Überschaubare, fürs Menschenmäßige und Menschengemäße herausgestrichen, sodass seine Filme fern von der Rigorosität des Werks Ozus und Kurosawas Hang zum großen Drama sind.


Anhand einzelner Szenen vermittelt Landvogt die unaufgeregte Erzählweise ebenso wie die Konstanz der Motive oder die besondere Bedeutung des Ganges und im Speziellen des Gangs über Brücken sowie Naruses besonderes Interesse fürs Geisha-Gewerbe. In der Zusammenschau der Filme macht der Autor deutlich, wie sich im äußeren Gang immer ein innerer Gang spiegelt, wie immer wieder Figuren im Zentrum stehen, die man mit ihren allzu menschlichen Verhaltensweisen verstehen kann und denen Naruse Verständnis entgegenbringt, oder wie sich Bilder von Katzen, Füßen und Straßenmusikern durch die Filme ziehen.


In einem abschließenden kürzeren Essay fokussiert Landvogt schließlich auf der Rolle der Bewegung für Naruses Filme. Mit Bezugnahme auf Lessings "Laokoon", in dem der Statik, in die man sich versenken kann, der Reiz der Bewegung gegenübergestellt wird, zeigt der Autor auf, wie sich die Schönheit von Gesichtern und Körpern erst aus der Bewegung und der daraus resultierenden Flüchtigkeit ergibt.


So ist Landvogt mit seinem Buch, das durch ein Literatur-, ein Filmquellenverzeichnis sowie ein Verzeichnis zur Sekundärliteratur abgerundet wird, nicht nur eine eindrückliche Darstellung des Werks und des Kosmos von Mikio Naruse gelungen, die eine Lücke im deutschsprachigen Raum schließt, sondern auch ein Buch, das große Lust weckt, die Filme dieses japanischen Regisseurs selbst zu entdecken oder nochmals zu sehen.


Rainer Landvogt, Die Filme von Mikio Naruse oder Spaziergänge am Fluss des Lebens, Büchner-Verlag, Marburg 20230, 196 S., € 35, ISBN 978-3-96317-348-6 (Print) (ePDF: € 28, ISBN 978-3-96317-907-5)



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