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  • AutorenbildWalter Gasperi

C´mon C´mon - Come on, Come on


Ein Radiojournalist soll sich um seinen neunjährigen Neffen kümmern, während er gleichzeitig an einer Reportage arbeitet, für die er durch die USA reist und Jugendliche über ihre Vorstellungen vom Leben und über ihre Ängste und Träume interviewt. – Statt eine stringente Handlung zu entwickeln, mischt Mike Mills die Interviews und die Beziehungsgeschichte, Bilder, Dialoge und Musik zu einer großartigen Kollage, die empathisch für gegenseitigen Respekt, Zuwendung und interessiertes Zuhören plädiert.


Eine seltene Zärtlichkeit und Liebe zu den Figuren zeichnet die Filme von Mike Mills aus. Im Zentrum stehen immer wieder die Beziehungen von Söhnen zu ihren Vätern oder auch Müttern. Auf die Coming-of-Age Geschichte "Thumbsucker" (2005) folgte so "Beginners" (2010), in dem ein erwachsener Sohn die lange geheim gehaltene Homosexualität seines verstorbenen Vaters und sein eigenes Leben aufarbeitet. Und in "Jahrhundertfrauen" (2017) geht es um die Beziehung zwischen einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Teenager-Sohn.


Immer wieder waren es dabei persönliche Erfahrungen, die Mills inspirierten: das späte Coming-Out seines eigenen Vaters bei "Beginners", seine Mutter und seine Schwester bei "Jahrhundertfrauen" und nun ein Gespräch, das er mit seinem Sohn führte. Gleichzeitig verwischt der 56-jährige Kalifornier aber die persönliche Komponente, indem er in "Come on, Come on" nicht von Vater und Sohn, sondern von einem Onkel (Joaquin Phoenix) und seinem neunjährigen Neffen (Woody Norman) erzählt.


Doch das ist nur ein Element dieses wunderbar leichthändig und dicht mehrere Ebenen verwebenden Films. Dass hier kein stromlinienförmiger Mainstream-Film zu erwarten ist, machen nicht nur von Beginn an die – brillanten – Schwarzweißbilder von Robbie Ryan deutlich, sondern auch die Interviews, mit denen Mills´ vierter Spielfilm einsetzt.


Authentisch sind diese Szenen, in denen Jugendliche ausgerechnet aus Detroit, das in den letzten Jahrzehnten Abstieg und Verfall erlebte, über ihre Gedanken zu Zukunft, zur Natur, zur Familie befragt werden. Aber auch um ihre Ängste und Hoffnungen, ums Erinnern und Vergessen, oder um eine Superkraft, die sie gerne hätten, geht es in diesen Gesprächen.


Rückgrat des Films sind diese Interviews, grundieren "Come on, Come on", stellen die im Vordergrund erzählte private Geschichte in einen größeren Kontext. Diese private Geschichte stellt sich über den New Yorker Radiojournalisten Johnny ein, der diese Interviews führt. Nachdem Joaquin Phoenix für seine kraftvolle und wütende Verkörperung des "Joker" 2020 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, spielt er diesen Johnny nun wunderbar sanft und zerzaust als einen, der etwas neben der Spur steht und nicht mehr ganz weiß, wie es im Leben weitergehen soll.


In Telefonaten mit seiner in Los Angeles lebenden Schwester Vif (Gaby Hoffman) bekommt man Einblick in seine und ihre Probleme. Immer noch leiden sie unter dem Tod ihrer Mutter vor einem Jahr, der auch zu einem Bruch in ihrer Beziehung führte. Dazu kommt Johnnys Trennung von seiner langjährigen Freundin Louisa.


Leichthändig lässt Mills nicht nur in die Telefonate Erinnerungen an die Mutter einfließen, sondern visualisiert auch das von Vif angesprochene schwierige Leben mit ihrem psychisch labilen Ex-Mann Paul. Fließend wechselt Mills auch mit Stadtansichten und Inserts von New York nach Los Angeles. Dorthin reist Johnny, um sich um seinen neunjährigen Neffen Jesse zu kümmern, während Vif in Oakland Paul unterstützen und sich um eine psychologische Betreuung für ihn bemühen will. Da Vif aber länger als geplant weg bleibt, nimmt Johnny Jesse bald mit nach New York und schließlich auch nach New Orleans, wo er weitere Interviews mit Jugendlichen führen soll.


Auch Jesse wäre natürlich ein idealer Interviewpartner für die Reportage, doch dieser will nicht ins Mikrofon sprechen, fängt lieber selbst am Strand von Los Angeles Töne und Stimmen ein, vor allem aber löchert er seinen Onkel immer wieder mit Fragen.


Nur in der Grundstruktur erzählt Mills aber die altbekannte Geschichte von zwei Menschen, die sich am Beginn fremd sind und sich im Laufe des Kontaktes langsam näher kommen, denn an einem dramatischen Handlungsaufbau ist er nicht interessiert, sondern bleibt ganz im Alltäglichen.


Da nervt, der von Woody Norman großartig gespielte altkluge Junge, seinen Onkel immer wieder nicht nur mit seinen Fragen, sondern auch mit seinen Versteckspielen, treibt ihn fast zur Verzweiflung, bringt ihn aber auch zum Nachdenken über sein eigenes Leben. Kein Gefälle zwischen Onkel und Neffe gibt es hier, auf Augenhöhe begegnen sie sich und jeder von beiden kann vom anderen lernen.


Nichts Dramatisches passiert, aber durch Mills´ liebevollen und zärtlichen Blick auf seine beiden Protagonisten und die großartige Montage von Bildern und Tönen entwickelt "Come on, Come on" nicht nur einen suggestiven, sehr musikalischen Fluss, sondern macht auch die Bedeutung der emotionalen Zuwendung, des aufeinander Zugehens und des Zuhörens erfahrbar. Und schon mit seinem Titel fordert diese herzerwärmende filmische Perle empathisch auf, ständig weiter zu machen und ständig weiter an sich selbst und seinen Beziehungen zu arbeiten.



C´mon C´mon - Come on, Come on USA 2021 Regie: Mike Mills mit: Joaquin Phoenix, Woody Norman, Gaby Hoffmann, Scoot McNairy, Molly Webster, Jaboukie Young-White Länge: 109 min.


Läuft derzeit Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und Skino Schaan, Kino Rio Feldkirch

Trailer zu "C´mon C´mon - Come on, Come on"


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