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Und die Party geht weiter – Et la fête continue!

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Geht (links)politisches Engagement oder das persönliche Glück vor? – Robert Guédiguian diskutiert diese Frage leichthändig und humorvoll am Beispiel einer Marseiller Familie, erinnert aber auch an vielfältige gesellschaftliche Probleme und bezieht entschieden Position für die Schwachen.


Seine Heimatstadt Marseille und das linke politische Engagement der Arbeiterschicht sind die großen Themen, die sich seit den frühen 1980er Jahren durch die Filme des deutsch-armenischstämmigen Franzosen Robert Guédiguian ziehen. Mal erzählt er davon ernster und erschütternder, mal schlägt er leichtere Töne an, doch immer zeigt er – wie sein britischer Kollege Ken Loach – Haltung und bezieht entschieden Position für die einfache Bevölkerung.


Konstante in seinem Film sind aber auch die Schauspieler:innen: Seit 40 Jahren spielen Ariane Ascaride, mit der Guédiguan seit 1975 verheiratet ist, Jean-Pierre Darroussin und Gerard Meylan, der kein gelernter Schauspieler, sondern Krankenpfleger ist, die Hauptrollen. Neue Darsteller:innen nachfolgender Generationen wie Robinson Stévenin, Grégoire Leprince-Ringuet sind mit dem Altern des Regisseurs und seines Teams dazugekommen.


Für Kontinuität in seinem Werk und kontinuierliches Arbeiten sorgt aber auch die eigene Produktionsfirma Agat Films. Hier kann der Franzose seine Projekte realisieren, ist keinen Vorgaben unterworfen und kann mit erfolgreicheren Filmen Flops kompensieren.


Ausgangspunkt von "Und die Party geht weiter" ist der reale Einsturz zweier Wohnblöcke in Marseille am 5. November 2018. Mit Originalaufnahmen erinnert er an diese Katastrophe, bei der acht Menschen ums Leben kamen. Die Wut der Bevölkerung über Stadtverwaltung und Eigentümer der baufälligen Mietblöcke, die sich in einer Demonstration entlädt, ist spürbar auch die Wut Guédiguians und überträgt sich auf die Zuschauer:innen.


Bis zum Ende des Films wird sich diese Katastrophe durch den Film ziehen und dem Stadtviertel, in dem sie sich ereignete und den Opfern ist der Film gewidmet. Vom realen Ereignis aus spinnt Guédiguian eine Fiktion um die 60-jährige Krankenpflegerin Rosa (Ariane Ascaride) und ihre Familie. Ein breites Netz wird ausgespannt, wenn man Rosa, die ihr Vater nach der Kommunistin Rosa Luxemburg benannte, bei der Arbeit im Krankenhaus und anschließend bei einer politischen Versammlung, ihren als Arzt arbeitenden Sohn Minas (Grégoire Leprince-Ringuet) in einem Abschiebezentrum und die Freundin (Lola Naymark) ihres zweiten Sohnes Sarkis (Robinson Stévenin) als Chorleiterin bei den Proben für eine Protestaktion gegen die Versäumnisse der Politik beim Hauseinsturz sieht.


Erst bei einem Familienessen wird das Ensemble zusammengeführt und mit Rosas kommunistischem Bruder Antonio (Gerard Meylan), den der Vater nach dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci benannte, kommt ein weiterer Protagonist dazu. Mit diesem Essen kommt aber auch die armenische Abstammung der Familie ins Spiel.


Auch dieses Thema zieht sich durch den Film mit der armenischen Bar von Sarkis, die Treffpunkt der Community ist, und dem baldigen Bedürfnis von Minas in die zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpfte Region Bergkarabach aufzubrechen, um dort als Arzt zu helfen.


Mag Rosa so auch im Zentrum stehen, so kommen mit ihren Angehörigen, aber auch mit einer Kollegin im Krankenhaus, die aufgrund Überlastung und Hilflosigkeit angesichts von Krankheit und Tod kündigen will, auch vielfältige andere gesellschaftlich virulente Probleme zur Sprache. Dass diese nicht breit ausgeführt werden, sondern nur angerissen werden, stört dabei nicht, denn überzeugend runden sie in ihrer Prägnanz das Bild ab.


Seine Kraft entwickelt "Und die Party geht weiter" aber auch aus Guédiguians spürbarer Liebe zu seinen Protagonist:innen, aus seinem warmherzigen Blick und der atmosphärisch dichten Einbettung der Handlung in ein Milieu, das er bestens kennt. Der Verzweiflung, die sich bei Rosa mit Blick auf eine potentielle Kandidatur bei den Gemeinderatswahlen angesichts der Uneinigkeit der verschiedenen linken und grünen Splittergruppen breit macht, stehen dabei hoffnungsvolle Momente gegenüber.  


Beglückend ist es so zuzusehen, wie sich Eltern von Kindergärtnern selbst organisieren und zusammenschließen, um die desolaten Wände des Kindergartens zu malen und auch die finale Aktion zur Erinnerung an die Opfer des Wohnhauseinsturzes ist ein kraftvolles Zeichen des Protests. Immer wieder wird so auch die Solidarität der Schwachen gefeiert. Ganz auf diese "kleinen Leute" fokussiert Guédiguian, die Mächtigen und Reichen bleiben dagegen konsequent außen vor.


Gleichzeitig zieht sich durch den ganzen Film aber auch die Frage, ob man für dieses gesellschaftspolitische Engagement das private Glück opfern soll oder wie man die beiden Positionen in Einklang bringen kann. Mehr noch als an Minas, der den gefährlichen Einsatz in Armenien über seine Familie stellt, zeigt sich das an Rosa, die sich in den ehemaligen Buchhändler Henri (Jean-Pierre Darroussin) verliebt.


Kaum Zeit hat sie für den bibliophilen Mann, der selbst wiederum die Nähe zu seiner Tochter sucht, die er in früheren Jahren vernachlässigt hat. Dennoch bekräftigt er Rosa in ihrem politischen Engagement, fordert sie sogar auf, sich als Spitzenkandidatin aufstellen zu lassen.


Viel packt Guédiguian in seinen 23. Film hinein, doch nie wirkt er überladen, sondern entwickelt gerade dadurch eine Vielschichtigkeit und Differenziertheit, bei der es kein schwarz und weiß und richtig und falsch mehr gibt, sondern das komplexe Spannungsfeld von politischem Engagement und privatem Glück eindrücklich zu Tage tritt. Wie es dem 71-jährigen Franzosen dabei gelingt, die vielfältigen Probleme, Herausforderungen und Enttäuschungen nicht zu beschönigen, dennoch nicht in Depression zu verfallen, sondern Hoffnung zu verbreiten, macht diese sozialrealistische Tragikomödie zu einem beglückenden Kinoerlebnis.

 

 

Und die Party geht weiter – Et la fête continue! Frankreich 2023 Regie: Robert Guédiguian mit: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Lola Naymark, Robinson Stévenin, Grégoire Leprince-Ringuet, Alicia Da Luz Gomes, Gérard Meylan  Länge: 106 min.

 


Läuft am Montag, den 7.10. um 18 Uhr in der Kinothek Lustenau (franz.O.m.U.).


Trailer zu "Und die Party geht weiter – Et la fête continue!"



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