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  • AutorenbildWalter Gasperi

The Inspection


Brutaler Drill, mit dem Ziel die Rekruten zu brechen, und dennoch gemeinschaftsstiftend und Selbstbewusstsein stärkend? – Elegance Bratton erzählt, autobiographisch inspiriert, fesselnd von den Erfahrungen eines homosexuellen Afroamerikaners bei der Ausbildung zum Marine.


Mit 16 wurde Elegance Bratton von seiner streng religiösen Mutter aufgrund seiner Homosexualität aus der Wohnung geworfen. Über Jahre lebte er in Obdachlosenheimen. Einzige Chance diesem Leben auf der Straße zu entkommen, sah er im Militär, sodass er sich 2005 zu den Marines meldete. Ein Foto im Nachspann belegt diesen realen Hintergrund und auch die Filmfigur Ellis French (Jeremy Page) ist nach diesen Erfahrungen gezeichnet.


Vom Obdachlosenheim führt Ellis der Weg zu seiner Mutter, die sich ihm gegenüber abweisend verhält. Erst auf Drängen und seine Erklärung, dass er zu den Marines wolle, gibt sie ihm die dafür nötige Geburtsurkunde. Schon auf der Fahrt zum Boot Camp werden Feindseligkeiten unter den zukünftigen Rekruten sichtbar und Ellis nimmt sich des gemobbten Moslems Ismael an.


Was sie in den nächsten drei Monaten erwartet, macht Ausbildner Laws (Bokeem Woodbine) gleich klar, wenn er erklärt, dass er sie schinden und brechen wolle. Schon bei der Aufnahme wird klargestellt, dass nicht nur ehemalige Angehörige von Terrorzellen, sondern auch Kommunisten und Homosexuelle hier nicht geduldet werden. Doch Ellis verschweigt seine sexuelle Orientierung.


Harter und lauter Kasernenton bestimmt von Anfang an die Ausbildung. Hier wird nicht geredet, sondern geschrieben und stets korrekt muss mit "Yes, Sir" oder "No, Sir" geantwortet werden. Tanzt einer aus der Reihe, folgt körperliche Bestrafung.


Als die anderen erkennen, dass Ellis homosexuell ist, wird er zum Ziel von Mobbing, gleichzeitig entwickelt sich aber auch eine Anziehung zwischen ihm und dem Ausbildner Rosales (Raúl Castillo), der seine sexuelle Identität nach außen verbirgt. Während Rosales die Rekruten aufbauen will, kennt sein Vorgesetzter Laws keine Gnade.


Im Stil von Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" schildert Bratton ebenso genau wie nüchtern die Abrichtung dieser Rekruten. Wie den jungen Männern dabei jede Identität genommen wird und sie zu einem Kollektiv geformt werden, so verzichtet auch der Film, seinen Figuren mit Ausnahme von Ellis ein persönliches Profil und einen Background zu geben.


Von Märschen über Training mit der Waffe bis zur Rettung eines Ertrinkenden und Schießübungen spannt sich der Bogen der Ausbildung. Hoffnungslos ausgeliefert sind die jungen Männer den Ausbildnern. Überschreiten diese ihre Grenzen und drohen die Rekruten mit Meldung, wird mit Strafen und Verschärfung der Gangart gedroht. Doch Ellis als Homosexueller und Ismael als Moslem werden in diesem Umfeld auch mit Aggressionen ihrer Kollegen oder Manipulationen beim Zielschießen konfrontiert.


Dichte gewinnt "The Inspection", den Bratton seiner Mutter gewidmet hat, durch die ausschließliche Konzentration auf die Ausbildung und den Blick auf die gruppendynamischen Prozesse. Nie verlässt der Film das Camp, sperrt die Zuschauer:innen gleichsam auch ein und lässt sie hautnah an Drill, Schikanen und höchster körperlicher Belastung teilhaben. Sounddesign und Musik steigern dabei in Verbindung mit den ungeschönt-realistischen, vorwiegend in dunkle Farben getauchten Bildern von Kameramann Lachlan Milne die Atmosphäre und die Spannung.


Anders als im österreichischen Spielfilm "Eismayer", in dem David Wagner von einem homosexuellen Präsenzdiener erzählte, der den emotionalen Panzer eines beinharten Ausbildners zum Schmelzen bringt, liegt der Fokus bei "The Inspection" auf der Institution. Trotz allem Drill und aller Entindividualisierung wird dabei ein höchst ambivalentes Bild dieser Welt gezeichnet.


Denn Ellis wird hier letztlich durch Drill und Schikanen nicht gebrochen, sondern entwickelt nicht nur körperliche, sondern auch psychische Stärke und gewinnt an Selbstbewusstsein. Wenn am Ende die Inspektion der Ausgeh-Uniformen der Rekruten und die Abschlussfeier steht, dann verbreitet "The Inspection" auch das Gefühl, dass diese drei Monate den jungen Männern einen neuen Weg in die Zukunft geöffnet haben.


Wieder gehen Film und Realität dabei ineinander über, denn wie die Filmfigur Ellis wurde auch Regisseur Bratton nach Abschluss der Ausbildung der Abteilung für filmische Dokumentation des Alltags der Marines zugeteilt. Und nach Verlassen der Army besuchte er die Columbia Universität, wo er ein Studium zu afroamerikanischen Studien abschloss, um anschließend ein Filmstudium an der Tisch School of the Arts der New York University zu absolvieren.



The Inspection USA 2022 Regie: Elegance Bratton mit: Jeremy Pope, Gabrielle Union, Raúl Castillo, Bokeem Woodbine, McCaul Lombardi Länge: 95 min.


Läuft in den österreichischen und deutschen Kinos


Trailer zu "The Inspection"


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