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AutorenbildWalter Gasperi

Tótem


Die Mexikanerin Lila Avilés erzählt in ihrem zweiten Spielfilm vor allem aus Kinderperspektive von einem Geburtstagsfest für den todkranken Vater: Ein durch räumliche und zeitliche Einheit dichtes Kammerspiel, das das Leben vor dem Hintergrund des nahen Todes feiert und die Schwierigkeit des Loslassens vermittelt.


Vergnügt unterhalten sich eine Mutter (Iazua Larios) und ihre siebenjährige Tochter Sol (Naíma Seníes) auf einer öffentlichen Toilette, doch abrupt bricht die Stimmung, als Sol nach dem Sterben des Vaters fragt. Nach der anschließenden Autofahrt zum Haus des Großvaters, wo der kranke Vater gepflegt wird, wird sich "Tótem", der bei der heurigen Berlinale mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, räumlich ganz auf diesen Schauplatz und zeitlich auf den Nachmittag und den anschließenden Abend beschränken.


Sorgen schon diese klassischen Einheiten von Ort und Zeit für konzentriertes Erzählen, so wird dieses durch das enge 4:3-Format und den Verzicht auf Totalen zugunsten durchgängig naher Einstellungen noch verstärkt. Die bewegliche Kamera von Diego Tonorio, die alles genau beobachtet, und die natürlich agierenden Schauspieler:innen sorgen ebenso für einen quasidokumentarischen Look wie die Entscheidung von Lila Avilés, abgesehen vom Ende, auf Filmmusik zu verzichten.


Diese formalen Entscheidungen zwängen die Zuschauer:innen förmlich in den Film hinein, ermöglichen keine Distanz, lassen ihn hautnah am Geschehen teilnehmen. Vor allem mit den Augen Sols verfolgt man so zunächst die Geburtstagsvorbereitungen ihrer beiden Tanten, während sich die Haushälterin Cruz (Teresa Sánchez) um den zwar erst 27-jährigen, aber unheilbar an Krebs erkrankten Vater (Mateo García Elizondo) kümmert. Wenn Cruz ihm beim Aufstehen hilft und ihn stützt, spürt man, wie geschwächt er ist und wie schwer ihm jede Bewegung fällt.


Unbedingt sehen möchte Sol den Vater, darf aber lange nicht zu ihm, da er sich ausruhen müsse. So streift sie durch das Haus, während die anderen hektisch die Party vorbereiten, Kuchen backen, Staub saugen oder sich die Haare waschen.


Aber auch eine Frau, die über parapsychologische Kräfte verfügen soll, kommt ins Haus. Mit Beschwörungsformeln und an einem Stecken befestigten brennenden Brötchen will sie die bösen Geister vertreiben, denn auch schon die Mutter des Kranken starb hier an Krebs.


Sols Großvater, der nur mittels eines Kehlkopfmikrofons sprechen kann, bezeichnet diese Seherin zwar als Spinnerin, doch lässt diese sich für ihre Dienste selbstverständlich entsprechend bezahlen. Wie es hier ums Geld geht, kommt auch später mehrfach die finanziell prekäre Situation der Familie ins Spiel, wenn Cruz darauf hinweist, dass sie schon seit zwei Wochen kein Geld mehr bekommen hat, und als Geschenk für den Vater Geld für eine anstehende Chemotherapie gesammelt wird.


Gleichzeitig kommen mit dieser Geisterbeschwörerin aber auch alte indigene Rituale ins Spiel, die auch später mehrfach aufflackern. So rational das 21. Jahrhundert sein mag, so greift man im Angesicht des Todes, dem gegenüber alle modernen Erfindungen machtlos sind, doch immer wieder auf alte magische Bräuche zurück.


Wesentlich zur Dichte des Films trägt auch bei, dass Avilés sich nicht auf Sol und ihre Eltern konzentriert, sondern im Stile der Filme von Robert Altman wie beispielsweise "Eine Hochzeit" auch ihre Tanten, eine kleine Cousine und zwei ältere Cousins, die mit ihrer Playstation spielen, den Opa oder die Pflegerin ins Spiel bringt. Noch breiter wird das Figurenarsenal, wenn mit Hereinbrechen des Abends die Festgäste eintreffen. Auch ein ehemaliger Lehrer des Vaters tritt hier auf, der in seiner Rede wiederum die altamerikanische Kultur ins Spiel bringt.


Aber nicht nur Menschen spielen eine Rolle, sondern immer wieder werden auch Tiere ins Bild gerückt von Katze und Hund bis zu einem Goldfisch, den Sol als Geschenk bekommt, Schnecken, einem Grashüpfer, einem Papagei oder einem Käfer und Bienen. In den Schnecken kann man eine Metapher für den Sterbenden, der sich am liebsten in sein Zimmer zurückzieht, ebenso sehen, wie für Sol, die wenig spricht, kaum Kontakte knüpft, sondern nur beobachtet und sich innerlich mit dem Vater beschäftigt.


Mit dem Steigenlassen eines Ballons, mit Tanz und Gesang wird gefeiert und gleichzeitig ist mit dem sehr geschwächten Vater auch immer der nahe Tod präsent. Leidenschaftlich ruft Avilés so dem Publikum zu, das Leben und dessen Schönheiten zu genießen und die Zeit zu nützen.


Sol mag dabei im Mittelteil aus dem Film fast verschwinden, so gehört die vorletzte Einstellung, in der sie zu zunehmend lauterer, dissonanter Musik über eine Geburtstagstorte mit festem, aber auch traurigem Blick direkt in die Kamera schaut, doch wieder ihr: Ihr ist bewusst, dass sie bald Abschied nehmen muss, dass sie dazu viel Kraft braucht und sich ihr Leben danach wohl ändern wird. - Danach wird es nur noch das Bild eines leeren Raums geben, aus dem alles Leben verschwunden ist, bis im Nachspann aus dem Off doch wieder Stimmen einsetzen.



Tótem Mexiko / Dänemark / Frankreich 2023 Regie: Lila Avilés mit: Naíma Sentíes, Montserrat Marañon, Marisol Gasé, Saori Gurza, Teresita Sánchez, Mateo Garcia Elizondo, Juan Francisco Maldonado, Iazua Larios, Alberto Amador Länge: 95 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.


Trailer zu "Tótem"


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