1981 fordert ein Schüler in Rumänen mit auf Hausfassaden geschriebenen Parolen Demokratie und Freiheit und gerät ins Räderwerk der Securitate, der rumänischen Geheimpolizei. Berlinale-Sieger Radu Jude stellt nach einem Theaterstück mittels der Verhörakten den Fall nach und kontrastiert diese Szenen mit historischen Fernsehbildern, in denen der Staat und Diktator Nicolae Ceaușescu gefeiert werden. - Streaming bei Mubi.com.
Schon in "Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen" verband der 44-jährige Rumäne Radu Jude, dessen neuester Film "Bad Luck Banging or Loony Porn" heuer bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, Theaterinszenierung und Proben für sowie Diskussionen über diese Inszenierung. Einen ähnlichen Weg schlägt er in dem 2020 entstanden "Uppercase Print" ein, dessen Titel auf die Großbuchstaben verweist, mit denen der 16-jährige Schüler Mugur Călinescu im Herbst 1981 mehrfach Parolen auf Hausfassaden in der nordostrumänischen Stadt Botoșani schrieb.
Einerseits greift Jude auf eine Inszenierung der Theaterregisseurin Gianina Carbunariu zurück, die 2013 den Fall nachzeichnete, indem sie Schauspieler aus den Akten der Geheimpolizei zitieren ließ. Jude, der auch zusammen mit Carbunariu das Drehbuch schrieb, lässt so auch Schauspieler auf einer kahlen Theaterbühne die Verhöraussagen der Beteiligten von Mugur Călinescu über dessen Eltern und Freunde bis zu den Mitarbeitern der Securitate in statischen zwischen Halbtotaler und Großaufnahme wechselnden Einstellungen frontal in die Kamera rezitieren.
Interaktion zwischen den Beteiligten gibt es dabei kaum, sondern sie bleiben so isoliert wie beim Verhör. Zunehmend dichteren und beklemmenderen Einblick in die Mechanismen dieses Polizeistaats und der totalen Überwachung bekommt man dabei freilich, wenn deutlich wird, wie jeder und jede kontrolliert wird und auch Mugurs Eltern Repressalien fürchten.
Der Trumpf von "Uppercase Print" ist aber die Kontrastierung dieser nüchternen Szenen mit Ausschnitten aus mal schwarzweißen, mal farbigen rumänischen Fernsehsendungen dieser Zeit. Während nämlich Mugur in seinen Parolen nicht nur fehlende Freiheit und Demokratie beklagt und – in der Nachfolge der polnischen Solidarność – auch in Rumänien freie Gewerkschaften fordert, sieht man im Fernsehen stets lachende Menschen, wird von Schlagersängern Diktator Ceausescu als Vater und Glücksbringer Rumäniens gefeiert, die Bedeutung der Kinder und Jugend gepriesen und die technische Innovation mit der Produktion eines Geländewagens in Kooperation mit Portugal herausgestrichen.
Eindrücklich macht diese Kontrastierung die Kluft zwischen öffentlicher Präsentation des Staates und realem Leben bewusst. Einlullende Unterhaltung des Volks von harmlosen erotischen Komödien über eine Sendung zur Hühnerzucht und einen Opern-Mitschnitt bis zu Schlagermusik geht hier Hand in Hand mit Propagierung von Vaterlandsliebe, Feier des Militärs und des Conducators Ceausescu. Gestützt wird die Botschaft freilich auch durch die formal-inhaltlichen Gegensätze, wenn den Individuen in den musiklosen Verhörszenen die Massen in den immer mit Musik unterlegten TV-Sendungen und die Statik und Emotionslosigkeit der ersteren der Bewegtheit und Emotionalität der letzteren gegenüberstehen.
Vom Historischen in die Gegenwart spannt Jude dabei den Bogen, wenn in Kontrast zu den damals verbotenen Parolen nun ganz selbstverständlich auf den Hausfassaden großflächige Plakate für westliche Produkte werben. Und er zeigt auch, wie sich die damaligen Täter, die höchstwahrscheinlich am Tod Mugurs im Jahr 1985 verantwortlich waren, heute herausreden, indem sie die Überwachung als Jugendschutz und die Abhörmethoden als Informationssammlung bezeichnen und erklären, nichts als ihre Arbeit gemacht zu haben.
Leichte Kost ist "Uppercase Print", der den Zuschauer mit seinen nüchternen Verhörszenen auf Distanz hält und im Laufe der 128 Minuten auch redundant wird, sicher nicht, ruft aber einerseits nachdrücklich ein Opfer des Ceausescu-Regimes in Erinnerung und zeichnet vom Einzelschicksal ausgehend ein dichtes und beklemmendes Bild eines Polizeistaats und seiner Mechanismen.
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Trailer zu "Uppercase Print"
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