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AutorenbildWalter Gasperi

Sage-Homme


Ein Mann in der Hebammenausbildung. - Jennifer Devoldère nimmt nicht nur Geschlechterklischees aufs Korn, sondern bietet auch einen realistischen Einblick in ein Berufsfeld, aber die Vorhersehbarkeit und Formelhaftigkeit dieses flotten Feelgood-Movies sind dennoch nicht zu übersehen.


Nur Männer umgeben den afrikanischstämmigen 19-jährigen Leopold (Melvin Boomer): Er lebt mit seinem Vater und seinen drei jüngeren Brüdern in einer engen Wohnung, die Mutter ist vor neun Jahren an Krebs gestorben. Auch die Verwandten, die hin und wieder zu Besuch kommen, sind großteils männlich.


Betont wird das Maskuline noch durch die Körperfülle von Vater und Cousin sowie durch ihre Jobs in der Sicherheitsbranche und als Möbelpacker. Durch ein Medizinstudium will Leopold aus dem einfachen Milieu aufsteigen, doch bei der Aufnahmsprüfung fällt er durch. Als Übergangslösung beginnt er eine Hebammenausbildung, verschweigt das aber zu Hause.


Lustlos nimmt er am theoretischen und praktischen Unterricht teil. Konflikte mit der erfahrenen Hebamme Nathalie (Karin Viard) bleiben nicht aus. Doch langsam ändert sich sein Blick auf den Beruf der Hebamme, den Geburtsvorgang und auch zu Nathalie entwickelt sich eine Freundschaft.


Stark ist "Sage-Homme" im offenen und realistischen Blick auf Ausbildung und Arbeit von Hebammen. Genau schaut Jennifer Devoldère bei bürokratischen Aufgaben, Untersuchungen der Frauen und schließlich bei der Geburt hin. Dass teilweise reale Hebammen und medizinisches Personal mitspielen, verleiht "Sage-Homme" Authentizität.


So überzeugend der Film aber in der Schilderung dieser Welt ist, in die im Kino bisher vielleicht noch nie so ausführlich und detailliert Einblick geboten wurde, so formelhaft und vorhersehbar ist er andererseits in seiner Handlung.


Wenn Leopolds Cousin von der Schwangerschaft seiner Frau spricht, ist ebenso absehbar, dass sie sich in der Geburtsstation begegnen werden, wie, dass Leopolds Täuschung auffliegen wird, wenn Vaters Ex-Kollegen von der Polizei ihn im rosa Hebammenkittel bei einer Kontrolle anhalten.


Absehbar ist aber auch, dass sich aus den Diskrepanzen zwischen Leopold und seiner Ausbildnerin eine Freundschaft entwickeln wird, dass er lernen wird sich in diesem weiblich dominierten Milieu zu behaupten und bald akzeptiert werden wird und dass er selbst auch zunehmend Leidenschaft und Engagement als Hebamme entwickeln wird. Eindrücklich gelingt es Devoldère andererseits aber wiederum die Anstrengung und die Schmerzen einer Mutter bei der Geburt, aber auch die Freude über das Neugeborene oder in einem Fall auch die Trauer über eine Totgeburt zu vermitteln.


Zu viel packt die 49-jährige Regisseurin aber insgesamt in ihren dritten Spielfilm. Vieles wird nur abgehakt und kurz gestreift, ohne wirklich vertieft zu werden. Prägnant wird da zwar am Beginn noch soziale Ungleichheit sichtbar, wenn aufgezeigt wird, dass Kinder reicher Eltern, die die Aufnahmeprüfung nicht schaffen, ihr Medizinstudium in Ungarn absolvieren, doch vor allem gegen Ende hin wird dieses Feelgood-Movie entschieden zu kurzatmig.


Überflüssiges Beiwerk bleibt so Leopolds Liebe zu einer Kollegin, da dieser Aspekt nicht weiterentwickelt wird, und auch die Wandlung des wortkargen Vaters, der schließlich doch über die verstorbene Ehefrau und die Geburt seiner Kinder zu sprechen beginnt, kommt sehr abrupt. Nur kurz angeschnitten wird auch das Spannungsfeld im Krankenhaus zwischen genauem Regelwerk und raschen eigenen Entscheidungen der Hebammen oder Ärzte in einem Notfall.


Mit diesem Aspekt kommt es ganz dem klassischen Aufbau solcher Feelgood-Movies entsprechend auch nach rund zwei Drittel zu einem Bruch und einer bedrückenden Wende, ehe dann doch wieder Fahrt in Richtung eines Happy-Ends auf allen Ebenen aufgenommen wird.


Nachwirkend ist so "Sage-Homme" kaum, bietet aber dank der flotten Erzählweise und der zwei sympathischen Hauptdarsteller:innen Melvin Boomer und Karin Viard, die auch bestens harmonieren, sowie dem genauen Blick auf das Hebammen- und Geburtsmilieu doch 100 Minuten leichte Unterhaltung.


Sage-Homme Frankreich 2023 Regie: Jennifer Devoldère mit: Karin Viard, Melvin Boomer, Steve Tientcheu, Tracy Gotoas, Bruce Dombolo, Nadia Roz, Aymeric Harter, Asma Messaoudene Länge: 104 min.



Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "Sage-Homme"


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