In einem Mix aus Thriller, Sozialdrama und Coming-of-Age-Geschichte erzählt Marcus Lenz von der spannungsgeladenen Dreiecksbeziehung zwischen einem deutschen Rentner, seiner ukrainischen Pflegerin und deren neunjährigem Sohn. - Ein wortkarges, aber dichtes Kammerspiel um Sehnsucht nach Liebe, Eifersucht und Abhängigkeiten.
Am Beginn sieht man den neunjährigen ukrainischen Jungen Roman (Yelizar Nazarenko) noch auf einem weiten Feld, auf dem er einen toten Vogel begräbt. Doch bald wird der Raum enger werden, werden Großaufnahmen dominieren und eine klaustrophobische Stimmung wird sich einstellen.
Weil es nach dem Tod seiner Großmutter im Dorf niemand mehr gibt, der sich um Roman kümmern kann, wird ein Schlepper organisiert, der ihn nach Deutschland bringen soll. Versteckt hinter Schachteln wird er in einem Lieferwagen über die Grenze zu seiner Mutter Oksana (Maria Bruni) gebracht. Diese arbeitet beim 62-jährigen Rentner Gert (Uwe Samel) seit drei Jahren illegal als Pflegerin für dessen Frau Ingrid.
Ingrid ist zwar vor fünf Monaten gestorben, doch Gert will nun Oksana als Partnerin behalten. Ob diese nur mitspielt in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft oder ob sie Gert wirklich liebt, bleibt offen. Roman freilich blickt argwöhnisch und feindselig auf den übergewichtigen, an Diabetes leidenden Mann. Gert bemüht sich zwar aufrichtig um den Jungen, doch dieser sieht in dem Deutschen einen Rivalen, der ihm seine Mutter wegnehmen will.
Da Mutter und Sohn sich illegal in Deutschland aufhalten, dürfen sie die Wohnung kaum verlassen. Große Dichte entwickelt der zweite Spielfilm von Marcus Lenz nicht nur durch die Konzentration auf diesen engen Raum und die drei Protagonist*innen, sondern auch durch Bildsprache und Musik.
Blicke aus den Fenstern auf die Straße oder umgekehrt vermitteln immer wieder das Gefühl des Eingesperrtseins und der Trennung der beiden Welten. Auch das breite Cinemascope-Format, in dem immer auch die Wände präsent sind, verstärkt mit den zahlreichen Nah- und Großaufnahmen das Gefühl der Enge.
Dichte erzeugt Marcus Lenz auch, indem er ganz aus der Perspektive des von Yelizar Nazarenko intensiv und natürlich gespielten Roman versetzt. In jeder Szene ist dieser Junge präsent, immer wieder folgt Kameramann Frank Amann ihm hautnah mit der Handkamera. Aber auch die Unmöglichkeit der Kommunikation Romans, der kein Wort Deutsch spricht, verstärkt das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht, die wiederum die Wut wachsen lassen.
Gibt es zuerst noch Momente der Entspannung, weil auch Romans Mutter zwischen ihrem Sohn und Gert hin- und hergerissen ist und sie Roman mit Scherzen immer wieder zum Lachen bringt, so spitzt sich die Situation zu, als sie ins Krankenhaus eingeliefert wird.
Aus Angst vor den Behörden flüchtet Gert mit Roman in seine Jagdhütte im Wald. Möglichkeiten zur Flucht gibt es für den Jungen zwar hier, aber wohin soll er denn fliehen: Er ist nicht nur ein Gefangener von Gert, sondern er ist auch völlig von ihm abhängig und auf ihn angewiesen.
Facettenreich zeichnet Lenz auch den von Uwe Samel zurückhaltend gespielten Gert. Ehrlich bemüht ist er um den Jungen, will einen Zugang zu ihm finden und ist selbst auch ein einsamer Mensch, der unausgesprochen unter dem Tod seiner Frau leidet.
Die Stärke von "Rivale" liegt neben den starken Schauspieler*innen und der konzentrierten Inszenierung auch im geschickten Mix der Ebenen. Denn was von der Handlung her ein klassisches Coming-of-Age- und Sozialdrama ist, versetzt Lenz geschickt mit Thrillermomenten, mit denen immer wieder große Spannung aufgebaut wird. Entsprechend der Sprachlosigkeit Romans spielt der Dialog dabei eine untergeordnete Rolle, vor allem in Bildern wird die Geschichte erzählt.
Ganz selbstverständlich fließen dabei Genrekino und soziale Thematik ineinander, wenn Roman Gert zu vergiften versucht, wenn die Angst vor Entdeckung Gert den Jungen immer mehr abschotten lässt und einzelne metallen-harte Klaviertöne das Gefühl der Bedrohung und Gefahr verstärken.
Eine eindrückliche Studie über Verlorenheit, Isolation und Entwurzelung eines Kindes in einem fremden Land ist Lenz so gelungen. Nicht die Findung von Heimat und einer neuen Identität steht hier auch am Ende, sondern vielmehr gewinnt - auch aufgrund der Sprachlosigkeit Romans - das Animalische an Gewicht: Statt Kommunikation steht so am Ende ein aggressives Anfauchen.
Gleichzeitig kann man über die konkrete Geschichte hinaus in der Figurenkonstellation auch eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine im Großen sehen. Denn in der Beziehung zwischen Roman und Gert spiegelt sich auch die Abhängigkeit des wirtschaftlich schwächeren Landes von der großen Industrienation und der Versuch des großen Deutschland Kontrolle über die schwächere Ukraine auszuüben.
Rivale Deutschland / Ukraine 2020 Regie: Marcus Lenz mit: Yelizar Nazarenko, Udo Samel, Maria Bruni, Nina Kastorf, Evhen Chernykov Länge: 96 min.
Läuft derzeit in den deutschen Kinos sowie im Kinok St. Gallen
Trailer zu "Rivale"
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