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  • AutorenbildWalter Gasperi

One Life

669 vorwiegend jüdische Kinder rettete der Brite Nicholas Winton mit einer Gruppe von Helfer:innen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis aus der Tschechoslowakei. – James Hawes zeichnet konventionell, aber sehr bewegend die Ereignisse nach.


Schon 2002 erinnerte der slowakische Filmemacher Matej Mináč in dem Dokumentarfilm "Nicholas Winton – The Power of Good" an Sir Nicholas Winton (1909 – 2015) und widmete diesem "britischen Schindler" neun Jahre später mit "Sir Nicky – Held wider Willen" (2011) einen zweiten Dokumentarfilm. Die Bescheidenheit, die der Titel des zweiten Films vermittelt, kennzeichnet auch das Bild Wintons in James Hawes Verfilmung von Barbara Wintons "If It´s not Impossible …" (2014) betitelten Biographie ihres Vaters.


Ein geruhsames Leben führen der 78-Jährige (Anthony Hopkins) und seine Frau Grete (Lena Olin) im Jahr 1987 in ihrem Haus in Maidenhead. Doch die Vergangenheit lässt den sozial engagierten Mann, der nie großes Aufheben darüber machte, was er am Vorabend des Zweiten Weltkriegs leistete, immer noch nicht los. Immer noch bedrückt ihn das Gefühl damals nicht genug Kinder gerettet zu haben.


Dennoch nützt er eine mehrtägige Abwesenheit seiner Frau das mit Schachteln überfüllte Arbeitszimmer endlich auszumisten. Damit und vor allem mit einer alten Aktentasche, in der sich ein dickes Album mit Fotos, Dokumenten Zeitungsberichten befindet, kommen aber auch wieder die Erinnerungen ans Jahr 1938/39.


So pendelt James Hawes konventionelles Biopic zwischen diesen beiden Zeitebenen. Bewegend wird das Elend der aus dem besetzten Sudetenland und aus Österreich geflohenen vorwiegend jüdischen Familien vermittelt, wenn Nicholas Winton (Johnny Flynn) durch ein Lager geht. Mit Schuss-Gegenschussstrategie mit einem Wechsel von Blicken auf Kinder und auf das Gesicht von Winton wird in der ganz in kaltes Blaugrau getauchten Szene die bedrückende Situation eindringlich erfahrbar.


Nachvollziehbar wird so, wie diese Not den jungen Börsenmakler erschüttert und er entschlossen helfen will. Von der Tschechoslowakei reist er bald nach England, um unterstützt von seiner Mutter (Helena Bonham Carter) die Kindertransporte zu organisieren. Nicht gut kommt dabei die britische Bürokratie weg, die erst durch das Engagement von Mutter und Sohn Winton umgestimmt werden muss. Aber auch die Schwierigkeit Geld aufzutreiben und Pflegefamilien zu finden, wird nicht ausgespart.


Spannung baut Hawes auf, indem die Durchführung der Kindertransporte unter Zeitdruck steht, denn jederzeit droht der Einmarsch der Nazis in der Tschechoslowakei und die Schließung der Grenzen. Gleichzeitig schlägt er am Rand auch beiläufig einen Bogen zur Gegenwart, wenn am Beginn in den Nachrichten von der bevorstehenden Abschiebung tamilischer Flüchtlinge berichtet wird, obwohl diese erklären, in der Heimat verfolgt zu werden.


Die aufbrechenden Erinnerungen wecken beim gealterten Protagonisten in der Gegenwartshandlung aber auch zunehmend den Wunsch sein Album, in dem Seiten leer geblieben sind, weil er aus seiner Sicht seine Aufgabe nie vollenden konnte, einer Institution zu vermachen, in der diese wichtige zeitgeschichtliche Quelle nicht nur verstaubt. Wenig Interesse findet er aber zunächst auch deshalb, weil er immer bescheiden auftritt. Als aber schließlich doch eine Zeitung groß darüber berichtet, beginnt sich auch die BBC für Winton und seine Geschichte zu interessieren.


Doch nicht nur das Fernsehen stilisiert diesen zurückhaltenden Mann, der sich selbst nie als Held sah, sondern einfach als ein Mensch, der das tat, was getan werden musste, zum Helden hoch, sondern auch der Film. Wie die TV-Show "That´s Life!", in der Winton zu Tränen gerührt einigen seiner geretteten Kinder wieder begegnet und deren Live-Mitschnitt auf youtube schon über 42 Millionen Male abgerufen wurde, so drückt auch "One Life" mächtig auf die Tränendrüsen, wenn dieser Humanist endlich mit der Vergangenheit abschließen kann.


Visualisiert wird diese innere Entwicklung auch durch das Spiel mit Spiegeln und Spiegelbildern, das sich durch die Gegenwartsebene zieht. Denn an die beiläufigen Spiegelungen am Beginn tritt am Ende ein entschlossener Blick Wintons in den Spiegel, der signalisieren soll, dass er sich nun in die Augen schauen kann und innere Ruhe gefunden hat.


Das Schüren von Emotionen kann man diesem Biopic dabei kaum wirklich übelnehmen, hat es doch das Herz am richtigen Fleck. Hinnehmen muss man zwar eine sehr konventionelle Erzählweise, die die Fallhöhe zu einem so radikalen und herausfordernden Film wie Jonathan Glazer "The Zone of Interest" sichtbar macht, aber immerhin gelingt es dem britischen Fernsehregisseur auch dank eines starken Ensembles diese Geschichte, die auf jeden Fall der Erinnerung wert ist, schlüssig und bewegend zu erzählen.



One Life

Großbritannien 2023 Regie: John Hawes mit: Anthony Hopkins, Jonathan Pryce, Johnny Flynn, Romola Garai, Marthe Keller, Helena Bonham Carter, Lena Olin Länge: 113 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Skino Schaan.



Trailer zu "One Life"



 

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