Keine strahlenden Helden, sondern 15 Filme mit psychisch angeschlagenen Männern präsentiert das St. Galler Kinok bei seinem heurigen Open-Air im Innenhof der Lokremise unter dem Titel "Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs".
Mit "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" gelang Pedro Almodovar 1988 der internationale Durchbruch und Hysterie und psychische Labilität wird auch sonst gerne mit Frauen verbunden. Dass freilich auch Männer in tiefe Krisen stürzen können, beweist eindrucksvoll das heurige Open-Air des Kinok St. Gallen, das den Bogen quer durch die Filmgeschichte von 1949 bis zu Vorpremieren neuer Filme spannt.
Inbegriff der Professionalität sind die Männer in den Western und Abenteuerfilmen von Howard Hawks. Kein großes Drama machen sie aus großen Aufgaben, sondern erledigen diese beiläufig und lakonisch. Ganz anders präsentieren sich dagegen die Männerfiguren in den Komödien des amerikanischen Meisterregisseurs. Egal ob "Bringing up Baby" ("Leoparden küsst man nicht", 1938) oder "Monkey Business" ("Liebling, ich werde jünger", 1952) – immer wirken die Männer überfordert, mögen zwar hervorragende Wissenschaftler sein, kommen aber im Alltag nicht zurecht. Überlegen sind ihnen immer die Frauen, die klassischen Hawksian Women, die bodenständiger und vernünftiger sind. Auch in "I Was a Male War Bride" (1949) demontiert Hawks genüsslich das Bild klassischer Männlichkeit, wenn sich ein von Cary Grant gespielter französischer Soldat als Frau verkleidet, um einer geliebten Amerikanerin in die USA folgen zu können.
Unter sich sind die Männer dagegen in Gene Saks Verfilmung von Neil Simons Bühnenstück "The Odd Couple" (1968). Wenn der hypochondrische und ordnungsliebende Felix, nachdem er von seiner Frau verlassen wurde, von seinem chaotischen Freund Oscar aufgenommen wird, sind Spannungen vorprogrammiert. Paraderollen für Walter Matthau und Jack Lemmon bietet diese Komödie, die aufgrund ihres Erfolgs auch eine Fernsehserie nach sich zog.
Lustvoll spielt das Duo die beiden Freunde, deren Nerven aufgrund des völlig gegensätzlichen Charakters und der daraus resultierenden Konflikte immer wieder blank liegen. Auch Doris Dörrie nutzte in "Männer" (1985) eine Männer-WG, um mit den lustvoll aufspielenden Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht die Eitelkeiten der Männer bloß zu stellen.
Angst vor Krankheit und Tod sowie die Frage nach Gott verunsichern dagegen immer wieder die Protagonisten von Woody Allens Filmen bzw. sein Alter Ego. Bei seinem autobiographisch gefärbten Meisterwerk "Annie Hall" (1975) kommt das schon im deutschen Titel "Der Stadtneurotiker" zum Ausdruck. Bohrende Dramen könnten das Sein, doch Allen verpackt die existentiellen Sorgen in Komödien. Dem Grübler Allen stehen wiederum die cholerisch-hysterischen und nie zur Ruhe kommenden Figuren von Louis de Funès gegenüber wie beispielsweise dessen Restaurantkritiker, der in" L´aile ou la cuisse" ("Brust oder Keule", 1976) dem Besitzer einer Fastfood-Kette den Kampf ansagt.
In Krisen stürzen auch immer wieder die Coen-Brüder ihre Protagonisten, sei es dass in "A Serious Man" (2009) ein biederer College-Professor von Schicksalsschlägen heimgesucht wird, die an den biblischen Hiob erinnern, oder sich in "The Man Who Wasn´t There" (2001) ein Friseur in einen Teufelskreis von Erpressung, Mord und Selbstmord verstrickt. Nicht immer geht das für diese angeschlagenen Männer gut aus und auch der New Yorker Autor schlittert in "Barton Fink" (1991) in Hollywood nicht nur in eine Schaffenskrise, sondern wird auch in einen Mord verwickelt.
In Marc Forsters "Stranger than Fiction" (2006) wird das Leben eines unscheinbaren Steuerberaters dagegen durch eine Off-Stimme, die ihn auffordert sein langweiliges Leben zu ändern, nachhaltig erschüttert. Gleichzeitig düpiert Forster mit dem Spiel mit Realität und Schein auch immer wieder das Publikum.
Melancholischer angelegt sind Aki Kaurismäkis "I Hired a Contract Killer" (1990) und Wolfgang Murnbergers Wolf Haas-Verfilmung "Das ewige Leben" (2015). Den Protagonisten beider Filme ist jede Lebensfreude längst abhandengekommen. Während bei Kaurismäki der von Jean-Pierre Leaud wunderbar stoisch gespielte Henri nach seiner Kündigung deshalb einen Killer engagiert, der ihn töten soll, spielt Josef Hader seinen Detektiv Brenner als depressiven Mann in der Midlife-Crisis, der irgendwie weiter wurstelt.
Immer wieder ist es ein unbefriedigendes Berufs- und/oder Familienleben, das diese Männer in eine Krise stürzt. Glauben die Lehrer mittleren Alters in Thomas Vinterbergs "Drunk" (2020) durch einen permanenten leichten Alkoholspiegel ihre Lebensfreude zurückzugewinnen, so weckt bei Sam Mendes bitterbösem "American Beauty" (1999) die hübsche Freundin der Tochter die Lebensgeister von Kevin Spacey.
So obsessiv in eine vermeintlich Tote verliebt sich dagegen James Stewart in Alfred Hitchcocks abgründigem Meisterwerk "Vertigo" (1958), dass er versucht eine neue Bekanntschaft der Verstorbenen anzugleichen. Happy End kann es hier nicht geben, während der von Bill Murray gespielte Zyniker in Harold Ramis "Groundhog Day" ("Und ewig grüßt das Murmeltier", 1993) sich wandelt, als er in eine Zeitfalle gerät und ständig den "Murmeltiertag" – den 4. Februar – neu erlebt.
Einen Film hätte man in dieser Reihe gern noch gesehen, denn so furios wie Joel Schumacher in "Falling Down" (1992) hat wohl kein Film beschrieben, wie ein banaler Stau bei einem amerikanischen Mittelstandsbürger das Fass zum Überlaufen bringt und die unterdrückten privaten und beruflichen Frustrationen und Kränkungen durchbrechen und sich in einem gewalttätigen Zug durch L. A. entladen lässt.
Detailinformationen zu den gezeigten Filmen unter Spieldaten finden sie auf der Webseite des Kinok St. Gallen
Trailer zu "The Odd Couple - Ein seltsames Paar"
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