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  • AutorenbildWalter Gasperi

Murina


Antoneta Alamat Kusijanovic erzählt in ihrem in Cannes 2021 mit der Camera d´Or für das beste Debüt ausgezeichneten Spielfilm vor malerischer kroatischer Küstenlandschaft vom Coming-of-Age eines Teenagers zwischen repressivem Vater und Freiheitsstreben.


Vom Meeresboden blickt die Kamera von Hélène Louvart in der ersten Einstellung lange in Richtung Wasseroberfläche. Schließlich kommen zwei Taucher ins Bild, denen die Kamera bei ihrer Jagd auf eine Muräne bis zum Auftauchen folgt.


Immer wieder spielt Antoneta Alamat Kusijanovic mit diesem Bild vom Unter- und Auftauchen. Hinter dem Konkreten versteckt sich dabei eine Metapher für das im Menschen Schlummernde, das langsam aufbricht, vor allem für das Coming-of-Age der 17-jährigen Julija (Gracija Filipovic), die sich zunehmend des Drucks ihres Vaters Ante (Leon Lucev) bewusst wird und sich aus dieser Umklammerung befreien will. Dem Auftaktbild steht so am Ende auch eine Luftaufnahme des allein auf dem Meer schwimmenden Teenagers gegenüber.


Katalysator bei dieser Entwicklung ist der aus Amerika kommende, steinreiche Javier (Cliff Curtizs). Der Vater gibt ihn als Jugendfreund aus, in Wirklichkeit war er aber wohl sein Angestellter und steuerte als Kapitän dessen Boot. Nun hofft Ante dem Gast ein Stück Land für dessen geplantes Luxushotel verkaufen zu können, um dann mit dem Geld für die Familie eine Wohnung in Zagreb zu kaufen.


Ein einziges glückliches Wochenende soll es für Javier werden, doch stattdessen fördert sein Besuch die innerfamiliären Spannungen zu Tage. Einerseits wird sich nämlich Julia durch den weltmännischen und smarten Gast ihrer Einengung bewusst und träumt von Ausbruch, andererseits beginnt auch ihre Mutter verpassten Lebenschancen nachzutrauern, gab es einst doch auch eine Liebesbeziehung zwischen ihr und Javier.


Nicht erst seit den Filmen von Joseph Losey oder Pier Paolo Pasolinis "Teorema" ist das Auftauchen eines Fremden, der in einem scheinbar festen sozialen Gefüge Risse und Spannungen zu Tage fördert, aber auch einen Bewusstwerdungsprozess einleitet, ein klassisches Motiv. Souverän arbeitet auch die 37-jährige, in New York lebende Kroatin Antoneta Alamat Kusijanovic in ihrem vielfach preisgekrönten Debüt, bei dem Martin Scorsese als Executive Producer fungierte, damit.


Beschränkt auf das Wochenende des Besuchs und die Küstenlandschaft um das Haus der Familie sowie weitgehend auf die dreiköpfige Familie und den Gast gelang Kusijanovic ein Coming-of-Age-Film, in dem nicht zuletzt dank eines hervorragenden Casts dicht und vielschichtig der Gefühlszustand eines Teenagers, aber auch die Selbstzweifel der Mutter ausgelotet werden.


Spannend ist es zuzusehen, wie unter dem Einfluss des weltmännischen Javiers, der eine Ahnung von Freiheit in diese abgeschiedene Region bringt, Julija zunehmend beginnt gegen ihren Vater aufzubegehren und ihren eigenen Weg zu gehen. Gefördert wird ihr Streben nach Unabhängigkeit und befreitem Leben aber auch durch junge Tourist:innen, die im privaten Hafen des Strandhauses mit ihrer Yacht ankern und die sie immer wieder beim Baden, Herumtollen und Trinken beobachtet.


Gleichzeitig wirft "Murina" in der Kontrastierung des Vaters, der nur ans Geschäft und materiellen Wohlstand denkt, und Mutter und Tochter, die von einem befreiten Leben träumen, die Frage nach dem Lebenssinn auf. Schlecht schneiden hier die materialistischen Männer ab, denen die emotionale Fokussierung der Frauen gegenübersteht. Dieser Gegensatz kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass es Julija beim Tauchen rein ums Tauchen geht, während bei ihrem Vater der Fang eines Fisches oder einer Muräne im Zentrum steht.


Wesentlich zur Qualität dieses Debüts trägt aber auch die Kameraarbeit von Hélène Louvart bei. Die Französin, die unter anderem schon für Eliza Hittman ("Never, Rarely, Sometimes, Always"), Alice Rohrwacher ("Lazzaro Felice") und Karim Aïnouz ("Die Sehnsucht der Schwestern Gusmao") die Kamera führte, beschwört mit ihren lichtdurchfluteten Bildern der malerischen Küstengegend und dem starken Gegensatz von tiefblauem Meer und weißen Kalksteinfelsen nicht nur intensiv die Sommerstimmung, sondern ist mit ihrer mobilen Kamera auch immer hautnah an der Protagonistin dran.


Ohne je penetrant zu wirken, werden auch immer wieder starke Bilder, die einerseits ganz real sind, andererseits auch metaphorisch die Situation Julijas spiegeln, in die Handlung integriert, sodass sich verbunden mit einem dynamischen Schnitt ein sehr sinnlicher Coming-of-Age-Film ergibt, der differenzierten Einblick vor allem in die Gefühlswelt Julijas und ihrer Mutter bietet, die sich an den ebenfalls hervorragend gespielten Männern reiben.

Murina Kroatien / Brasilien / USA / Slowenien 2021 Regie: Antoneta Alamat Kusijanovic mit: Gracija Filipovic, Danica Curcic, Leon Lucev, Cliff Curtis Länge: 92 min.


Spielboden Dornbirn: Sa 29.4. + Do 4.5. - jeweils 19.30 Uhr Crossing Europe Filmfestival Linz: Mo 1.5., 17.45 Uhr (Movie 1)


Trailer zu "Murina"


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