Mehr Experimental- als Dokumentarfilm: Brett Morgen zeichnet nicht bieder Leben und Karriere des britischen Multitalents David Bowie nach, sondern versucht mit einem wahren Bild- und Soundgewitter das Publikum in die Kreativität und Weltsicht des 2016 verstorbenen Künstlers eintauchen zu lassen. – Ein ebenso aufregender wie teilweise auch anstrengender 140-minütiger filmischer Trip.
Wer konkrete Fakten über das Leben des am 8. 1. 1947 in London geborenen und am 10. 1. 2016 in New York gestorbenen David Bowie erwartet, ist mit Brett Morgens "Moonage Daydream" schlecht bedient.
Kurz erwähnt Bowie zwar in einem Interview sein Geburtsdatum und spricht auch über seine Familie und gegen Ende über seine Liebe zum somalischen Model Iman.
Ausschnitte aus Interviews und TV-Auftritten schneiden auch die Übersiedlung Bowies nach Los Angeles und später nach Berlin an. Auf konkrete Fakten und Jahreszahlen verzichtet Morgen aber weitgehend, spart abgesehen von Iman alle Beziehungen ebenso wie Skandale und Drogensucht komplett aus. Nebenbei erwähnt wird zwar, dass der vielseitige Künstler auch in mehreren Spielfilmen mitspielte, doch weder werden die Titel genannt noch eingestreute Filmausschnitte klar als solche gekennzeichnet.
Auch die Konzertauftritte werden nicht genauer verankert, einzig von der sensationell erfolgreichen Serious Moonlight Tour 1983 bekommt man einen klareren Eindruck. Zu Wort kommt in den Interviews auch nur Bowie selbst - und kurz seine begeisterten Fans. Kein Blick von außen wird so geboten, sondern die subjektive Sicht des Porträtierten bestimmt den Film.
Um Faktizität und Objektivität geht es Morgen, der für den Film Zugang zu Bowies umfangreichem privatem Archiv erhielt, ganz offensichtlich nicht. Vielmehr will er mit einem wahren Bild- und Soundgewitter einen Eindruck von der Kreativität und der ständigen Neuerfindung Bowies vermitteln.
Eindruck davon bieten die Konzertmitschnitte mit unterschiedlichen Outfits und Maskierung, mit denen der Popstar bald als Ziggy Stardust, bald als Major Tom oder als Thin White Duke auftrat. Ganz klassisch könnte diese Ebene mit Auftritten, Interviews und privaten Fotos Bowies sein, doch Morgen streut eine Fülle von kürzesten Schnipseln aus Klassikern der Filmgeschichte ein. Der Bogen spannt sich dabei von Méliès` "Die Reise zum Mond", einem Chaplin-Film, "Das Cabinet des Dr. Caligari", Langs "Metropolis", Murnaus "Nosferatu" und ein Foto von Buster Keaton über Bunuels "Der andalusische Hund", Dreyers "La passion de Jeanne d´Arc", Riefenstahls "Triumph des Willens" und Eisensteins "Iwan der Schreckliche" bis zu Bergmans "Das siebente Siegel" und Kubricks "Clockwork Orange" und "2001 – A Space Odyssee".
Und auch auf der Ebene der Kunstgeschichte wird von Pablo Picasso bis Basquiat reichlich zitiert. Dabei wechselt auch schwarzweißes Material mit farbigem, bald bestimmen bunte Wasserflecken das Bild, dann werden wieder Animationsszenen oder auch die eigenen Gemälde Bowies eingesetzt.
Die formale Vielfalt passt zum britischen Multitalent, das nie stehen bleiben wollte und sich immer wieder neu erfand. Nicht nur 26 Studioalben produzierte Bowie so, sondern versuchte sich auch als Maler, spielte am Broadway im Stück "The Elephant Man" und – wie schon erwähnt – in mehreren Kinofilmen, vor allem in Nagisa Oshimas "Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence" und Nicholas Roegs "The Man Who Fell to Earth".
Mit dieser Fülle an Found Footage und einem fulminanten Soundtrack entfesselt Morgen über 140 Minuten einen filmischen Rausch, der immer wieder mitreißt und fasziniert, teilweise aber auch ermüdet. Denn einerseits erschlagen die vielfältigen Zitate die Zuschauer*innen förmlich, andererseits wirken sie auch sehr beliebig und vielfach ohne Bezug zu Bowies Person und künstlerischem Schaffen.
Die Fülle an Material zu organisieren und anschließend zu montieren, war zweifellos eine Herkulesarbeit und bestechend kehrt der atemlose Rhythmus des Films auch das atemlos-intensive Leben Bowies, der erklärt, dass er jeden Tag genießen und keinen verschwenden wolle, nach außen. Viel vermittelt so dieser rauschhafte Trip mit seiner fulminanten Bild- und Soundcollage über seine Form über Bowies Kreativität und sein permanentes Streben nach einer Neuerfindung und bietet ein experimentelles und immersives filmisches Erlebnis.
Moonage Daydream USA 2022 Regie: Brett Morgen Dokumentarfilm Länge: 140 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems (O.m.U.)
Trailer zu "Moonage Daydream"
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