Als ein jüdischer Doppelgänger auftaucht, gerät ein Kunsthändler im von den Nazis besetzten Paris des Jahres 1942 ins Räderwerk der Behörden. – Joseph Loseys perfekt aufgebautes, dicht inszeniertes und großartig gespieltes kafkaeskes Drama ist bei Studiocanal digital remastered auf DVD und Blu-ray erschienen.
Die Erfahrung der Ausgrenzung und Verfolgung hat der Amerikaner Joseph Losey selbst gemacht, als er in der McCarthy-Ära nach vier Filmen in seiner Heimat wegen ehemaliger Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei keine Arbeitsmöglichkeiten mehr fand und ins europäische Exil gehen musste. In England drehte er in Zusammenarbeit mit dem Autor Harold Pinter Meisterwerke wie "The Servant" (1963) und "The Go-Between" ("Der Mittler", 1971), ehe er Mitte der 1970er Jahre nach Frankreich ging, wo "Monsieur Klein" (1976) entstand.
Wie Jean-Baptiste Thoret in der informativen zehnminütigen Einführung zum Film erklärt, war das Drehbuch des italienischen Marxisten Frank Solinas zunächst Costa-Gavras angeboten worden, der den Film mit Jean-Paul Belmondo in der Hauptrolle drehen wollte, doch dieses Projekt zerschlug sich. Als Losey das Drehbuch las, war er sofort interessiert und Alain Delon, mit dem er zuvor schon "The Assassination of Trotzky" ("Das Mädchen und der Mörder", 1974) gedreht hatte, spielte nicht nur die Hauptrolle, sondern produzierte den Film auch.
Losgelöst von der Handlung setzt der Film mit der rassistischen Untersuchung einer Frau ein, deren Kopf von einem Arzt emotionslos vermessen und beschrieben wird, bis er zum Gesamturteil "möglicherweise jüdisch" kommt. Eingeführt wird mit diesem Einstieg aber schon die Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber dem Schicksal anderer, die zentrales Thema von "Monsieur Klein" ist.
Schon in der nächsten Szene setzt sich diese fort, wenn der Kunsthändler Robert Klein (Alain Delon) die Situation eines bedrohten jüdischen Bürgers ausnützt, um den Preis für ein Gemälde zu drücken. Als Klein sich von dem Kunden verabschiedet, findet er vor der Wohnung seines luxuriösen Appartements eine jüdische Zeitung, die an ihn adressiert ist. Da er seine Familie für traditionelle Franzosen und Katholiken hält, beginnt er zu recherchieren, ob er einen Doppelgänger gleichen Namens hat, ruft damit aber auch die französische Polizei auf den Plan.
Zur Zeit der deutschen Besetzung spielt Loseys Film zwar, aber deutsche Soldaten und Offiziere tauchen höchstens im Hintergrund auf. Agierende sind hier die französischen Behörden, die willfährig die von den Nazis angeordnete Verfolgung der Juden ausführen. Meisterhaft steigert das perfekt aufgebaute Drehbuch von Solinas dabei die Bedrohung und die Spannung und Losey versteht es mit brillanter Bildsprache die Vorlage umzusetzen.
Nüchtern und zurückhaltend ist die Inszenierung, doch extrem dicht gebaut ist dieses Meisterwerk. In langen tiefenscharfen Plansequenzen erzählt Losey immer wieder gleichzeitig im Vordergrund und im Hintergrund, inszeniert in die Raumtiefe und baut große Spannung auf. Selten findet man in aktuellen Filmen eine so überlegte und dichte Bildsprache. Der sehr reduzierte Musikeinsatz, gedeckte Farben und die Dominanz von Grau-, Blau- und Grüntönen sowie die Situierung der Handlung im Winter evozieren wiederum eindrücklich die bedrückende Atmosphäre der Zeit der Besetzung.
Gleichzeitig stürzt die zunehmend verbohrtere Suche nach dem Doppelgänger Klein in eine Identitätskrise. So zurückhaltend Losey inszeniert, so zurückhaltend spielt auch Alain Delon diesen Kunsthändler, der sich nur für sich selbst interessiert, auch kaum Interesse für seine Geliebte zeigt. Perfekt besetzt sind bei diesem kafkaesken Psychodrama, das durch die präzise Inszenierung von der ersten bis zur letzten Minute packt, aber auch die Nebenrollen.
So konsequent Losey dabei auch seinem Protagonisten folgt, so sehr geht sein Film über das individuelle Drama hinaus und bezieht einerseits entschieden Stellung gegen Gleichgültigkeit und Mitläufertum, das die Barbarei des Faschismus ermöglicht, und prangert andererseits die Mitschuld der französischen Behörden am Holocaust an, wenn "Monsieur Klein" in die Razzia beim Vélodrome d’Hiver mündet, bei der 8000 Pariser Juden zusammengetrieben und in Güterzügen in die Vernichtungslager deportiert wurden. Dass Losey dieses Ereignis, bei dem er auch geschickt den Bogen zum Anfang seines Films schlägt und dadurch kein oder kaum Mitleid gegenüber dem Kunsthändler aufkommen lässt, vom Juli 1942 aus dramaturgischen Gründen in den Winter verlegt, scheint legitim.
An Sprachversionen bieten die bei Studiocanal digital remastered erschienene DVD und Blu-ray die französische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche und englische Untertitel und französische Untertitel für Hörgeschädigte. Die deutsch untertitelten Extras umfassen neben der zehnminütigen Einführung von Jean-Baptiste Thoret, ein 45-minütiges Interview mit dem französischen Kritiker Michel Ciment, der auch ausführlich "Monsieur Klein" in den Kontext von Loseys Leben und Schaffen einbettet, sowie ein 25-minütiges Interview mit dem Cutter Henri Lanoe.
Trailer zu "Monsieur Klein"
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