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  • AutorenbildWalter Gasperi

Lunana - A Yak in the Classroom


Ein angehender Lehrer, der durch und durch Städter ist und von der Auswanderung nach Australien träumt, muss in seinem letzten Ausbildungsjahr in einer im abgelegensten Teil Bhutans gelegenen Dorfschule unterrichten. – Pawo Choyning Dorji erzählt zwar keine neue Geschichte, aber der ruhige Erzählrhythmus, die prächtigen Bilder und die authentische Schilderung der Bergwelt und ihrer Bewohner*innen machen Bhutans Einreichung für den Oscar als Bester Internationaler Film zu einem berührenden Kinoerlebnis.


Das im Osten des Himalayas gelegene Königreich Bhutan ist vor allem dafür bekannt, dass hier die glücklichsten Menschen der Welt leben sollen. Statt das wirtschaftliche Wachstum wird hier in einer Umfrage zum Lebensstandard das Bruttonationalglück erhoben. Nichts zu sehen und zu spüren ist aber von diesem nationalen Glück beim jungen Ugyen (Sherab Dorji). Seine Großmutter, bei der er als Waise aufgewachsen ist, muss ihn am Morgen aus dem Bett werfen. Ständig hängt er am Handy, hat Kopfhörer auf und träumt von der Auswanderung nach Australien, wo er Karriere als Sänger machen will.


Noch ein Jahr dauert seine Ausbildung zum Lehrer, doch feststeht für ihn, dass er diesen Beruf nicht ausüben will. Am Abend hängt er mit Freunden in einer Bar herum, amüsiert sich bei Drinks und Popmusik oder trägt auch selbst einen Song auf Englisch vor. In der Hauptstadt Thimpu scheint sich das Leben der Jugend kaum von dem in der westlichen Welt zu unterscheiden.


Weil Ugyen aus seiner Ablehnung gegenüber dem Beruf als Lehrer und seinen Auswanderungsplänen kein Geheimnis macht, schickt ihn seine Vorgesetzte als Bestrafung fürs letzte Jahr des obligatorischen Staatsdiensts und seiner Ausbildung in die abgelegenste Schule wohl nicht nur Bhutans, sondern der Welt.


Tief sitzt der Schock bei Ugyen und ein mächtiger Kulturschock ist vorprogrammiert. Wie weit entfernt Lunana vom Zentrum liegt, macht Pawo Choyning Dorji schon bei der Busfahrt mit einer Abfolge von Bildern, bei denen der Tag in die Nacht übergeht, deutlich. Inserts zur Einwohnerzahl und Höhenlage einzelner Orte verdeutlichen zudem den Kontrast zur Hauptstadt, verankern "Lunana" aber auch in einer geographisch-gesellschaftlichen Realität.


Mit der Busfahrt kommt Ugyen aber noch nicht ans Ziel, denn Lunana, das übersetzt "das dunkle Tal" heißt, liegt so abgelegen, dass es nur durch einen achttägigen Fußmarsch erreicht werden kann. Zwei Bewohner des Hochlands holen ihn ab und berichten, wie sehnsüchtig das ganze Dorf schon auf den neuen Lehrer wartet. Ugyens Unwille steigert sich aber noch auf der Wanderung. Denn während seine Begleiter mit einfachen Schuhen locker dahinmarschieren, quält er sich trotz modernster Ausrüstung ab. Auch mit dem Musikgenuss ist es vorbei, als der Akku seines Handys leer ist.


Berührend ist, wie sehnsüchtig ein Teil der nur 56 Bewohner*innen, des rund 3400 Meter hoch gelegenen Tals den neuen Lehrer schon vor dem Dorfeingang abholt. Bildungshungrig sind die Kinder und der Dorfvorsteher, der glaubt, dass nur ein Lehrer die Zukunft der Kinder berühre, will dafür sorgen, dass sie durch entsprechende Schulbildung später auch mehr Berufsmöglichkeiten haben und nicht als Yakhirten und Pilzsammlerinnen arbeiten müssen.


All das interessiert Ugyen aber wenig und er erklärt sofort, dass er möglichst schnell wieder zurück in die Zivilisation will. Da sich die Maultiere aber zunächst erholen müssen, muss er einige Tage warten, in denen sich seine Meinung ändert und er beschließt doch den ganzen Sommer zu bleiben.


Rund 35 Minuten lässt sich Dorji für die Anreise Zeit. Das macht einerseits die Distanzen und die Abgelegenheit erfahrbar, andererseits wird mit dieser Langsamkeit auch Spannung aufgebaut, was Ugyen und das Publikum denn wohl in Lunana erwarten wird. Mit der räumlichen Distanz korrespondiert dabei freilich auch eine kulturelle, wenn der westlichen Hauptstadt die ursprüngliche bäuerliche Welt gegenübergestellt wird. Dominiert dort englische Popmusik werden hier traditionelle Lieder gesungen und jede moderne Technik ist fern. Nicht einmal mittels des Wortes "Car" kann Ugyen hier im Unterricht den Kindern das englische Alphabet beibringen, denn völlig unbekannt ist den Schüler*innen, was ein Auto ist. Sogar Zähneputzen muss hier erst noch gelehrt werden, eine Szene, die an Jacques Audiards Western "The Sisters Brothers" erinnert, doch dieser spielt im 19. Jahrhundert.


Mangels Wandtafel muss Ugyen zunächst auch im Schulgebäude auf die Wand schreiben und Papier ist Mangelware. Als Luxus erhält der Lehrer Toilettenpapier, während die Einheimischen Laub verwenden. Doch rundum heil ist auch diese Welt nicht, gibt es doch auch eine Schülerin, deren Vater Alkoholiker ist und die bei ihrer Großmutter aufwächst.


Alles andere als neu ist die Geschichte vom Städter, der sich in dieser einfachen, aber achtsamen und feinfühligen Dorfgemeinschaft wandelt, doch Dorjis Regiedebüt schleicht sich mit seinem unverfälschten, fast dokumentarischen Blick auf das Dorfleben und seinem leisen und warmherzigen Humor schnell ins Herz des Zuschauers ein. Durchaus ausführlicher hätte diese Schilderung des archaischen Lebens ausfallen können, denn noch tiefer hätte man damit in diese Welt eintauchen können und die doch etwas abrupte Wandlung des Städters Ugyen wäre nachvollziehbarer geworden.


Eingebettet ist dieser Blick auf diese einfachen Menschen, die von einheimischen Laien gespielt werden, in grandiose Totalen dieses Hochtals mit dem satten Grün und den schneebedeckten Bergen im Hintergrund, bei deren Anblick beiläufig auch an den Klimawandel und das Schmelzen der Gletscher erinnert wird.


Klischees mag der 37-jährige Regisseur bedienen, wenn sich auch eine zarte Liebesgeschichte entwickelt, umgeht aber schließlich die Muster eines hollywoodgemäßen Happy End. Denn nach einem Zeit- und Ortsprung wirft Dorji nochmals verdichtet die Frage nach Heimat und Glück auf und entlässt mit einer sehnsuchtsvollen Schlussszene aus diesem durch seine tiefe Menschlichkeit, seine Zartheit und Ehrlichkeit berührenden bildschönen Film.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, im Skino in Schaan und am 21.6. im Kinotheater Madlen in Heerbrugg


Trailer zu "Lunana - A Yak in the Classroom"


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