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AutorenbildWalter Gasperi

Liebeserklärungen an das Kino: François Truffaut

Aktualisiert: 5. Feb. 2022


Jules et Jim (1962)

Im Alter von nur 52 Jahren starb Francois Truffaut am 21. Oktober 1984 an einem Gehirntumor. Wie kaum ein anderer Regisseur des modernen Kinos verstand es dieser Mitbegründer der Nouvelle Vague Filmkunst mit Unterhaltung zu verbinden. – Das Filmpodium Zürich widmet Truffaut im Mai und Juni eine Filmreihe.


Das Kino war für Truffaut das Leben. Vaterlos und von seiner Mutter vernachlässigt wurde der am 6. Februar 1932 geborene Pariser zunächst Laufbursche, dann Fabrikarbeiter. Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte er aber im Kino und lernte dabei den Filmkritiker André Bazin kennen, der zu seinem Förderer wurde und für dessen längst legendäre Filmzeitschrift „Cahiers du Cinéma“ Truffaut in den 1950er Jahren zahlreiche Kritiken schrieb.


Heftig kritisierte der junge Filmenthusiast dabei das gutgemachte, aber unpersönliche französische „Cinéma de qualité“ und feierte die Amerikaner, die sich durch eine individuelle Handschrift auszeichneten. Nicholas Ray und Sam Fuller, Robert Aldrich und Howard Hawks, Otto Preminger und vor allem natürlich Alfred Hitchcock waren für Truffaut und seine etwa gleichaltrigen Kollegen von den „Cahiers“ wie Godard, Rivette oder Rohmer die großen Regisseure, an ihnen entwickelten sie ihre „Politique des Auteurs“.


Von den Europäern schätzte er vor allem den Italiener Roberto Rossellini und die Franzosen Robert Bresson und Jean Renoir. Letzterer hat den Regisseur Truffaut auch entscheidend geprägt und in Anlehnung an Renoirs Film "La carosse d´or" (1953) nannte er seine Produktionsfirma „Les Films du Carosse“. Im Gegensatz zu Godard und Rivette war Truffaut nie ein Revolutionär des Kinos, er orientierte sich vielmehr an seinen Vorbildern, erzählte zwar klassisch, ließ dabei aber die Ironie nie zu kurz kommen.


Eine Hommage an den amerikanischen Film noir der 1940er Jahre sind "Tirez sur le pianiste" (1960), "La mariée était en noir" (1967) und "La sirène de Mississippi" ("Das Geheimnis der falschen Braut", 1969), seine ganze Liebe zum klassischen Hollywoodkino offenbarte er in dem selbstreflexiven "La nuit américaine" (1973), in dem ein komödiantischer, aber durchaus auch scharfsichtiger Einblick in die Produktion eines Films geboten wird.


Truffauts 22 langen Spielfilme lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Vielfältig sind die Themen, gemeinsam ist ihnen aber die elegante und „weiche“ Erzählweise. Truffaut liebte nicht nur das Kino, sondern auch die Menschen und seine Figuren, auf die er voller Empathie und Zärtlichkeit blickte. In krassem Gegensatz zu seinen scharfen und bissigen Filmkritiken steht der liebevolle und warme Ton seiner eigenen Filme.


Spürbar ist dieser nicht nur in seinem autobiographisch geprägten Debüt "Les quatre cents coup" ("Sie küssten und sie schlugen ihn", 1959), in dem mit der ganzen Leichtigkeit und Frische der beginnenden Nouvelle Vague von einem von seinen Eltern vernachlässigten Jugendlichen erzählt wird – und der den Auftakt zum schließlich fünf Filme umfassenden Antoine Doinel-Zyklus bildet ("Antoine et Colette", 1961; "Baisers volés", 1968; "Domicile conjugal", 1970; "L´amour en fuite", 1978) -, sondern auch – und sogar noch stärker - in "L´enfant sauvage" ("Der Wolfsjunge", 1970).


Gestützt auf den 1806 veröffentlichten Bericht des jungen Dr. Itard erzählt Truffaut in diesem von Nestor Almendros meisterhaft fotografierten Schwarzweißfilm von einem 1797 in den Wäldern aufgefundenen wilden Jungen, den Itard zu sich nach Hause brachte und zu zivilisieren versuchte. Der Film macht deutlich, dass nach Truffaut der Respekt für das Individuum mit einem Glauben an die Zivilisation verbunden sein muss und dass der mögliche Verlust des Jungen an primitiver Freiheit durch den Gewinn an kommunikativen Fähigkeiten mehr als aufgewogen wird.


Liebeserklärungen an das Kino, mitfühlende Sorge um Kindheit und Erziehung und immer wieder Filme über die Liebe, die auch Liebeserklärungen an große Schauspielerinnen sind – damit lässt sich der Rahmen von Truffauts Werk abstecken.


Manche seiner Filme sind heiter und verspielt wie "Jules et Jim" (1962) mit Oscar Werner und Jeanne Moreau, "Les deux anglaises et le continent" (1972) oder "L´homme qui aimait les femmes" (1977), andere wie "L´histoire d´Adèle H." (1975) mit Isabelle Huppert oder "La femme d´à côté (1981) mit Fanny Ardant verzweifelte, tragisch endende amours fous und in "Le dernier métro" (1980), in dem Catherine Deneuve in der Hauptrolle brilliert, lösen sich schließlich diese Gegensätze auf, vermischen sich Spiel und Realität, Heiteres und Tragisches.


In gleichem Maße wie seine Filme sind aber auch Truffauts Schriften über das Kino zu empfehlen. Sein mehrstündiges Interview mit Alfred Hitchcock, das unter dem Titel "Mister Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" erschienen ist, gilt immer noch als bestes Filmbuch aller Zeiten und die Sammlung seiner Kritiken in "Die Filme meines Lebens" bereitet auch ohne Kenntnis der besprochenen Filme großes Vergnügen und weckt Lust die rezensierten Werke selbst zu entdecken oder vor dem Hintergrund des Gelesenen einer erneuten Betrachtung zu unterziehen.


Trailer zu "La nuit américaine"

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