Ein verheirateter junger Pakistani, der im Verband einer Großfamilie lebt, verliebt sich in eine trans Frau. - Aus der privaten Geschichte entwickelt Saim Sadiq in seinem in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichneten, feinfühligen Spielfilmdebüt ein beeindruckend vielschichtiges Porträt der patriarchalen pakistanischen Gesellschaft.
Zwar reichte Pakistan "Joyland" für den Oscar für den besten internationalen Film ein, doch in Pakistan selbst löste das Langfilmdebüt von Saim Sadiq Kontroversen aus und wurde vorübergehend sogar verboten: Konservative Kreise wollten im zu über 90% muslimischen Land einen Film über die Liebe eines verheirateten Mannes zu einer trans Frau nicht akzeptieren.
Im Mittelpunkt von "Joyland" steht Haider (Ali Junejo), der mit seiner Frau Mumtaz (Rasti Farooq), seinem Vater und der Familie seines Bruders in einem Haus in der Großstadt Lahore lebt. Diesen Mikrokosmos nützt Sadiq gekonnt um die patriarchalen Strukturen zu durchleuchten. Da mag der 70-jährige Vater zwar auf den Rollstuhl angewiesen sein, dennoch bestimmt er, was zu tun ist. Wenig hält er von dem sanften Haider, für den auch beim Schlachten einer Ziege seine Frau einspringen muss.
Während diese in einem Kosmetiksalon arbeitet und in ihrem Beruf Erfüllung findet, kümmert sich ihr seit längerem arbeitsloser Ehemann um den Haushalt und die Kinder seines Bruders. Wie wenig Frauen in diesem Land zählen, wird spätestens sichtbar, wenn alle von Haiders schwangerer Schwägerin erwarten, dass sie nach drei Töchtern endlich einen Sohn gebärt. Groß ist dann auch die Enttäuschung, als sie wieder ein Mädchen zur Welt bringt.
Neue Möglichkeiten eröffnen sich für Haider, als er einen Job als Backgroundtänzer in einem erotischen Theater erhält. Gleichzeitig will der Vater damit aber auch wieder den Freiraum von Haiders Frau einschränken: Obwohl Mumtaz nämlich gerne arbeitet, soll sie nun wieder zu Hause bleiben und kochen, da jetzt ja Haider das Geld ins Haus bringe.
Seinem Vater wagt Haider freilich nicht zu gestehen, dass er als Tänzer arbeitet, sondern gibt vor Theater-Manager zu sein. Spürbar wird auch immer wieder die Sorge um das Gerede der Nachbarn. Vor allem die Männer agieren hier ängstlich, ungleich selbstbewusster treten hier eine Nachbarin oder auch Mumtaz auf, die zupacken kann und Probleme offen angeht.
Doch in der patriarchalen Gesellschaft scheint für alle der Spielraum klein und das enge 4:3-Format lässt die Beklemmung förmlich spüren. Befreiter wirken die Szenen im Theater, in denen mit kräftigen Farben, Tanz und offenem Auftreten Lebensfreude verbreitet wird. Fasziniert ist Haider, der seine homosexuelle Neigung verdrängt, hier von der trans Frau Biba (Alina Khan) und beginnt eine Affäre mit ihr, sieht in ihr aber nicht die Frau, sondern den Mann.
Mit dieser Biba will Sadiq Pakistan wohl auch einen Weg in die Zukunft weisen. Denn sie tritt selbstbewusst auf, lässt sich von homophoben Bemerkungen nicht einschüchtern, sondern stellt die Männer entschlossen und scharf zur Rede. Mumtaz dagegen verfügt letztlich nicht über diese Kraft. Auch eine Schwangerschaft löst bei ihr keine Freude aus, denn sie weiß sehr wohl, dass sie als Mutter noch mehr in das traditionelle Rollenklischee gepresst wird, und sie erkennt auch, dass sie von ihrem Mann keine Unterstützung erwarten kann.
Die Stärke von "Joyland" liegt einerseits in der feinfühligen und runden Erzählweise, andererseits in der differenzierten Schilderung der traditionellen pakistanischen Gesellschaft. Mit der Verzahnung von Haider, seiner Frau, der trans Frau Bina und Haiders Vater können nicht nur die patriarchale Macht und die vielfältige Unterdrückung der Frau, sondern auch die Diskriminierung und Ausgrenzung nicht heterosexueller Gruppierungen plastisch herausgearbeitet werden.
Dank Sadiqs genauem Blick für Situationen und Figuren sowie starker Schauspieler:innen wird "Joyland" aber nie zum schweren Problemfilm, sondern bietet starkes Gefühlskino. Nach rasantem Beginn wird dabei die Erzählweise langsamer und lässt in langen Einstellungen immer wieder den Protagonist:innen Raum um intensiv ihre Emotionen und Befindlichkeit zu vermitteln.
Gekonnt wird dabei auch der Lebensfreude, die in den Tanzszenen spürbar wird, die Beengung gegenübergestellt, die vor allem am Ende an Gewicht gewinnt. Dennoch entlässt "Joyland" die Zuschauer:innen nach zwei bewegenden Stunden zwar nachdenklich, aber nicht niedergeschlagen, sondern mit dem Wissen und dem Glauben, dass auch in Pakistan ein befreites und selbstbestimmtes Leben möglich sein könnte.
Joyland Pakistan 2022 Regie: Saim Sadiq mit: Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Khan, Sarwat Gilani, Salmaan Peerzada, Sameer Sohail, Sania Saeed, Ramiz Law Länge: 126 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Skino Schaan und im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Joyland"
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