Catherine Corsini nützt ein Krankenhaus, um ein Bild der Zerrissenheit und der Missstände Frankreichs zu zeichnen: Druckvolles und dynamisches Kino, bei dem aber angesichts der metaphorischen Anlage die filmische Erzählung und Geschichte zu kurz kommen.
Die Beziehung zwischen der Comiczeichnerin Raf (Valeria Bruni Tedeschi) und der Verlegerin Julie (Marina Fois) steht vor dem Aus. In zahlreichen SMS beschimpft Raf über Nacht Julie, doch als letztere am nächsten Morgen erklärt, dass sie sich eine Wohnung suchen und ausziehen wird, will das Raf doch nicht und versucht Julie zurückzugewinnen.
Aufgewühlt ihr durch die Straßen von Paris folgend, stürzt Raf und wird mit einem verletzten Ellenbogen in die Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses eingeliefert. Gleichzeitig eskalieren auf den Straßen die Auseinandersetzungen zwischen Gelbwesten und Polizei: Pflastersteine fliegen, Tränengas wird eingesetzt, beide Seiten gehen aufeinander los. – Hautnah ist die Kamera von Jeanne Lapoirie dran, versetzt die Zuschauer*innen mitten ins Geschehen.
Quasidokumentarisch ist der Gestus von Catherine Corsinis Tragikomödie, deren Handlung sich auf einen Tag konzentriert. Und quasidokumentarisch ist auch der Kameragestus als neben Raf auch der LKW-Fahrer Yann (Pio Marmai) ins Krankenhaus eingeliefert wird. Scheinbar in Echtzeit erzählt Corsini nun, lässt mit Yann und Raf Arbeiterschicht und Bourgeoisie aufeinandertreffen, sich gegenseitig befetzen und dann doch wieder unterstützen.
Der "Bruch" des französischen Titels ("La fracture") steht dabei freilich auch für den Bruch innerhalb der französischen Gesellschaft, der sich auch im überfüllten Krankenhaus zeigt. Völlig überfordert ist hier das Personal, die schwarze Krankenpflegerin Kim hat schon die sechste Schicht in dieser Woche. Nicht nur um Raf und Yann muss man sich kümmern, sondern es gibt auch noch eine todkranke Patientin, eine hochschwangere Frau wird eingeliefert und Kims überforderter Partner bringt schließlich auch noch ihr gemeinsames Baby vorbei.
Raf wiederum hat Julie angerufen, möchte sie zurückgewinnen und erhält auch Unterstützung von ihr am Krankenbett. Yann wiederum möchte so schnell wie möglich raus, weil er trotz Verletzung eine Fahrt mit dem LKW beenden muss, da er sonst seinen Job verliert. Und von außen drängen Demonstrant*innen und Polizist*innen ins Krankenhaus.
Mit viel Druck ist das inszeniert. Kaum einen Moment der Ruhe gibt es hier und der weitgehende Verzicht auf Filmmusik verstärkt den dokumentarischen Eindruck. An feinen Zwischentönen ist Corsini dabei nicht interessiert, sondern überzeichnet im Stil der Comiczeichnerin Raf, lässt markante Gegensätze aufeinandertreffen. Da ist auch das Krankenhauspersonal nicht nur überlastet, sondern auch das Gebäude ist in physisch desolatem Zustand, sodass auch mal ein paar Deckenplatten und Leitungen in den Gang krachen.
Weniger plastische Charaktere als vielmehr Karikaturen zeichnet Corsini und will mit dem Krankenhaus als Setting ein Bild von der Zerrissenheit Frankreichs zeichnen. Das gelingt ihr durchaus und stark ist der Film auch in seiner Offenheit gegenüber beiden Seiten. Corsini bezieht keine Position, sondern zeichnet beide Seiten vorurteilsfrei und überlässt das Urteil den Zuschauer*innen. Doch andererseits bleibt sie in bei Spiegelung der realen Verhältnisse im Krankenhaussetting an der Oberfläche stecken und dringt kaum in die Tiefe.
Problem ist auch, dass die Figuren auf Funktionsträger reduziert bleiben. Eine wirkliche Kinogeschichte entwickelt sich hier nicht, sondern alles ist auf den metaphorischen Charakter reduziert. Wenig Zugang findet man so zum Schicksal des LKW-Fahrers. Dazu kommt Valeria Bruno Tedeschis gewohnt hysterische und überzogene Raf, die mehr nervt als Mitgefühl zu erregen.
Ihre persönliche Geschichte und ihr Beziehungsjammer wirkt angesichts der großen gesellschaftlichen Probleme lächerlich, zeigt aber auch die Egozentrik der Bourgeoisie, die nur an sich, nicht aber an die Unterschicht denkt. – Doch wirklich packen will dieser Film in seiner überdrehten Form, in der Ernstes und Tragisches immer ganz nah beieinander liegen, nicht.
In den besten Händen - La fracture Frankreich 2021 Regie: Catherine Corsini mit: Valeria Bruni Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï Länge: 98min.
Wird vom TaSKino Feldkirch vom 12.8. bis 16.8. im Kino Rio gezeigt.
Trailer zu "In den besten Händen - La fracture"
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